Siegen-Wittgenstein. Die Zahl der Sexarbeiterinnen aus Südosteuropa steigt deutlich, auch in Siegen-Wittgenstein. Aktuelle Krise trifft die Frauen in ihrer Armut hart
Es gibt wieder mehr Prostitution in Siegen-Wittgenstein, auf deutlich höherem Niveau als vor der Corona-Pandemie. Sabine Reeh-Bender, Sozialarbeiterin der Beratungsstelle Tamar, berichtet im Kreissozialausschuss, dass sie und ihre Kolleginnen in den vergangenen zwölf Monaten, seit August 2021, insgesamt 117 Frauen betreut haben. Dieser Anstieg sei wohl durch die aktuelle europaweite Krisensituation erklärbar, die gerade die ärmeren ländlichen Gebiete in den südosteuropäischen Herkunftsländern der Frauen hart treffe.
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In Siegen-Wittgenstein prostituieren sich demnach in Wohnungen, Clubs, Bars, Bordellen und auf Parkplätzen überwiegend Rumäninnen (55 Prozent) und Bulgarinnen (21 Prozent). Das berichtet Reeh-Bender im Kreisssozialausschuss, der die weitere Finanzierung der Tamar-Beratung in Siegen-Wittgenstein bewilligte. Für beide Länder gebe es durch Arbeitsmigranten, etwa in der Industrie, eine gewisse Community in Siegen-Wittgenstein. Die Frauen würden Gegenden wählen, wo bereits Landsleute leben. Das beobachte man auch andernorts.
Tamar: In Herkunftsländern reicht Arbeiten nicht zum Überleben
Dieser Effekt trat auch zu Beginn des Ukraine-Kriegs auf: Viele Flüchtlinge kamen nach Siegen, weil es in der Stadt schon vorher eine ukrainische Gemeinde gab. Ein Anstieg ukrainischer Prostituierter sei übrigens nicht wahrnehmbar, so die Sozialarbeiterin. Auch in anderen Regionen nicht.
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Dass sich gerade viele Frauen aus Südosteuropa prostituieren, sei der Situation in den Ländern geschuldet, sagt Sabine Reeh-Bender: Gerade auf dem Land hätten arme Menschen kaum Zugang zu Bildung, kaum Erwerbsmöglichkeiten. Ihre Schilderungen sind bedrückend: Die Lebensbedingungen in den Herkunftsländern seien oft so schlecht, dass Arbeit dort nicht ausreicht, um die Familie über die Runden zu bringen. Mütter und Ehefrauen sähen sich gezwungen, Mann und Kinder zu verlassen, um sich in Deutschland zu prostituieren.
Frauen lassen Männer und Kinder zurück, um in Siegen Geld für die Familie zu verdienen
Viele Männer arbeiteten als Tagelöhner oder in der Landwirtschaft, was nicht für die Existenzsicherung ausreiche. Sie kümmerten sich, oft mit Hilfe der Großeltern, um die Kinder, während Mama auf den Strich geht. Die Inflation schlage auch und gerade in diesen Ländern und Regionen besonders hart zu, vermuten die Expertinnen – die Frauen sähen keinen anderen Ausweg mehr zum Überleben, als ihren Körper zu verkaufen.
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Inzwischen würden viele Frauen auch versuchen, ihre Kinder nach Deutschland zu holen, berichtet Sabine Reeh-Bender, Tamar unterstütze dabei, etwa rund um Kitas, Schulen, Unterstützungssysteme. „Sie wollen ihnen bessere Lebensperspektiven ermöglichen, die es zuhause nicht gibt.“ Immer wieder schaffen es die Tamar-Beraterinnen auch, die Frauen nicht nur in den Hartz-IV-Bezug, sondern in andere sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse zu bringen, als Reinigungskräfte oder Lagerarbeiterinnen etwa. In der Erntesaison habe Tamar einige Frauen auf Erdbeer- und Spargelfelder vermittelt, wo Erntehelfer fehlten. Sie seien ähnliche Tätigkeiten oft aus ihren Heimatländern gewohnt.
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Entscheidend, wichtiger denn je bei der Sozial- und Beratungsarbeit seien Flexibilität, Mobilität und Kreativität, betonte Sabine Reeh-Bender: Es brauche sehr lange, bis die Frauen Vertrauen zu ihnen fassen würden.