Siegen. Zwei Brüder aus Siegen wollen den Schwager zur Rede stellen, der greift wohl zuerst zum Messer: Vor Gericht viel „Im Zweifel für den Angeklagten“

Fast drei Monate hat sich die 1. Große Strafkammer mit zwei Brüdern aus Siegen beschäftigt, denen versuchter Totschlag an ihrem Schwager vorgeworfen wurde. Nun ist das Urteil gefallen – „im Zweifel für den Angeklagten“. Für beide gibt es Bewährungsstrafen wegen gefährlicher Körperverletzung in einem minderschweren Fall. Einen Messerstich in den Nacken des Schwagers stuft das Gericht als Notwehr ein, wird daher nicht bestraft.

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Der ältere Bruder bekommt zwei Jahre, der jüngere anderthalb. Beide sind nicht vorbestraft, führten ein normales Leben. Bevor ihre Schwester für Unruhe in der Familie sorgte, weil die Frau des einen ein Verhältnis mit ihrem Mann habe. Die heftigen Spannungen eskalierten am 22. Juli 2021.

Von versuchtem Totschlag ist vor dem Landgericht Siegen keine Rede mehr

Versuchter Totschlag wurde bereits in den Plädoyers verworfen. Staatsanwältin Katharina Burchert geht von gemeinsamer gefährlicher Körperverletzung aus – im Zweifel für die Angeklagten, weil die Aussagen nicht widerlegbar seien. Was nicht heiße, dass man ihnen glaube. Mangels Zeugen müsse man aber davon ausgehen, dass der Geschädigte einen der Brüder zunächst mit einem Messer verletzte, bevor diese ihn verfolgten, der Ältere ihm in den Nacken und später noch zweimal ins Bein stach. Alle drei Wunden seien objektiv lebensgefährlich gewesen.

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Burchert betont: eine Tatwaffe sei nicht gefunden worden. Am angeblich benutzten Teppichmesser gab es demnach keine Blut- oder DNA-Spuren des Angeklagten. Denkbar wäre, dass der Bruder sich den Schnitt am Kopf selbst beibrachte. Notwehr gegenüber dem Schwager sieht sie nicht: Die Brüder hätten einfach mit dem Auto, in das sie angeblich geflohen waren, wegfahren können. Selbst wenn es einen Tötungsvorsatz gegeben hätte: Weil die beiden Männer nach den Stichen in die Beine ihres Schwagers aufhörten und gingen, als er von selbst aufstand, komme er nicht mehr in Betracht. Sie verzichteten bewusst, weiterzumachen.

Anwalt: Der ältere Bruder wurde zuerst verletzt – Notwehr, „er durfte auch zustechen“

Anwalt Andreas Trode sieht bestätigt, was er von Anfang an befürchtet habe: Sein Mandant sei als erster und nicht unerheblich verletzt worden. Die Richter hätten da wenig Interesse an Aufklärung gezeigt, die Staatsanwältin unterstelle nun gar eine mögliche Selbstverletzung. Trode ist überzeugt, dass die Brüder zu ihrem Schwager fuhren, um ihn zur Rede zu stellen. Von Verletzen oder gar Töten sei aber nie die Rede gewesen. Vielmehr griff der Schwager zuerst an – sein Mandant habe sich in einer Verteidigungs- und damit Notwehrsituation befunden und „durfte auch zustechen!“ Sollte das Gericht annehmen, dass der Stich von hinten kam, während der Schwager schon flüchtete, stellt Andreas Trode einen Hilfsbeweisantrag, um zu klären, wie die Verletzung zustande kam. Die Stiche ins Bein müssten für Laien nicht unbedingt lebensbedrohlich wirken.

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Insgesamt hält der Anwalt seinen Mandanten mit 18 Monaten zur Bewährung ausreichend bestraft und bedauert, dass der Schwager klar gelogen habe, trotz seiner Tat die ganze Zeit frei gewesen sei. Er müsse jetzt einfach einmal „dem durch meinen Mandanten befeuerten Missmut Ausdruck verleihen.“

Blut des Angeklagten am Tatort in Siegen gefunden – Schwager sah keine Verletzung

Julia Kusztelak beantragt „zehn bis zwölf Monate“ zur Bewährung für den jüngeren Bruder. Dieser sei nur mitgefahren, um eine mögliche Auseinandersetzung zu entschärfen, habe nichts von einem Messer gewusst. Er habe seinem bereits heftig blutenden Bruder beigestanden, versucht, dem Schwager die Waffe abzunehmen. Dass er dabei geschlagen habe, will sie nicht ausschließen – ihr Mandant tut es.

Das Gericht beruft sich weitgehend auf die Aussagen der Angeklagten. Der Schwager sei unglaubwürdig gewesen, weil er am älteren Bruder angeblich keine Verletzung gesehen habe – am Tatort wurde dessen Blut gefunden. Das Gericht folgt bei der Notwehr der Argumentation Andreas Trodes, das Recht auf Notwehr sei aber mit der Verfolgung und den Stichen in die Beine überschritten. Wären die Brüder ihrem Schwager nicht nachgelaufen, „säßen wir jetzt nicht hier“.

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Die Strafe gegen den jüngeren Bruder fällt geringer aus, weil er hauptsächlich zum Schlichten mitkam. Die Haftbefehle gegen beide sind aufgehoben. Von Wiederholungsgefahr sei nicht auszugehen.