Kreuztal. Menschen, die aus Südosteuropa nach Kreuztal zuziehen, haben oft keine Krankenversicherung. Und sie bekommen auch keine. Das hat fatale Folgen.

Stadträtin Edelgard Blümel wird energisch: „Es geht um Menschenwürde.“ Um die Würde der nach Kreuztal zugezogenen Menschen aus Südosteuropa, die ohne Krankenversicherung zu überleben versuchen. Im Sommer hat sie den Besuch von Serap Güler, damals Staatssekretärin im NRW-Familienministerium und heute Bundestagsabgeordnete, zu einer Problemschilderung genutzt., Dass ihr Appell immer noch ungehört bleibt, kommentiert die Beigeordnete bitter: „Wenn Integration Geld kostet, zieht man sich zurück.“

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1300 Menschen aus Südosteuropa in Kreuztal

Kreuztal ist eine von 21 Städten in NRW, in denen die Zuwanderung aus den fünf südosteuropäischen EU-Staaten um 50 Prozent über dem Landesdurchschnitt liegt. Etwa 1300 Menschen aus Rumänien, Kroatien, Bulgarien, Ungarn und Slowenien leben in der Stadt.

Gegen Corona

Im Bistro des Dornseifer-Markts wird an den Samstagen, 8. und 29. Januar, 10 bis 16 Uhr, von der Impfstelle des Kreises Siegen-Wittgenstein geimpft. Zur „Belohnung“ spendiert der Inhaber den Impflingen einen Gutschein für einen Kaffee.Die Stadt Kreuztal hat sich um die Aktion mit einfachem Zugang bemüht. Plakate werden auch auf Russisch, Arabisch, Türkisch und Serbisch gedruckt. Eine Krankenversicherungskarte wird nicht verlangt.

Das Land finanziert noch bis Ende 2022 den Einsatz von zwei Sozialpädagoginnen als Ankommenslotsinnen. Eine von ihnen ist Jennifer Jansen. Zusammen mit ihrer Kollegin Inna Pfeiffer berät sie bisher 260 Personen – wie es den anderen geht, erfahren sie allenfalls am Rande. Niemand muss sich bei ihnen anmelden, in der EU gilt die Freizügigkeit seit 2014 auch für die Einwohner der süosteuropäischen Länder. „Es handelt sich oftmals um Leute, die sich in richtig prekären Situationen befinden“, vermutet Edelgard Blümel, „sie haben sich hier ein besseres Leben erhofft.“ Und das sei in einer städtischen Notunterkunft allemal noch besser als im Herkunftsland. „Sie versuchen, irgendwie zu überleben.“

 Menschen aus Südosteuropa oft ohne Krankenversicherung
Menschen aus Südosteuropa oft ohne Krankenversicherung © WP Siegen | Manuela Nossutta/Funkegrafik NRW / Getty

Das bedeutet Unversichertsein für EU-Bürger

Jennifer Jansen nennt zwei Beispiele:

Die junge Frau, die schwanger wird, aber mit ihrem Partner nicht verheiratet ist – oder die Heirat nicht mit Dokumenten nachweisen kann. Sie ist nicht über ihren Mann mitversichert, hat keinen Zugang zu den während der Schwangerschaft angeratenen ärztlichen Untersuchungen. Die Sozialarbeiterinnen können auf die wöchentliche, kostenlose Sprechstunde der Malteser in Siegen verweisen; der Allgemeinmediziner dort kann an Gynäkologen und Kinderarzt überweisen, wenn das Spendenbudget das hergibt. Nach der Geburt schickt das Krankenhaus eine Rechnung. Jennifer Jansen hat Forderungen zwischen 2000 und 5000 Euro gesehen. „Die Leute sitzen dann auf einem Schuldenberg.“

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Kinder ohne Krankenversicherung werden nicht gegen Masern geimpft. „Das hat für die Kinder fatale Folgen“, sagt Jennifer Jansen. Keine Kita darf sie dann aufnehmen. „Notwendige frühkindliche Bildung wird nicht zugelassen“, stellt Stadträtin Edelgard Blümel fest. Dem Kreis Siegen-Wittgenstein sei es hoch anzurechnen, dass er die Unversicherten nicht von der Corona-Schutzimpfung ausschließt. Die bekommt man beim Kreis nämlich auch ohne Versichertenkarte.

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So entsteht die Notlage: Keine Arbeit, keine Versicherung

Sie beherrschen die Sprache nicht, finden keine Arbeit. Über das Jobcenter sind sie vorübergehend versichert, wenn sie mindestens einem Minijob nachgehen. Jennifer Jansen: „In Zeiten der Pandemie ist die Suche nach Arbeit nicht einfacher geworden.“ Frauen, die ihren Lebensunterhalt mit Prostitution verdient haben, können in der Pandemie als beruflich Selbstständige Leistungen beziehen – und damit, auf Zeit, auch die Krankenversicherung. Junge Menschen sind nach Deutschland gekommen, ohne sich Gedanken um die Krankenversicherung zu machen. „Krankenversicherung wäre das Letzte, wofür sie Geld ausgeben können“, weiß Edelgard Blümel. Thema wird das erst im Krankheitsfall. Oder wenn die Betroffenen mitbekommen, dass ihr Herkunftsstaat ihnen mit der Ausreise den Versicherungsschutz entzogen hat.

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Das fordert die Stadt: Politik muss handeln

Die Sozialarbeiterinnen helfen über sprachliche und bürokratische Hürden. Für einige gelang die Vermittlung in eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung. „Das hätten sie allein nicht geschafft“, sagt Stadträtin Edelgard Blümel. „Es würde keine Förderung geben, wenn die Landesregierung nicht erkannt hätte, dass hier Unterstützungsbedarf besteht“, erinnert sie. Zumindest eine ärztliche Mindestversorgung müsse nun auch gewährleistet werden. „Die Menschen stehen hier sprachlos und brauchen Hilfe. Ich wünsche mir, dass die Politik sich damit auseinandersetzt.“

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