Siegen. Neue Erkenntnisse über Siegener Nazi Adolf Haas: Für mehr als 1000 Tote verantwortlich, nie vor Gericht gestellt, für tot erklärt. Stimmt das?

Wer war Adolf Haas? Einiges ist über den gebürtigen Siegener bekannt: Bäcker, Opportunist, SS-Mann, KZ-Kommandant. Verurteilt wurde der Nazi-Scherge für seine Taten nie. Nach dem Krieg verliert sich seine Spur. Der Historiker Jakob Saß berichtet in seinem Vortrag in der Siegerlandhalle von aktuellen Erkenntnissen, dem Umgang der jungen BRD mit Altnazis und geht auch auf aktuelle Fälle von Prozessen gegen Nationalsozialisten ein, die derzeit Aufsehen erregen.

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Adolf Haas wurde 1893 in Siegen geboren, wuchs in Hachenburg auf und machte später bei der SS Karriere. Nach anfänglichen Aktivitäten rund um seine Heimatstadt im Westerwald leitete Haas das KZ Niederhagen/Wewelsburg (1940-1943) war danach erster Kommandant des neu eingerichteten Lagers Bergen-Belsen (1943-1944). Trotzdem findet sich sein Name nicht in ersten Reihe der bekannten Täter. Haas wurde nie vor Gericht gestellt, obwohl er nach Aktenlage für mehr als 1000 Tote verantwortlich ist.

Gelernter Konditor Adolf Haas aus Siegen: Gieriger Opportunist

Haas war gelernter Konditor und selbstständiger Bäcker, der nach mäßiger Schulbildung und zeitweiliger Sympathie für den Kommunismus 1931 in die NSDAP, ein Jahr später in die SS eintrat. Zeitgenossen, so Historiker Saß, hätten Haas als Opportunisten beschrieben: Als einen, der vor allem aus persönlicher Gier handelte – und der wahrscheinlich nicht verurteilt worden wäre, weil er andere schlagen und töten ließ, der aber andererseits auch Häftlinge geschützt habe.

Der Historiker Jakob Saß berichtet beim Siegener Forum von neuen Erkenntnissen über den Nazi Adolf Haas.
Der Historiker Jakob Saß berichtet beim Siegener Forum von neuen Erkenntnissen über den Nazi Adolf Haas. © Michael Kunz

Als Bergen-Belsen von den Briten befreit wurde, hieß der Kommandant Josef Kramer. Der sei derart grausam und berüchtigt gewesen, dass er seinen Vorgänger Haas schnell habe vergessen lassen, so Jakob Saß, der 2019 ein Buch über Haas vorlegte, ihn bereits 2017 in Siegen vorstellte. Haas Zeit nach 1945 kann aus Sicht des Historikers beispielhaft für die Nachkriegszeit und deren Umgang mit dem Dritten Reich an sich sein: Haas gilt seit 1. Mai 1945 als verschollen. Im April nahm er noch an einem Verfahren mit Todesurteil gegen einen fahnenflüchtigen SS-Mann im Konzentrationslager Neuengamme teil. Als seine Frau ihn 1950 für tot erklären ließ, wurde das Sterbedatum – aus Unkenntnis – dennoch in den März gelegt.

Nach dem Krieg kaum Interesse, Schicksal des Siegeners Adolf Haas zu klären

Es habe keinen Austausch unter den Staatsanwaltschaften gegeben, nennt Jakob Saß einen der Gründe, warum der Fall nie aufgeklärt wurde. Zig Täter hätten unerkannt im Ausland oder unter falschem Namen in Deutschland unbehelligt weiterleben können. Der Historiker aus Potsdam hatte schon früher von Vermutungen berichtet, dass Adolf Haas noch Jahre später immer wieder in Hachenburg gesehen worden sei – weitere Augenzeugenberichte bestätigten das. Von der Familie sei allerdings nicht viel zu erfahren. Damals habe es überhaupt kein Interesse gegeben, das Schicksal des gebürtigen Siegeners zu klären. Dafür sei nicht zuletzt die Kontinuität in den Behörden zu groß gewesen, wo viele Beamte aus der NS-Zeit schnell wieder eingesetzt worden seien und Karriere machten.

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Von gut einer halben Million Tätern wurde gerade einmal ein Prozent verurteilt, stellt Saß fest. Adolf Haas sei auch deshalb davongekommen, weil die Besatzungsmächte es eilig gehabt und miteinander in dieser Sache konkurriert hätten. Da seien aufgegriffene Täter verurteilt worden, weitere Ermittlungen nicht so wichtig gewesen. Die deutschen Behörden hätten zudem Anweisung gehabt, sich nur um bekannte Verdächtigen zu kümmern – umgekehrt entstand die Vorstellung, die wichtigen Verbrecher seien bereits verurteilt. Viele hätten sich auf Befehlsnotstand berufen; seien davongekommen weil ihnen individuelle Schuld nicht nachgewiesen werden konnte. Die Rechtsprechung habe sich erst 2011 durch das Demjanjuk-Urteil verändert: Die bloße Anwesenheit in den Lagern reichte für eine Beteiligung aus.

Siegener Adolf Haas typisch für die NS-Zeit: Streben nach Macht und eigenem Vorteil

Jakob Saß arbeitet derzeit an seiner Dissertation zu rechten Strömungen in Bundeswehr und NVA. Daher geht es auch um Militärtraditionen in Deutschland, aktuelle rechte Bedrohungen, Erinnerung an den „sogenannten Widerstand“ des 20. Juli 1944. Saß benutzt diese Einschränkung und kritisiert die Widerständler für ihre nicht unbedingt demokratische Einstellung – Beifall von eher linken Zuhörern, Widerspruch auf der konservativen Seite des Publikums.

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Einigkeit besteht darin, dass sich die Gesellschaft dahingehend wandeln muss, dass Menschen wie Haas nicht so leicht zum Täter werden können. Für den Siegener Theologen und Journalisten Günther Klempnauer (85) sind Männer wie Adolf Haas typisch für eine Zeit, in der es keine klaren Instanzen mehr, nur noch eigenes Streben nach Vorteil und Macht gegeben habe – oft von Männern ohne Kultur und Bildung. Laut Max Horkheimer könne es keinen vernünftigen Grund geben, einen anderen Menschen zu töten, außer dem persönlichen Vorteil. Er selbst sei als Kind Zeuge von Erschießungen durch russische Soldaten geworden. Auf Drohungen, sich beim Kommandanten zu beschweren, habe ein Soldat geprahlt: „Ich bin Kommandant“. Gegen solche Machtfantasien sei Gott ins Grundgesetzt gekommen.

Die Aufarbeitung der Nazi-Zeit in Deutschland: Verfolgung wichtiges Signal

Insgesamt sieht der Historiker die Aufarbeitung der NS-Zeit in Deutschland positiv: Die Situation nach dem Zweiten Weltkrieg sei typisch für Staaten, die aus Notlagen geboren, mit schnell und provisorisch geschaffenen Strukturen versehen wurden. Nicht zu vergessen der bald einsetzende Kalte Krieg. „Im Vergleich zu anderen besiegten Ländern wie Italien, Japan oder Österreich ist dennoch viel erreicht worden“, so Saß.

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Deutschland gelte nicht umsonst als vorbildlich, gerade die anhaltende Verfolgung und Vorgerichtstellung auch betagter Verdächtiger sende wichtige Signale an Täter und Opfer. Die wichtigste Aufgabe für die Zukunft sieht er darin, fehlende Zeitzeugen durch Techniken wie interaktive Hologramme weiter zu Wort kommen zu lassen, daneben auch weiter junge Menschen anzusprechen.