Netphen. Bei den Fahrprüfungen im Siegerland kommt es zu teils langen Verzögerungen. Fahrlehrer Jens Schiller ist genervt – der TÜV bittet um Verständnis.
Frei und unabhängig sein, das versprechen sich viele Fahrschüler und Fahrschülerinnen von ihrem Führerschein. Momentan müssen sie sich aber teilweise lange gedulden, um die große Freiheit zu erlangen. „Aktuell müssen Fahrschüler in Siegen bis zu acht Wochen auf ihren Prüfungstermin warten“, sagt Fahrlehrer Jens Schiller aus Netphen.
Siegen und Umland: Das lange Warten auf die Fahrschulprüfungen
„Wie die Lehrer bei einer Klausur in der Schule arbeiten wir mit unseren Schülern in vielen kleinen Schritten auf den angemeldeten Prüfungstermin hin“, erzählt Jens Schiller. Die eingeschränkte Planungsunsicherheit sei das, was ihn derzeit mit am meisten störe. „Mal sind es sechs, dann wieder nur drei oder vier Prüfungen, die bewilligt werden.“
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Wenn es dann zu Verzögerungen im Prüfbetrieb kommt und der Termin nicht genehmigt wird, bekommen die Fahranfänger das auch finanziell zu spüren. Denn um prüfungsbereit zu bleiben, nehmen viele vor der praktischen Prüfung noch einmal extra Stunden – und das ist teuer.
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Gleichzeitig verzeichnen die Fahrschulen Umsatzeinbußen, da sie an den Prüfungen mehr verdienen als an den Fahrstunden, so der Fahrlehrer. „Aufgrund der Verzögerungen stauen sich immer mehr de facto prüfungsbereite Fahrschüler an. Wir müssen jetzt erst mal das abarbeiten, was liegen geblieben ist.“
Siegen und Umland: Fahrschule Jens Schiller beklagt momentane Situation
Die Kapazitäten von Jens Schillers Fahrschule sind mit dem Warteschlangen-Abbau voll ausgelastet. Seit Mitte des Jahres nimmt er keine Fahrschüler für die Zweirad-Führerscheinklassen mehr an. „Ich konnte den Leuten, die angefragt hatten, nicht versichern, dass sie ihre Führerscheinprüfung noch in diesem Jahr machen können, daher habe ich mich schweren Herzen dazu entschieden, sie abzuweisen“, so Jens Schiller. Neue Schüler und Schülerinnen für die Pkw-Führerscheinklassen nimmt die Fahrschule aber weiterhin an.
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„Wir kämpfen um Prüfungstermine, vertrösten unsere Schüler und beruhigen deren Eltern“, so beschreibt Jens Schiller seinen Beruf momentan. „Ich habe das Gefühl, dass ich mich vor allen ständig rechtfertigen muss.“ So habe es viele Beschwerden gegeben, dass Fahrschulen die Prüfungstermine hinauszögern würden, um mehr Geld zu verdienen. Dabei haben die Fahrlehrer mit der Terminvergabe nichts zu tun, so Jens Schiller. Er sieht hier den TÜV in der Verantwortung.
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Terminengpässe gäbe es schon seit einigen Jahren immer mal wieder. Vor der Pandemie seien aber Prüfungstermine, die vier Wochen im Voraus vom Fahrlehrer angemeldet wurden, in der Regel vom TÜV genehmigt worden. Seit dem ersten Lockdown im letzten Jahr funktioniere das nicht mehr. Schon vor der Pandemie meldeten Jens Schiller und sein siebenköpfiges Fahrlehrerteam durchschnittlich pro Woche zehn bis elf Prüfungstermine beim TÜV in Siegen an. „Momentan werde davon aber nur 50 bis 60 Prozent genehmigt“, berichtet er.
Siegerland: Das sind die Ursachen für das monatelange Fahrprüfungs-Warten
Sven Ulbrich, Leiter der Kommunikation vom TÜV Nord, räumt ein, dass es nach wie vor corona-bedingt zu Verzögerungen bei der Vergabe von Prüfterminen kommt. Schließlich konnten während der Lockdowns keine Fahrstunden und damit auch keine Prüfungen stattfinden. Daraus habe sich eine lange Warteschlange an Kandidaten ergeben, die der TÜV gerade abarbeite.
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Fahrlehrer Jens Schiller vermutet andere Gründe: „Schon vor Corona hatte ich das Gefühl, dass der TÜV nicht ausreichend Fahrprüfer beschäftigt, aber seit dem Lockdown hat sich die Personalknappheit weiter zugespitzt.“ Außerdem gäbe es immer weniger Fahrschulen, was das aktuelle Problem verschärfe.
TÜV Siegen: Coronabedingt gibt es mehr Fahrschüler
Der TÜV Siegen bestätigt, dass es coronabedingt erheblich mehr Fahrschüler gibt, die geprüft werden wollen. Der TÜV Nord habe versucht, dem aktiv entgegenzuwirken: Von Januar bis September 2021 seien mehr als 2000 praktische und 800 theoretische Prüfungen mehr gefahren worden als 2020, so Rainer Camen, der Verantwortliche für die Konzern-Kommunikation im Bereich Verkehr und Mobilität vom TÜV Nord. Ihm zufolge liegt das „Problem“ der Fahrschule Schiller darin, dass sie sich deutlich vergrößert habe und daher viel mehr Prüfungen benötige.
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Ein weiterer Grund für den Stau bei der Terminvergabe: Anfang des Jahres wurden neue Prüfungszeiten festgelegt. Praktische Fahrprüfungen sind statt 45 nun 55 Minuten lang . „Deshalb kann ein Fahrprüfer nun nicht mehr elf, sondern nur noch neun Prüfungen am Tag abnehmen“, sagt Jens Schiller. Der TÜV sieht eine Mitschuld bei den Fahrschulen und kritisiert, dass oft überdurchschnittlich hohe Durchfallquoten einzelner Fahrschulen auch ein Grund für Verzögerungen seien, die dann eine große Prüfungswelle vor sich herschieben. Schlussendlich ist es wahrscheinlich die Kombination all dieser Gründe, warum es bei der Vergabe der Prüfungstermine aktuell zu Problemen kommt.
Siegen und Umland: Fahrprüfungen stauen sich an – die Lösungen
Die Lage sei für alle komplex, deshalb könne man auch nur gemeinsam in Absprache mit den Fahrschulen zu Lösungen kommen, erklärt Sven Ulbrich vom TÜV Siegen. Die einzige langfristige Lösung für das Problem mit den Verzögerungen ist für Jens Schiller eine Veränderung der Personalstruktur beim TÜV. Es brauche mehr qualifizierte Fahrprüfer. Der Beruf des Fahrprüfers müsste auch für Quereinsteiger attraktiver gemacht werden. Kurzfristig zum Abbau des pandemiegeschuldeten Rückstaus würde der Fahrlehrer auch die Aussetzung der neuen Prüfungszeiten empfehlen.
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Die jetzigen Ansprechpartner des TÜV täten ihr Möglichstes, um auf die Wunschtermine der Fahrlehrer einzugehen, so Jens Schiller. Die Zusammenarbeit mit den zuständigen Stellen sei immer gut gewesen, nur mangele es an Prüfern, um die aktuelle Nachfrage zu bedienen. Die Prüfer des TÜV Nord bitten darum, in diesen außergewöhnlichen Zeiten Verständnis zu zeigen. „Wir arbeiten hart am Abbau des Überhangs und sind zuversichtlich, dass in absehbarer Zeit wieder Normalbetrieb herrscht“, sagt der Vertreter des TÜV Nord. Fahrlehrer Jens Schiller glaubt aktuell nicht daran, dass der TÜV wie angekündigt bis Anfang kommenden Jahres die angestauten Prüfungstermine abarbeiten kann.
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