Geisweid. Eine sechsköpfige Familie, nur ein halber Liter Restmüll pro Woche: Friederike Oldeleer ist Expertin für Zero Waste. Hier erklärt sie, wie’s geht.

Bis die Restmülltonne voll wäre, würde im Hause Oldeleer eine Menge Zeit vergehen. Bei der sechsköpfigen Familie fällt pro Woche im Schnitt nur noch ein halber Liter Restmüll an, sagt Mutter Friederike Oldeleer. Sie ist Expertin für das Thema „Zero Waste“ („Null Abfall“) und erläutert Interessierten regelmäßig, wie sie ihr Müllaufkommen in fünf Schritten verringern können – unter anderem als Referentin beim Energieverein Siegen-Wittgenstein.

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Friederike Oldeleer lebt mit ihrem Mann Frank und den vier Kindern in einem Haus in Erndtebrück. 2017 wurde sie auf das Konzept „Zero Waste“, aus dem inzwischen eine Art weltweiter Bewegung entstanden ist, aufmerksam. Damals stieß sie auf das Buch „Zero Waste – Glücklich leben ohne Müll!“ der in den USA lebenden Autorin Bea Johnson. „Wir waren genervt davon, den Müll rauszubringen“, erzählt Friederike Oldeleer, woher ihr Interesse kam.

Siegen: Zero Waste – mit fünf einfachen Schritten zu viel weniger Hausmüll

Bis die Familie vom üblichen Müllvolumen zum heutigen Stand gelangte, habe es etwa zwei Jahre gedauert. „Es war ein Prozess“, erklärt sie. „Wir haben einfach ausprobiert.“ Außer dem halben Liter Restmüll pro Woche fällt auch noch Grüner-Punkt-Müll an: Alle zwei Wochen ist eine „Acht-Toilettenpapierrollen-Verpackung“ voll. Die ungewöhnliche Mengenangabe hat einen plausiblen Grund: Weil gelbe Säcke für diese geringe Menge viel zu groß wären, nutzt die Familie als Sammeltüte die Verpackungen von Toilettenpapier, die sonst selbst im gelben Sack landen würden

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Friederike Oldeleer spricht fröhlich und locker, gibt Beispiele und berichtet aus dem Zero-Waste-Familienalltag. Sie doziert nicht, sie belehrt nicht. „Man darf es nicht mit erhobenem Zeigefinger machen“, betont sie. „Das funktioniert weder bei Kindern noch bei Erwachsenen.“ Sie macht auch keine Vorschriften, sondern unterstreicht die persönliche Komponente. „Es ist sehr individuell: Jeder muss gucken, was er kann und will.“ Auf ihrem eigenen Weg hat sie sehr gute Erfahrungen mit Bea Johnsons fünf Schritten gemacht, die sie auch in ihren eigenen Vorträgen vorstellt:

• Ablehnen
• Reduzieren
• Wiederverwenden
• Recyeln
• Kompostieren.

Weniger Müll in fünf Schritten: Beim Konzept „Zero Waste“ sollten Menschen sich zunächst fragen, ob sie wirklich alles brauchen, was sie gewohnheitsmäßig einkaufen – und auf was sie verzichten könnten.
Weniger Müll in fünf Schritten: Beim Konzept „Zero Waste“ sollten Menschen sich zunächst fragen, ob sie wirklich alles brauchen, was sie gewohnheitsmäßig einkaufen – und auf was sie verzichten könnten. © FUNKE Foto Services | Bastian Haumann

Siegen: Die beiden wichtigsten Schritte bei Zero Waste sind „Ablehnen und Reduzieren“

„Die ersten beiden Schritte sind die wichtigsten“, sagt die Fachfrau. „Ablehnen“ bezieht sich auf einen Bewusstwerdungsprozess. Dabei geht es nicht um esoterische Anwandlungen, sondern ganz bodenständig darum, praktische Entscheidungen zu treffen. „Was ich nicht kaufe, muss ich nicht entsorgen“, bringt Frederike Oldeleer die Formel auf den Punkt. Das klingt simpel, ist aber mit dem zweiten Punkt – „reduzieren“ – verbunden, weil sich die Frage anschließt „Was brauche ich wirklich?“

Energieverein

Der Energieverein Siegen-Wittgenstein bietet kostenlose Beratungen zu Energiefragen und Klimaschutz an. Darüber hinaus gibt es regelmäßig Info-Veranstaltungen und Vorträge.

Mitglieder sind unter anderem der Kreis Siegen-Wittgenstein, die Städte Siegen, Kreuztal, Hilchenbach, Netphen und Freudenberg, die Uni Siegen sowie diverse Unternehmen und Handwerksbetriebe.

Die Geschäftsstelle ist Am Klafelder 20 in Geisweid, 0271/37 21 99 03. Website: energieverein-siwi.de

Konsequent angewandt läuft es auf einen Konsumverzicht hinaus. Für viele Menschen hat dieses Wort einen negativen Beigeschmack, weil es danach klingt, sich etwas versagen zu müssen. Darum geht es laut Friederike Oldeleer aber gar nicht, denn sie möchte das Augenmerk auf die Chancen lenken, die ein solches Vorgehen eröffnet. Sie versteht den „Verzicht“ eher als eine „Befreiung von Überfluss“: Da Menschen sich um die Dinge, die sie besitzen, kümmern oder sich zumindest gedanklich immer wieder damit auseinandersetzen müssen, geht für eigentlich unnötigen Besitz Zeit drauf, die sich anderweitig für erfüllendere Zwecke nutzen ließe: Unternehmungen mit Familie und Freunden etwa. Tatsächlich bezieht sich das Konzept „Zero Waste“ nicht nur auf Müllvermeidung, sondern auf eine generelle „Entrümpelung“ des Lebens. Das englische Wort „Waste“ bedeutet nämlich auch „Verschwendung“. Und verschwenden lassen sich auch Zeit und menschliche Energie.

Zero Waste: Selbst Artikel wie Nudeln müssen nicht in Plastikverpackungen stecken. In Unverpacktläden können Kunden sie in Mehrweg-Gläser abfüllen.
Zero Waste: Selbst Artikel wie Nudeln müssen nicht in Plastikverpackungen stecken. In Unverpacktläden können Kunden sie in Mehrweg-Gläser abfüllen. © FUNKE Foto Services | Volker Herold

Siegen: Weniger Müll dank Verzicht auf Einwegprodukte

Schritt 3, „wiederwenden“, geht mit Schritt 2, „reduzieren“, oft Hand in Hand. „Küchenrolle braucht man eigentlich nicht“, gibt Friederike Oldeleer ein Beispiel. Waschbare Lappen tun es genauso, sind aber die viel nachhaltigere Lösung. Und dafür lassen sich, je nach Einsatzgebiet, auch alte Handtücher oder Stoffreste verwenden. Auch Papiertaschentücher hätten sich in ihrer Familie als verzichtbar erwiesen, weil waschbare Stofftaschentücher eine echte Alternative seien.

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Kleidung, die noch gut erhalten ist, die man aber aus irgendwelchen Gründen nicht mehr trägt, lässt sich an Second-Hand-Shops weitergeben oder natürlich an die Kleidersammlung. Second-Hand-Mode ist im Hause Oldeleer ebenfalls ein Thema. Was beim Faktor „Wiederverwenden“ eine Rolle spielt, ist die Lebensdauer der Artikel. Die Expertin empfiehlt, auf Qualität zu achten: Das koste zwar in der Anschaffung mehr, sei aufgrund der längeren Haltbarkeit aber oft die bessere Lösung als beispielsweise „ein billiges T-Shirt, das nach zwei Mal waschen hinüber ist“.

Einkaufen geht auch ohne Umverpackungen: bei Gemüse zum Beispiel.
Einkaufen geht auch ohne Umverpackungen: bei Gemüse zum Beispiel. © FUNKE Foto Services | Arnulf Stoffel

Siegen: Zero Waste – beim Recyceln sind Glas und Papier die überlegenen Materialien

Beim „Recyceln“ seien Glas und Papier in jedem Fall Kunststoffen vorzuziehen. Noch besser sei es natürlich, auf Umverpackungen von vornherein zu verzichten. In vielen Supermärkten, sagt Friederike Oldeleer, gebe es Gemüse lose zu kaufen. Sie selbst gehe bevorzugt in den Bioladen, wo es auch Käse unverpackt gebe oder wo Hülsenfrüchte in Pfandgläsern zu bekommen sein. Darüber hinaus hilft die Gestaltung des Speiseplans bei der Müllvermeidung. „Grundnahrungsmittel kaufen, am besten regional und saisonal“, empfiehlt die vierfache Mutter. Der Verzicht auf Verpackungsmaterial habe noch einen weiteren Nutzen: „Plastik gibt immer etwas an den Inhalt ab. Und das möchte ich eigentlich nicht essen.“

Kompostieren

Der Schritt „Kompostieren“ bietet sich naturgemäß vor allem für Leute mit Garten an. Wer darüber nicht verfügt, könne gewissenhaft die Biotonne nutzen: „Man kann viele Dinge kompostieren.“

Siegen: Auf dem Weg zu Zero Waste unbedingt realistische Ziele setzen

Wichtig ist auf dem Zero-Waste-Weg, sich nicht entmutigen zu lassen und nicht verbissen alles von jetzt auf gleich perfekt machen zu wollen. Je nach Lebensalter täten Menschen sich zudem oft schwerer. „Meiner Erfahrung nach machen kleine Kinder das ganz leicht mit, weil sie es noch nicht 40 Jahre anders eingeübt haben“, sagt Friederike Oldeleer.

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Als ihre Familie mit Zero Waste anfing, sei der älteste Sohn 10 gewesen. Erwachsene fänden häufig nicht ganz so einfach einen Zugang. Ihr Mann beispielsweise sei ein Fan von Gewürz-Ketchup – „verpackungstechnisch schrecklich“. Statt das beliebte Nahrungsmittel jedoch umgehend von der Einkaufsliste zu verbannen, hätten sie es schrittweise immer seltener gekauft. Auch den Fleischkonsum – von ethischen Aspekten abgesehen hat Fleisch keine gute Klimabilanz – habe die Familie sukzessive über Jahre hinweg runtergefahren: von ehedem täglich auf nun nur noch einmal pro Woche. „Das ist mir nicht ganz leicht gefallen“, räumt Friederike Oldeleer ein.

Siegen: Zero Waste hat viel mit Prioritäten zu tun – nicht mit vollständigem Verzicht

Zero Waste, konsequent durchgezogen, ist ein Lebensstil. Durchaus einer, den man sich leisten können muss, wie die Expertin offen sagt. Menschen mit sehr begrenzten finanziellen Mitteln „können das, was wir tun, nicht machen. Aber in Haushalten mit einem üblichen Einkommen: Da kann man ganz viel erreichen.“ Es sei eine Frage der Prioritäten. „Uns war und ist gesunde Ernährung ganz wichtig“, unterstreicht Friederike Oldeleer. Der bewusste und reflektierte Verzicht hilft dabei, denn „wir geben für andere Dinge viel weniger Geld aus“. Kasteien muss sich die Familie aber nicht. Wenn es um die Vermeidung von Verpackungsmüll geht, „wird es bei Süßigkeiten und Chips schwierig“. Trotzdem ist dieser Genuss nach wie vor drin: „Das ist dann das, was wir im Grünen-Punkt-Müll haben.“

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