Siegerland. Auf einmal reißen sich Unternehmen um die Aufträge für Hausanschlüsse. Hier steht warum. Und wer wann wo zu welchen Bedingungen baut.
Vor Fototerminen können sich die Bürgermeister in diesem Sommerloch nicht retten. In Vormwald macht Hilchenbachs Bürgermeister Kyrillos Kaioglidis Werbung für das Glasfaser-Angebot von Eon, in Burbach feiert Christoph Ewers das Joint Venture eines gemeinsamen Glasfasernetzes für die ganze Gemeinde mit Greenfiber, und in Netphen lässt sich Bürgermeister Paul Wagener sogar „als Vorreiter“ für die städtische Homepage ablichten, wie er seinen privaten Anschluss bei Glasfaser Direkt bestellt.
Das war das Startsignal
Die offensichtliche Hektik überrascht die Fachleute in der Szene nicht. Die Unternehmen haben abgewartet, wer von ihnen den Zuschlag für den Master-Auftrag in Siegen-Wittgenstein bekommt: 850 Kilometer Glasfaser zur 4125 Adressen, darunter 120 Gewerbegebiete, 62 Schulen und zwölf Krankenhäuser für 115 Millionen Euro. Damit, so feierte der Kreis, seien die „letzten zwei Prozent“ versorgt. Greenfiber aus Lüneburg gewann das Rennen, bezog Quartier im ehemaligen Hilchenbacher Siebelnhof und feierte schon im Mai den Spatenstich. Mit dem Landrat auf dem Foto.
Die „weißen Flecken“ sind damit gefüllt, nicht aber die grauen Flecken, denen das Interesse fortan gilt: Adressen, die dank ihrer Kupferkabel, die an zentrale Glasfaserkästen im Dorf angeschlossen sind, zwar mehr als 30 Mbit pro Sekunde bringen und somit nicht mehr in den 115-Millionen-Euro-Auftrag einbezogen werden. Aber auch weit entfernt sind von Gigabit-Bandbreiten, die den einst noch unterversorgteren Nachbarn jetzt beschert werden. Auf diese hell- und dunkelgrauen Flecken – die Branche unterscheidet sehr sorgfältig – richtet sich das neue Interesse.
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Die Modelle sind unterschiedlich: Da gibt es auf der einen Seite den eigenwirtschaftlichen Ausbau – ein Unternehmen probiert, 30 oder 40 Prozent der Anwohner in einem Stadtteil oder - bezirk als Interessenten für einen Anschluss zu gewinnen und legt dann das Kabel zu ihnen. Und auf der anderen Seite die neuen Gemeinschaftsunternehmen, die Greenfiber mit Bad Berleburg, Burbach und womöglich auch Kreuztal gründet: Das Netz, das Greenfiber sowieso baut, wird dann um die Graue-Flecken-Adressen erweitert, sodass am Ende das ganze Stadtgebiet auf Gigabit-Level ist.
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Hier führt die Kommune Regie
In Kreuztal kollidieren beide Ansätze: Eon und Glasfaser Plus sind dort unterwegs, um Kunden für Hausanschlüsse an ausgewählten Adressen zu gewinnen. Zugleich hat der Rat einem „Letter of Intent“ beschlossen, dass die Stadt mit Greenfiber ein Unternehmen zur Komplettversorgung des Stadtgebietes gründet. „Ich kann nicht abschätzen, ob wir am Ende ein Netz haben oder zwei“, sagt Bürgermeister Walter Kiß., „wir wissen noch gar nicht, wo wir landen werden.“ Soll heißen: Kreuztal schließt nicht aus, dass es gar nicht mehr gelingen wird, die Mindestteilnehmerzahl für das Gemeinschaftsunternehmen zu gewinnen, in Burbach waren das 30 Prozent der Adressen. „Je kleiner das Restnetz wird, desto schwieriger wird es. Unser Bestreben ist, ass kein Gebäude unversorgt bleibt.“ Über den städtischen Anteil an der Investition sei noch nicht gesprochen worden, ebenso wenig über die Organisationsform des Unternehmens.
Technologie
Glasfaser ist das Kabel zur schnellstmöglichen Datenübertragung mit der höchsten Bandbreite. Vorher wurden die Kupferkabel genutzt, die als Telefonleitungen verlegt wurden.
Zwischenschritt zum Hausanschluss (FTTH, „Fibre to the Home“) war „FTTC („Fiber to the Curb“) – Glasfaser bis zum Verteilerkasten, von dort weiter zum Haus über das alte Kupferkabel. In den Internet-Frühzeiten wurde die Übertragungsgeschwindigkeit über DSL- und ISDN-Standards beschleunigt, vorher musste sogar ein Modem zwischen Computer und Telefonanschluss geschaltet werden.
In ländlichen Regionen wurde das Internet auch über Richtfunk in die Dörfer gebracht, die Antennen wurden dann mit dem örtlichen Kabelnetz verbunden.
Hinrich Bernzen, Pressesprecher von Greenfiber, teilt die Skepsis des Kreuztaler Bürgermeisters und warnt vor „Rosinenpickerei“. Die könne dazu führen, dass nach Versorgung der wirtschaftlich erschließbaren Standorte Adressen übrig bleiben, um die sich keiner mehr kümmert. „Das kann im schlimmsten Fall passieren.“ Aus jetziger Sicht werde in Kreuztal aber nur ein „Bruchteil“ an andere Unternehmen fallen: „Wir sind optimistisch.“ Die Stadt werde keine Handhabe haben, den Netzausbau regulieren. „Jeder darf ausbauen, was er für richtig hält. Im Zweifelsfall wird doppelt gebaut.“ Den Eindruck eines heftigen Wettbewerbs teilt Hinrich Berntzen: „Immer mehr und immer aggressiver.“
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Hier bestimmen die Privaten
Einen Weg, wie Bad Berleburg, Kreuztal und Burbach ihn gehen, schließt Thomas Runge für die Stadt Siegen aus – die Investition wäre für einen einzigen Betrieb zu groß: „Das haben wir für uns ausgeschlossen“, sagt der städtische Wirtschaftsförderer, der fast täglich zusehen kann, wie das Netz im Oberzentrum wächst: „Wir sehen, wie schnell das gehen kann.“ In Meiswinkel ging es los, derzeit läuft in sechs weiteren Stadtteilen die Akquise durch Unternehmen, die sich offensichtlich vom Stadtrand ins Zentrum vorarbeiten. Inzwischen, so der Leiter der Abteilung Wirtschaftsförderung, gebe es auch Anfragen zum Ausbau in der Kernstadt, Weidenau und Geisweid werden dann folgen. „Uns kann das nur Recht sein“, begrüßt Thomas Runge das erwachte Interesse, „wir wollen das schnellste Netz für unsere Bürger haben.“
Noch bedeckt hält sich die Gemeinde Wilnsdorf. „Wir haben uns noch nicht für einen Partner entschieden“, sagt Sprecherin Stefanie Gowik. Die Stadt Hilchenbach, Sitz der Siegen-Wittgensteiner Greenfiber-Zentrale, bekundet zwar, dass Greenfiber „unser erster Ansprechpartner“ sei, wie Stadt-Sprecher Hans-Jürgen Klein feststellt. „Es gibt auch Konkurrenz, und das kann förderlich sein. Schlechter wäre, wenn niemand etwas tut.“ Eine eigene städtische Glasfasergesellschaft werde Hilchenbach aber nicht gründen: „Die Millionen haben wir nicht.“
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Der Überblick: Wer baut wo?
Die Glasfaser-Hausanschlüsse sind vielerorts recht unkompliziert möglich, weil beim flächendeckenden Breitbandausbau des Kreises bereits Glasfaserkabel bis zu den Verteilerkästen in den Wohngebieten gelegt wurden“, erläutert Landrat Andreas Müller. Müller hat sich mit Netphens Bürgermeister Paul Wagener und Vertretern von Glasfaser Plus sowie der Deutschen Telekom getroffen und über den Ausbau im Kernort von Netphen informiert. Glasfaser Plus ist einer von mehreren Akteuren, die Netze im Kreisgebiet aufbauen.
Netphens Bürgermeister Paul Wagener verweist darauf, dass auch schon heute schnelles Internet für viele ein „Muss“ ist: „Es braucht eine stabile und leistungsfähige Verbindung, wenn Eltern virtuell an Meetings teilnehmen und Kinder zum Beispiel gleichzeitig wie während der Lockdowns im Home-Schooling lernen müssen. Nur eine Kommune mit digitaler, zeitgemäßer Infrastruktur ist attraktiv für Familien und Unternehmen“, sagte er bei der Unterzeichnung einer Absichtserklärung für den Ausbau durch Glasfaser Plus. Allein dieses Unternehmen will in den nächsten beiden Jahren im Kreisgebiet bis zu 30.000 Haushalte mit Glasfaser versorgen.
Das sind die aktuellen Ausbauvorhaben im Siegerland:
Glasfaser Plus
Glasfaser Plus will im Kernort Netphen 3000 Glasfaser-Hausanschlüsse legen. Das erste Ausbaugebiet im Netphener Kernort umfasst Lahnstraße, Jahnstraße, Schillerstraße, Kreuzbergstraße und An der Netphe.
In Freudenberg ist der Anschluss von etwa 5.000 Haushalten vorgesehen. Für das kommende Jahr plant Glasfaser Plus in Siegen über 10.000 und in Neunkirchen rund 6.000 Haushalte direkt ans Glasfasernetz anzuschließen.
Die Telekom will ab Anfang 2023 in Kreuztal rund 7.200 Glasfaseranschlüsse bis ins Haus bauen. Sie arbeitet im Auftrag der Glasfaser Plus, einem Gemeinschaftsunternehmen der Deutschen Telekom und IFM Investors. Bei IFM Investors handelt es sich um einen australischen Fondsverwalter. Für den Ausbau in Kreuztal hat die Telekom bereits angekündigt, das Netz der Glasfaser Plus nutzen zu wollen. Die Glasfaser Plus schließt eine Immobilie während der Ausbauphase kostenfrei an, wenn Kunden einen Glasfaser-Tarif bei einem Telekommunikationsanbieter abschließt. Die Glasfaser Plus benötigt in diesem Fall lediglich eine Genehmigung, den Anschluss herstellen zu dürfen. Bei einer Buchung nach der Ausbauphase fällt eine einmalige Anschlusspauschale an, die, je nach Anbieter, unterschiedlich hoch ausfallen kann. Für Kunden der Telekom beträgt diese Pauschale einmalig 799,95 Euro.
Greenfiber
In Kreuztal lädt Greenfiber zu Info-Veranstaltungen ein. Das Unternehmen, das bereits mit der Gemeinde Burbach und der Stadt Bad Berleburg gemeinsame Gesellschaften gegründet hat, will auch mit der Stadt Kreuztal gemeinsam das gesamte Stadtgebiet mit Glasfaser-Hausanschlüssen versorgen – und nicht nur die ausgewählten Adressen mit weniger als 30 Mbit Bandbreite, für die Greenfiber einen Auftrag vom Kreis Siegen-Wittgenstein bekommen hat. Mindestens 30 Prozent der Kreuztaler müssen mitmachen, damit daraus etwas wird.
Infoveranstaltungen von Greenfiber finden statt am Dienstag, 16. August und 27. September, im evangelischen Gemeindehaus Krombach, am Mittwoch, 17. August und am Donnerstag, 29. September, in der Vereinsturnhalle des TV Eichen, am Donnerstag, 18. August und 15. September, im evangelischen Gemeindehaus Ferndorf, am Montag, 29. August, am Dienstag, 13. September, sowie am Mittwoch., 28. September, in der Weißen Villa, am Dienstag, 30. August, im Saal der Friedenskirche Fellinghausen, am Mittwoch, 31. August, in der Turn- und Festhalle Buschhütten. Beginn ist jeweils um 18 Uhr, in Ferndorf um 19 Uhr.
Das Beratungsbüro Marburger Straße 58, ist von Montag bis Freitag von 9 bis 17.30 Uhr geöffnet: 02732 / 79 83 200, kreuztal@greenfiber.de.
In Hilchenbach, wo Greenfiber im ehemaligen Siebelnhof seine Siegerland-Zentrale eingerichtet hat Greenfiber im Stadtteil Müsen mit der Haupttrasse begonnen. Zunächst werden aber nur die einzelnen Haushalte automatisch angeschlossen, für die der Kreis Siegen-Wittgenstein den Auftrag erteilt hat, der mit Bundesmitteln finanziert wird. 150 weitere Anlieger an der Ausbautrasse haben von Stadt und Greenfiber das Angebot bekommen, sich ohne Baukostenzuschuss ebenfalls anschließen zu lassen. Auch beim weiteren Breitbandausbau im Stadtgebiet wollen die Stadt Hilchenbach und Greenfiber so vorgehen. Ziel sei die flächendeckende Glasfaserversorgung in Hilchenbach, so Bürgermeister Kyrillos Kaioglidis: „Damit wir unser Ziel erreichen, müssen jetzt möglichst viele Grundstückseigentümer mitmachen und selbst aktiv werden.“
Eon
In Hilchenbach-Vormwald hat der Energieversorger Eon einen eigenwirtschaftlichen Ausbau angeboten. Weil die von dem Unternehmen erwartete Mindestbeteiligung von 40 Prozent nicht zustande gekommen ist, wurde jetzt die Frist bis zum 31. August verlängert und das Gebiet erweitert.
In Siegen will Eon eigenwirtschaftlich in Birlenbach, Langenholdinghausen, Gosenbach, Oberschelden, Seelbach und Trupbach Glasfaser-Hausanschlüsse bauen. In weiteren Stadtteilen, zum Beispiel Meiswinkel, und auch in einigen Stadtteilen von Kreuztal war bereits das Eon-Unternehmen „Westenergie Breitband“ tätig.
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Glasfaser Direkt
Ebenfalls in Netphen aktiv wird das Kölner Unternehmen Glasfaser-direkt. Angeboten werden sollen Glasfaser-Hausanschlüsse in Afholderbach, Sohlbach, Eschenbach, Brauersdorf, Beienbach, Deuz, Grissenbach, Nenkersdorf, Walpersdorf, Salchendorf, Helgersdorf, Werthenbach, Irmgarteichen und Hainchen für 3276 Adressen, wenn mindestens 40 Prozent das Angebot annehmen. Im Hauptausschuss, in dem das Unternehmen sein Angebot vorstellte, sagte das Unternehmen zu, auch eine Erweiterung auf die „-hausen“-Dörfer (Eckmannshausen, Unglinghausen, Herzhausen, Oelgershausen. Frohnhausen) zu prüfen.
Die anderen
Derzeit nicht im Siegerland aktiv sind die Deutsche Glasfaser und Vodafone. Vodafone ist nach der Telekom zweitgrößter Glasfaseranbieter in Deutschland, die Deutsche Glasfaser die Nummer 3. Sie ist im Besitz von niederländischen und amerikanischen Finanzinvestoren.
Das rät der Fachmann: Genau prüfen
Die Telekommunikationsgesellschaft Südwestfalen (TKG) wurde von den Kreisen in Südwestfalen gegründet. Sie hat anfangs selbst Netze gebaut, ist heute vor allem Berater der bei den Kreisen angesiedelten Gigabit- und Mobilfunkkoordinatoren. TKG-Geschäftsführer Stefan Glusa rät den Kommunen, Angebote genau zu prüfen, bei denen sie sich selbst wirtschaftlich beteiligen: „Der Telekommunikationsmarkt ist wettbewerbsintensiv, es gibt keine Exklusivität.“ Was bedeutet, dass privatwirtschaftliche Anbieter auch dann eigene Netze in einer Kommune aufbauen können, in denen Mitbewerber oder gar die Kommunen bereits Anschlüsse anbieten. „Wir haben noch nie so eine dynamische Entwicklung gehabt wie heute.“ Bis 2025 wollen die privaten Unternehmen 50 Milliarden Euro investieren.
Wichtig zu wissen sei, dass mit dem bloßen Angebot der Hausanschlüsse für alle die Vollversorgung noch nicht erreicht sei: Die Hauseigentümer müssen auch mitmachen. Die kann die Konkurrenz mit günstigen Internet-Verträgen vom Glasfaser fernhalten. Oder ihnen akzeptable Bandbreiten über Mobilfunk anbieten . „Noch immer wollen zehn Prozent der Deutschen das Internet überhaupt nicht nutzen. Und es gibt keinen Anschluss- und Benutzungszwang.“
Der Druck, den Kunden machen, ist unterschiedlich: Gewerbe und Industrie werden spätestens jetzt vor allem in den Gewerbegebieten bedient: „Für viele ist der unmittelbare Leidensdruck nicht mehr so groß“, bestätigt Hans-Peter Langer, Geschäftsbereichsleiter bei der Industrie- und Handelskammer Siegen. Auf der anderen Seite sind die Bewohner der Dörfer. In Helberhausen hat sich sogar eine Initiative „PRO Glasfaser - Breitband für Helberhausen“ formiert.
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