Siegen. Die Alfred-Fissmer-Anlage behält ihren Namen – aber warum? Mit dem Text für die Infotafel tut sich die Politik schwer.
Alfred Fissmer und Lothar Irle: zwei Siegener, die von der Stadt in Ehren gehalten werden – mit mehr oder weniger schlechtem Gewissen, wie sich auch jetzt wieder im Kulturausschuss zeigte. Bei Fissmer ging es diesmal um den Text für die Acryltafel, auf der dargestellt werden soll, wer der Namenspatron der Anlage vor der Nikolaikirche ist. Und bei Irle um einen neuen Anlauf, den Straßennamen in Kaan-Marienborn zu entfernen – diesmal durch die Rats-Neulinge der Volt-Fraktion.
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Irle: „Absolut untragbar“
Astrid Schneider, Leiterin der Kulturabteilung, erinnerte an den Ratsbeschluss, den Arbeitskreis wieder einzusetzen, „der sich mit den kritischen Namensgebungen von Straßen, Orten und Plätzen in unserer Stadt befasst und Leitlinien für eine Erinnerungskultur entwickelt und gegebenenfalls Empfehlungen zu neuen Namensgebungen oder Informationstafeln zur kritischen Würdigung der Personen vorschlägt“. Traute Fries (SPD) hatte einen Aktenordner mitgebracht: „Der ist gefüllt“ – Tätigkeitsnachweis der schon einmal eingesetzten und nach der Kommunalwahl 2009 nicht wieder gebildeten Kommission. Sie erinnert an frühere Diskussionen über den als Heimatforscher gewürdigten Irle, der schon lange vor der Machtergreifung als überzeugter Nazi agitierte: „Ich habe mich verhöhnen lassen müssen.“
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„So einfach sollten wir es uns nicht machen“, widerspricht Bärbel Gelling (Grüne) Stimmen von CDU und SPD, das Thema an den Arbeitskreis zu überweisen – der auf Initiative der Grünen beschlossen wurde, als eine Umbenennung der Fissmer-Anlage sich als nicht mehrheitsfähig erwies. Sie empfiehlt „dringend“, die Lothar-Irle-Straße jetzt umzubenennen – es sei belegt, dass Irle auch in der Bundesrepublik von seiner Gesinnung nicht abgerückt sei. Deshalb sei ihm schließlich auch „von ganz oben“ das Bundesverdienstkreuz verweigert worden, für das der SGV ihn vorgeschlagen habe. Erst vor kurzem hat auch das Kreisarchiv noch einmal O-Ton von Irle aus dem Jahr 1933 in Erinnerung gebracht, als er über eine Lehrertagung berichtete: „Wir waren genötigt, unter Protest den Raum zu verlassen und eine Beschwerde beim Kultusministerium einzureichen, da der Ausspracheleiter nicht eingriff, als eine Dame zu sagen wagte, man müsse Rücksicht nehmen auf jüdische Mädchen, wenn man Rassefragen behandele.“ Juden, so das überlieferte Wort, waren für Irle „wie Pilze auf dem Mist“. Bärbel Gelling: „Wir wollen nicht anklagen, aber die Dinge richtig stellen.“
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Erik Dietrich (Volt) sieht Arbeit für den Straßennamen-Arbeitskreis. Der könne sich mit Adolf Stoecker befassen, dem antisemitischen Hofprediger aus Berlin, der in Siegen seinen Reichstagswahlkreis hatte, oder mit Walter Flex, dem Kriegsverherrlicher. Aber nicht mit Irle: Das Urteil über ihn sei „in jedem Fall völlig eindeutig“, er sei als Namensgeber „absolut untragbar“. Harald Hahn (CDU) mahnt, „ein bisschen sensibel“ zu sein – es sei „teilweise überheblich, mit dem Wissen von heute Leute zu verurteilen“. Sibylle Schwarz (SPD) bescheinigt der Volt-Fraktion, „den Finger in die Wunde gelegt zu haben“. Erik Dietrich (Volt) zieht den Antrag zu Gunsten der Überweisung an den Arbeitskreis zurück. Stattdessen wünscht er eine Abstimmung, in Siegen eine Straße nach der Schauspielerin Therese Giehse zu benennen, die 1920 ihr Bühnendebüt im Siegener Kaisergarten hatte – dafür hat Volt die Lothar-Irle-Straße im Blick. Vorsitzende Eva Bialowons-Sting (CDU) lässt die Abstimmung nicht zu.
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Fissmer: „Gleichwohl“ für Verfolgte eingesetzt
Der frühere Siegener Oberbürgermeister habe sich „durch die nachhaltige Förderung Siegens verdient gemacht“, er sei NSDAP-Mitglied gewesen, „ohne als bekennender Nationalsozialist aufzutreten“, er sei „für die Vorgänge in Siegen mitverantwortlich“ gewesen, habe sich „gleichwohl“ für Verfolgte des NS-Regimes eingesetzt. Es ist dieser kurze Text für die Acryltafel, über den der Streit entbrennt, nicht die ausführliche Langfassung, zu der die Besucher über einen QR-Code gelangen. Kultur-Abteilungsleiterin Astrid Schneider stellt klar, dass damit ein Ratsbeschluss aufgeführt werde. Stadtarchivar Dr. Patrick Sturm habe für den Text „den Sachverhalt mit äußerster Sorgfalt geprüft“. Entweder so oder gar nicht folgert Isabelle Eberling (CDU): „Wenn dagegen gestimmt wird, gibt es keine Tafel, und keiner weiß Bescheid.“
Die Minderheit von vier Fraktionen, die mit 5 gegen 10 Stimmen einer Mehrheit von CDU, SPD und AfD unterliegt – die FDP enthält sich der Stimme –, ist empört: „Der Text wirkt eher beschönigend“, findet Lena Schmidt (Grüne), „eine Mitgliedschaft in der SS passiert ja eher freiwillig.“ Es wäre „beschämend, wenn die Acryltafel so in der Stadt stehen würde.“ Von „Beschönigung, fast Klitterung“ spricht Erik Dietrich (Volt). „Ich halte den Text für ausgewogen“, sagt Traute Fries (SPD) und fragt: „Können wir Fissmer beurteilen? Ich finde: nein.“ „Es ist sehr leicht, mit heutigem Wissen die Situation von damals zu beurteilen“, wendet Harald Hahn (CDU) ein. Vorsitzende Eva Biawolons-Sting (CDU) erinnert den Anlass der Beratung: den Beschluss des Rates, dass die Fissmer-Anlage ihren Namen behält.
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