Siegen. Magnus Reitschuster, seit 15 Jahren Intendant des Apollo-Theaters Siegen, geht bald in den Ruhestand. Würde er im Rückblick etwas anders machen?

Die junge Frau schaut nach vorne, gebannt. Der Mund formt ein sanftes Lächeln, die Augen glänzen glücklich entrückt, verzaubert von dem dem, was auf der Bühne geschieht. Es sind Momente wie dieser, eingefangen in einem Foto, zu denen Apollo-Intendant Magnus Reitschuster gerne zurückreisen würde – um bewusst zu erleben, was das Siegener Theater in den 15 Jahren seit Eröffnung mit den Menschen im Publikum gemacht, was es ihnen bedeutet hat.

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„Ich war zwar dabei – aber ich wäre es gerne wieder.“ Beim Gespräch einige Wochen vor seinem Abschied am 31. Juli blättert der erste und bisher einzige Intendant des Apollos in Fotos, die für das Buch zum 15-Jährigen Bestehen des Siegener Theaters ausgewählt worden sind. Es wird im Mai erscheinen. „Wenn man in die Gesichter sieht, kann man nachvollziehen, dass auf der Bühne etwas passierte, das die Menschen bewegt hat“, sagt der 70-Jährige. Natürlich war ihm das auch damals klar, irgendwie. „Aber damals hatte ich nur im Kopf, was ich als Nächstes machen muss.“

Theater-Intendant Magnus Reitschuster (rechts) im Jahr 2007 bei der Vorstellung des Spielzeitprogramms mit Walter Schwerdfeger (†), dem langjährigen Vorsitzenden des Apollo-Trägervereins.
Theater-Intendant Magnus Reitschuster (rechts) im Jahr 2007 bei der Vorstellung des Spielzeitprogramms mit Walter Schwerdfeger (†), dem langjährigen Vorsitzenden des Apollo-Trägervereins. © WP | Privat

Apollo-Theater Siegen: Der Intendant ist Künstler und Manager in einer Person

Magnus Reitschuster blickt nicht wehmütig zurück, erst recht nicht bitter. Er tut es mit der Art von Realismus, in die sich zwangsläufig an der ein oder anderen Stelle Melancholie mischt, wenn die Zeit nachträglich Überblick gewährt. „Leben wird nach vorne gelebt – und rückwärts verstanden“, stieg er denn auch in das Gespräch ein. Jetzt, wenige Monate bevor er die Leitung des Hauses an seinen Nachfolger Markus Steinwender übergibt, setzt sich für ihn ein sehr präzises Bild dessen zusammen, „was in 15 Jahren Apollo eigentlich stattgefunden hat. Beim Machen versteht man’s ja oft nicht.“

Zur Person

Magnus Reitschuster wurde 1952 in Gremheim in Schwaben geboren. Er wurde auf einem Bauernhof groß. „Ich bin noch oft da“, sagt er. Der Hof gehört heute seiner Schwester.

Nach dem Abitur studierte er, machte das erste Staatsexamen Grundschullehramt, dann einen Magister in Politikwissenschaft, Kommunikationswissenschaft und neuerer Geschichte. Danach arbeitete er an verschiedenen Theatern als Dramaturg. Bevor er nach Siegen kam, war er sechs Jahre Chefdramaturg und Gastspielverantwortlicher am Theater Erlangen. „Das war eine gute Vorbereitung“, sagt er über die Bedeutung dieser Zeit für seine anschließenden Aufgaben. „Ich habe da gesehen, dass man mutig sein muss, aber auch geschäftstüchtig und vorsichtig zugleich. Man braucht das Wissen, um die Möglichkeit von Niederlagen, um Vision und Realität zusammenzukriegen.“

1998 kam er als Geschäftsführer des Kulturkreises Siegerland nach Siegen. 2003 wurde er vom Trägerverein zum Intendanten des Apollo-Theaters bestellt. Das Haus eröffnete 2007.

„Wenn ich von Anfang an gewusst hätte, was hier alles nicht geht, wäre vieles von dem, was gegangen ist, nicht gegangen“, zitiert der Noch-Intendant sich selbst. Der Satz wird im Buch zum 15-Jährigen des Apollos auftauchen und ist – nun, eben ein typischer „Reitschuster“: ironisch pointiert, prägnant, unterhaltsam und gleichzeitig tiefsinnig, wie so oft ein Spiel mit (scheinbaren) Widersprüchen. Das Eine zu tun, ohne das Andere zu lassen, ist bei Magnus Reitschuster Programm und sogar konstituierendes Merkmal seines Jobs: Denn er ist Künstler UND Manager. „Andere Häuser haben einen Geschäftsführer und einen künstlerischen Leiter. Ich war und bin beides.“ Folglich schlugen „zwei Seelen in meiner Brust“, denn es galt, die Wünsche des Künstlers irgendwie mit den Vorgaben des Managers in Einklang zu bringen. Doch „immerhin waren die Wege kurz.“ Noch so ein typischer Reitschuster.

Das Apollo-Theater in Siegen wurde im Mai 2007 unter Intendant Magnus Reitschuster eröffnet. Das Haus ist prägend für die Stadt – als prominentes Gebäude, viel mehr aber noch als eine überregional bekannte Adresse für Kultur.
Das Apollo-Theater in Siegen wurde im Mai 2007 unter Intendant Magnus Reitschuster eröffnet. Das Haus ist prägend für die Stadt – als prominentes Gebäude, viel mehr aber noch als eine überregional bekannte Adresse für Kultur. © WP | Florian Adam

Siegen: Apollo-Theater vereint scheinbar Gegensätzliches zum eindeutigen Markenkern

Von diesem persönlichen Spagat abgesehen: Inhaltlich ist das Apollo an sich schon eine Art Schmelztiegel; wandelbar wie ein guter Schauspieler, den man zwar immer in seiner Einzigartigkeit erkennt, doch der in den verschiedensten Rollen besteht. „Haltung und Unterhaltung“ sei ein entscheidender Anspruch gewesen, betont Magnus Reitschuster. „Es ist schon eine Freude, zu sehen, wo wir in der großen deutschen Theaterlandschaft stehen“, sagt er.

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Er wollte die großen Bühnen nach Siegen holen. Sie kamen, und das nicht nur zu den Siegener Biennalen. Das Apollo-Programm wurde „ein Kaleidoskop des großen deutschen Schauspieltheaters der vergangenen 15 Jahre“. Aber mit Blick auf das Publikum sei – da spricht der Geschäftsführer – das Theater am Kurfürstendamm genauso wichtig wie die Schaubühne, der fordernde Stoff genauso wichtig wie die Boulevardkomödie. Siegens Theater sollte von Beginn an Breitenwirkung und Hochkultur vereinen, sollte alle Altersgruppen mitnehmen, Spaß machen und aufrütteln, manchmal vielleicht auch verstören, bei all dem eine Bühne sein für die Behandlung gesellschaftlich relevanter und menschlich grundlegender Fragen. „Wenn man viel anbietet, kann immer das Profil verloren gehen“, beschreibt Magnus Reitschuster die Schwierigkeiten einer solchen Programmgestaltung. Aber es sei „hier gelungen“.

Magnus Reitschuster im Mai 2016 im Gespräch mit Navid Kermani (links). Der aus Siegen stammende und vielfach ausgezeichnete Autor ist regelmäßig im Apollo zu Gast.
Magnus Reitschuster im Mai 2016 im Gespräch mit Navid Kermani (links). Der aus Siegen stammende und vielfach ausgezeichnete Autor ist regelmäßig im Apollo zu Gast. © Apollo-Theater | Rene Achenbach

Apollo-Theater Siegen: Zuschauerzahlen übertrafen die Erwartungen bei Weitem

Bei aller Vielseitigkeit weiß das Publikum in der Tat immer, was es im Apollo zu erwarten hat, was die Marke „Apollo“ ausmacht: Eine alle Aufführungen, Konzerte, Lesungen und sonstige Beiträge verbindende Qualität, die sich als roter Faden durch alle Segmente zieht. Das zeigt sich auch an den Zuschauerzahlen, die über die Jahre doppelt so hoch waren, wie vor dem Theaterstart angesetzt. 45.000 Besucher jährlich sollten es ehedem sein. Mehr als 90.000 waren es dann, bis 99.000 ging die Zahl rauf. Wobei der Intendant anmerkt, verschmitzt lächelnd, dass er heimlich beinahe gehofft habe, dass die 100.000 nicht überschritten wird, denn „sonst wird das die neue Norm“.

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Mit einer „Siegener Fiennale“ vom 7. bis 12. Juni „wird noch einmal programmatisch auf den Punkt gebracht, was ich so gewollt habe“, sagt Magnus Reitschuster. Das Schauspielhaus Bochum wird mit seiner „Hamlet“-Inszenierung dabei sein, das Deutsche Theater Berlin mit „Der zerbrochene Krug“. Die Philharmonie Südwestfalen gibt ein Gedenkkonzert zum 70. Todestag von Adolf Busch, das Puppenspiel „Ayda, Bär und Hase“ nach dem Kinderbuch des aus Siegen stammenden Autors Navid Kermani wird zu sehen sein. Große Bühnen, Busch-Brüder, Navid Kermani, von dem Magnus Reitschuster ein bekennender Fan ist: Es sind drei wesentliche Säulen, die das Apollo-Programm und auch seine DNA bisher prägten.

Magnus Reitschuster 2012 bei der Programmvorstellung für die zweite Siegener Biennale unter dem Titel
Magnus Reitschuster 2012 bei der Programmvorstellung für die zweite Siegener Biennale unter dem Titel "Dran glauben". Für die Theaterfestivals kamen bereits fünf Mal jeweils innerhalb weniger Tage die großen deutschen Bühnen nach Siegen. © Knut Lohmann

Siegen: Magnus Reitschuster geht in den Ruhestand – ein Sabbatjahr und viele Pläne

Am 31. Juli hat Magnus Reitschuster seinen letzten Tag im Apollo, „im August habe ich Zeit zum Aufräumen“. Der gebürtige Schwabe will in Siegen bleiben. „Ich werde ein Sabbatjahr vom Theater machen“, schildert er seine Pläne für die nähere Zukunft. „Und ich werde nicht durch die Stadt laufen und sagen, wie toll doch alles früher war.“ Doch er hat auch noch viel vor. Er will seine Stücke bearbeiten – mehr als zehn hat er geschrieben –, Verlage dafür suchen, außerdem neue Stücke schreiben. „Pläne zu machen ist etwas Tolles,“ sagt er lächelnd. „Sie zu realisieren, ist etwas Schwieriges.“

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Wenn er eine Zeitmaschine hätte und zur Apollo-Eröffnung Anfang Mai 2007 zurückreisen könnte: Was würde er seinem jüngeren Ich raten? „Ich würde die Klappe halten“, lautet seine Antwort. „Man soll so jemandem nicht die Illusionen nehmen – das würde seine Kraft lähmen.“ Der Mann weiß eben, was alles geht, wenn man nicht weiß, dass es eigentlich nicht geht.

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