Siegen. Weniger Auto, mehr Fahrrad: Stadt Siegen will Radwegenetz systematisch ausbauen. Wichtiger Baustein: Tempo 30 statt 50, nicht nur in Wohngebieten

Die Verkehrsinfrastruktur ändert man nicht mal eben so. Jahrzehntelang stand das Auto im Scheinwerferlicht der Straßenplanung – der „motorisierte Individualverkehr“ erhielt im Straßenraum Priorität. Was übrig blieb, bekamen Fußgänger, Radfahrer, Busse. Die Dominanz des Autos soll in Siegen zurückgefahren, der „Umweltverbund“ gestärkt werden und mehr Fläche auf den Straßen erhalten. Nicht von heute auf morgen mit der Brechstange, sondern stetig, Stück für Stück. Die Stadt will nun ihre inzwischen zahlreichen Konzepte bündeln und einen Rahmenplan für konkrete Änderungen im Verkehrsnetz aufbauen.

Die Ausgangslage grob vereinfacht: In den Siegerländer Tälern drängt sich die (Verkehrs-)Infrastruktur, auf den Bergen wird gewohnt. Zwischen Städten und Stadtteilen, Haupt- und Nebenzentren müssen in der Mittelgebirgslandschaft auch weitere Entfernungen zurückgelegt werden. Das Auto war dazu jahrzehntelang das Mittel der Wahl im Individualverkehr. Ein attraktives öffentliches Verkehrsnetz, das effektive Verbindungen anbietet, wäre sehr aufwendig und teuer.

Den knappen Siegener Verkehrsraum intelligent zwischen Auto, Rad und Bus aufteilen

Gerade mit der Elektromobilität im Fahrrad-Bereich kann aber ein guter Teil des Verkehrs von vier auf zwei Räder umgelegt werden, die Zahl der E-Bike-Nutzenden steigt seit einiger Zeit erheblich. Dafür werden Radwege aller Art in Siegen und in Siegen-Wittgenstein sukzessive ausgebaut und in dem Maße, in dem der Auto-Anteil reduziert wird, kann der Anteil für Bus und Fahrrad steigen, ohne einen Verkehrsträger auch künftig zu benachteiligen. Bis zum Jahr 2030 sollen fünf Prozent weniger Autos auf Siegener Straßen fahren.

Trotz Trittkraftunterstützung: E-Bikes sind für Autos ein Hindernis im Verkehr, wie hier am Giersberg in Siegen.
Trotz Trittkraftunterstützung: E-Bikes sind für Autos ein Hindernis im Verkehr, wie hier am Giersberg in Siegen. © Hendrik Schulz

Weil der Platz auf den Verkehrswegen nun einmal begrenzt ist, muss er intelligent aufgeteilt werden. Busse und Autos teilen sich zum überwiegenden Teil die Fahrspuren – eine Verschlechterung fürs Auto führt auch zu einer Verschlechterung für Busse. Siegen ist das Nadelöhr im kreisweiten ÖPNV, weil hier das Verkehrsaufkommen besonders hoch ist und sehr viele Linien fahren. Dabei soll der Busverkehr ja gerade attraktiver werden.

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Fahrräder müssen, wo es keine eigenen Radwege gibt, als schwächere Verkehrsträger sicher auf der Straße unterwegs sein können, auf eigenen Fahrspuren oder Radfahrstreifen mit auf sie abgestimmten Ampelschaltungen.

Das Siegener Verkehrsnetz ist ebenso groß wie kompliziert

Da in vielen Wohngebieten ohnehin bereits Geschwindigkeitsbeschränkungen gelten, ist die Fortbewegung mit dem Fahrrad dort vergleichsweise gut möglich. Anders sieht das eben auf den Hauptachsen aus, wo es neben mehrspurigen Auto-Straßen längst nicht überall eigene Radwege gibt – und auch die gilt es überhaupt erst mit dem Rad zu erreichen.

Die Route zwischen Siegen und Kreuztal, hier in Weidenau an der Ferndorf, soll zu einer Vorrangroute für den Radverkehr ausgebaut werden.
Die Route zwischen Siegen und Kreuztal, hier in Weidenau an der Ferndorf, soll zu einer Vorrangroute für den Radverkehr ausgebaut werden. © Hendrik Schulz

Ein Verkehrsnetz überhaupt neu zu planen – geschweige denn umzubauen – ist erheblicher Aufwand, personell und finanziell. Ansätze und Ideen gibt es genug, aber das System ist ebenso riesig wie komplex. Nicht nur, weil es während der Baumaßnahmen dennoch mit Einschränkungen weiter funktionieren muss, sondern weil eben geplant und bewilligt werden muss – auch und gerade im Hinblick auf Natur-, Umwelt- und Gewässerschutz, auf Eigentumsverhältnisse oder mögliche Bomben-Blindgänger.

Grundsätzliches Ziel ist es, auf den Hauptachsen (Nord-Süd, Ost-West, übergeordnete Verbindungen) durchgängige Radwege zu etablieren und diese an die Nebenstrecken und Wohngebiete anzubinden.

Siegen hat mehrere Konzepte in Sachen Radverkehr – und will sie nun bündeln

Nicht nur die Stadt Siegen treibt seit einigen Jahren den Ausbau der Radinfrastruktur voran: Ertüchtigung von Wirtschaftswegen, Ausbau vorhandener Radwege, Radschutzstreifen, Abstelleinrichtungen. Fahrspuren auf wichtigen Straßen werden für ÖPNV und/oder Fahrrad umgestaltet, wo immer eine Straße angegangen wird, soll Radverkehr entscheidend mitbedacht werden. Stück für Stück. Der große Wurf ist das noch nicht.

Der „Strategische Rahmenplan Radverkehr“ könnte nun dieser Wurf werden. Mit dem Klimaschutzteilkonzept Mobilität der Stadt, den Plänen für eine Radvorrangroute Betzdorf-Siegen-Kreuztal, dem Verkehrskonzept zum Uni-Umzug in die Stadt und dem Radverkehrskonzept des Kreises Siegen-Wittgenstein liegen entsprechende Grundlagen vor, die eine systematische Anpassung und Modernisierung des Verkehrssystems hin zu weniger Auto und mehr Umweltverbund erlauben. Er „soll für das städtische Straßennetz präzise Angaben zu Maßnahmenempfehlungen machen und Abschnitte mit intensiverem Prüfungsbedarf aufzeigen“, heißt es in der Vorlage der Abteilung Straßen- und Verkehrsplanung. Ziel: Fürs gesamte Stadtgebiet ein zusammenhängendes Radverkehrsnetz, das systematisch vorangetrieben wird – statt auf „Zuruf“, wenn ohnehin irgendwo eine Baumaßnahme ansteht.

Die strukturierte Umsetzung eines Radverkehrskonzepts in Siegen dauert Jahre

Eine nicht zu vernachlässigende Rolle kommt dabei der Höchstgeschwindigkeit zu (siehe unten). E-Bikes schaffen auch an Steigungen einigermaßen problemlos 25 Stundenkilometer, stellen damit für ein Auto mit Tempo 50 immer noch ein erhebliches Verkehrshindernis dar. Bei Tempo 30 statt 50 erhöht sich neben Komfort und Aufenthaltsqualität vor allem die Sicherheit grundlegend für alle, die nicht im Auto sitzen – schon allein, weil deren Anhaltewege nur halb so lang sind. In Tempo-30-Zonen sei eine eigene Infrastruktur für Fahrräder daher gar nicht nötig, so die Planer.

Das Tempo-30-Zonen-Konzept der Stadt Siegen von 1991 (rote Bereiche) wurde 2016 ergänzt (gelb markierte Bereiche).
Das Tempo-30-Zonen-Konzept der Stadt Siegen von 1991 (rote Bereiche) wurde 2016 ergänzt (gelb markierte Bereiche). © Stadt Siegen

Das Gesamtkonzept ordnet im Idealfall alle anstehenden Maßnahmen auf mehrere Jahre hinaus – dann kann „abgearbeitet“ werden. Während Schutzstreifen-Markierungen vergleichsweise schnell erledigt sind, benötigt die Umsetzung eines Radweg-Neubaus meist mehrere Jahre, entsprechende Planungsvorarbeiten können zeitnah eingeleitet und die nötigen Mittel bereitgestellt werden.

2025 soll eine weitere Mobilitätsbefragung durchgeführt werden, um das konkretisierte Konzept – Fertigstellung voraussichtlich 2022 – auf die tatsächlichen Gegebenheiten anpassen zu können. Dazu dienen auch die bereits vorhandenen Zählschleifen, die an bestimmten Verkehrsknotenpunkten die Zahl der Radfahrer erfassen.

Tempo 30 soll in Siegen nicht nur in Wohngebieten gelten

Seit 1991 hat die Stadt Siegen ein „Gesamtkonzept Tempo-30-Zonen“, das sie nach zwei Jahrzehnten, in denen sich der Verkehr massiv verändert hat, nun fortschreiben will. Leichte Anpassungen wurden bereits 2016 vorgenommen.

Veränderungen könnten demzufolge nicht nur die bestehenden 30er-Zonen betreffen, sondern auch abschnittsweise Hauptstrecken – im Umfeld sensibler Einrichtungen, wie es bei vielen Seniorenheimen bereits der Fall ist, oder nahe verkehrsberuhigter Geschäftsbereiche, wie es in der Vorlage heißt. Zunächst soll überhaupt festgestellt werden, ob alle Tempo-30-Zonen umgesetzt sind, wo sensible Einrichtungen sind und wo nötig nachgesteuert werden. Dann wird das neue Lagebild mit dem alten Konzept verglichen, um konkrete Maßnahmen ableiten zu können.

Durchgangsverkehr in Siegen nicht über Schleichwege, sondern Hauptrouten abwickeln

Die Verwaltung geht davon aus, dass eine reine Beschilderung für einen Erfolg nicht ausreicht, sollten weitere Maßnahmen nötig werden.

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Abseits der Hauptrouten haben sich in Siegen einige „Schleichwege“ etabliert – künftig sollen diese Durchgangsverkehre mit den Maßnahmen des Konzepts wieder auf das schnellere Hauptnetz verlagert werden. Das verbessere die Verkehrssicherheit in den Wohngebieten und schaffe womöglich auch Möglichkeiten, Verkehrsflächen anders zu nutzen