Siegen. Im Kreisklinikum Siegen soll die Polizei kurz vor dem Gebrauch der Schusswaffe gestanden haben: Junger Mann muss sich vor Gericht verantworten.

Staatsanwältin und Verteidigerin sind sich einig: Der Beschuldigte muss freigesprochen werden. Zur Tatzeit habe er das Unrecht seines Verhaltens nicht erkennen können. Dem 21-Jährigen werden Raub in einem besonders schweren Fall, Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte und weitere Taten vorgeworfen. Uneins sind sich die beiden Juristinnen bei der Frage nach einer Unterbringung in der Psychiatrie. Zumindest theoretisch. Die Anklagevertreterin hat keine Zweifel, die Anwältin durchaus.

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Zentraler Punkt der Anklage ist ein Vorfall vom 16. Januar 2020. Da sollte sich der Beschuldigte mit einem Bekannten in dessen Wohnung gestritten haben, der ihm unter anderem vergiftetes Essen serviert habe. Dieser verließ kurz darauf die Räume, schloss den jungen Mann versehentlich ein. Nach seiner Rückkehr eskalierte die Situation: Der Beschuldigte verlangte den Schlüssel, Zigaretten und die Uhr seines Opfers. Dabei habe er ein Messer in der Hand gehalten.

Vorfall im Siegener Kreisklinikum: Polizei laut Zeugin kurz vor Schusswaffengebrauch

Der Bekannte flüchtete in den Flur, stürzte aber und wurde eingeholt. Der Beschuldigte half ihm auf, hielt weiter das Messer in der Hand, nahm die Beute an sich. Der Geschädigte habe Angst gehabt, wenngleich er später im Gericht die Ereignisse gemildert dargestellt und heruntergespielt habe, betont die Staatsanwältin. Damals musste der Täter durch einen SEK-Einsatz aus der Wohnung geholt werden. Da habe er das Messer endlich freiwillig abgelegt, später aber Polizisten getreten – Vorwurf des Widerstandes.

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Bei einem Vorfall im Kreisklinikum soll er das Personal bedroht haben. „Ich habe euch das Leben gegeben, ich kann es euch auch wieder nehmen“, habe er gerufen. Die Bedrohten zogen sich zurück, der Polizei gelang es schließlich, die Situation aufzulösen. Die Beamten hätten aber laut einer Zeugin kurz vor dem Einsatz der Schusswaffe gestanden.

Angeklagter überzeugt von telepathischen Fähigkeiten – für ihn „selbstverständlich“

Die Vita des jungen Mannes ist für alle Beteiligten recht lückenhaft. Er soll Ende 2015 aus Syrien nach Deutschland, Anfang 2016 nach Siegen gekommen sein. Für 2018 ist eine Unterbringung in der Schweiz in den Akten nachgewiesen. Er selbst meint, früher nach Deutschland gekommen zu sein. Er hat Syrien zum Arbeiten erst Richtung Irak verlassen, ist dann in die Türkei und über Griechenland und die Balkanroute nach Deutschland gezogen. In Siegen kam er als unbegleiteter Jugendlicher in eine Friedenshort-Einrichtung, fiel aber schnell durch ständige Konflikte mit anderen Jugendlichen auf.

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Der Beschuldigte habe an andere hohe Anforderungen gestellt, sich selbst aber nicht einfügen wollen, so ein Vertreter der Jugendhilfe. Es sei zu massiven Sachbeschädigungen gekommen, immer wieder auch zu falschen Vorwürfen. Er gebe an, Stimmen zu hören und sei davon überzeugt, dass jemand in Syrien in seiner Kindheit sein Blut ausgetauscht und mit einer verunreinigten Flüssigkeit ausgetauscht habe. Zudem will er über telepathische Fähigkeiten verfügen. Das sei für den Betroffenen so selbstverständlich „wie sein Geschlecht“, werde von ihm überhaupt nicht hinterfragt, stellt der Sachverständige fest und geht davon aus, dass bislang jede Krankheitseinsicht fehle.

Siegener mit zahlreichen Symptomen: Auch in guten Phasen kaum Respekt vor Gesetz

Seit mehr als einem halben Jahr ist der junge Mann bereits vorläufig in der LWL-Klinik in Lippstadt-Eickelborn untergebracht. Laut Gutachten von Psychiater Dr. Thomas Schlömer leidet er an einer paranoiden Schizophrenie, deren Stärke enorm und Ausprägung geradezu lehrbuchmäßig sei. Dazu kämen möglicher Medikamentenmissbrauch und eine dissoziale Persönlichkeit – auch in Phasen, in denen die Krankheit weniger aktiv sei, habe der Beschuldigte kaum Respekt vor dem Gesetz oder anderen Menschen gezeigt. Der Mediziner sieht zumindest bei dem Raub Schuldunfähigkeit – hier sei die Psychose akut gewesen.

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Bei den anderen Vorwürfen legt er sich weniger deutlich fest. Die Voraussetzungen für eine Unterbringung seien gegeben, auch eine künftige Gefährlichkeit des Probanden; eher indes bezüglich Sachbeschädigungen als für Angriffe auf Menschen. Letztlich hänge dies jedoch vom reinen Zufall ab, weil der Mann in aktiven Schüben einfach nicht in der Lage sei, objektiv zu entscheiden. Er fühle sich verfolgt, könne im schlimmsten Fall jeden als Bedrohung empfinden.

Anwältin: Angeklagter wird im Kreisklinikum Siegen nur ruhiggestellt

Anwältin Petra Heinrich hat persönlich Zweifel. Sie wisse einfach nicht, ob ihr Mandant tatsächlich so gefährlich sei, dass es eine Unterbringung rechtfertige. Anderseits halte sie die Behandlung in der Einrichtung aber für eine sehr wichtige Chance. Sie müsse davon ausgehen, dass er bei einer Entlassung schnell wieder auf die für ihn so wichtigen Medikamente verzichte, dass ebenso schnell die nächste Unterbringung im Kreisklinikum erfolge. Dort fehle es einfach an den richtigen Therapiemöglichkeiten. Er werde ruhiggestellt, sonst passiere nichts. Ihr Schützling bittet danach um „eine letzte Chance. Es wird nichts mehr passieren!“

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Das Urteil ist für den 15. März geplant.