Burbach/Siegen. Nach 73 Verhandlungstagen ist der Burbach-Hauptprozess in Siegen vorbei. Die Wahrheitsfindung ist trotz aller Bemühungen nur bedingt gelungen.

„Dann ist die Sitzung damit geschlossen.“ Es ist 12.49 Uhr am Mittwoch, 7. Juli, als die Vorsitzende Richterin Elfriede Dreisbach diesen Satz ausspricht. 73 Mal hat sie diese Worte allein in dem Verfahren gesagt, das gerade zu Ende gegangen ist. Der Burbach-Prozess ist damit Geschichte, die letzten vier Angeklagten des Umfangsverfahrens sind verurteilt.

+++Mehr Nachrichten aus Siegen und dem Siegerland finden Sie hier!+++

Seit 8. November 2018 hatten die Männer fast jede Woche einmal in der Verhandlung gesessen, anfangs zusammen mit 28 weiteren. Bis vor ein paar Wochen im Gläsersaal der Siegerlandhalle, weil im Gerichtsgebäude kein Saal für so viele Personen plus Verteidiger existiert. Zum Auftakt hatte es großes Medieninteresse gegeben. Jetzt, zum Schluss, wiederholt sich das, während zwischendurch kaum noch jemand im Zuschauerbereich saß.

Burbach-Prozess in Siegen endet mit vier moderaten Geldstrafen

Dabei ist dieses Finale eher unspektakulär. Die drei früheren Wachmänner und ein Ex-Sozialbetreuer bekommen moderate Geldstrafen. Der Ex-Wachmann G. wird wegen Freiheitsberaubung zu einer Geldstrafe von 2800 Euro verurteilt, im Übrigen freigesprochen. Sein damaliger Kollegen H. soll für drei erwiesene Fälle der Freiheitsberaubung 3400 Euro zahlen und erhält ansonsten auch einen Freispruch. Kleine Ironie: Einer der Zeugen hatte den Siegerländer als „der Nette, der uns immer auf die Toilette gehen ließ“, bezeichnet. Allerdings schloss H. danach die Tür des „Problemzimmers“ wieder ab. Womit ihm eine Freiheitsberaubung nachgewiesen war.

+++ Lesen Sie hier: Burbach: Ex-Wachmann zu Geldstrafe verurteilt+++

Für den ehemaligen Sozialbetreuer L. stehen am Ende fünf Fälle der Freiheitsberaubung im Urteil und eine Gesamtgeldstrafe von 900 Euro. Bleibt noch der frühere Wachmann O., der wegen zweifacher Freiheitsberaubung 3500 Euro zahlen soll. Eine der beiden Freiheitsberaubungen ist in Tateinheit mit einer Nötigung verurteilt worden. Da ging es um das berüchtigte Video, mit dem der Skandal seinen Anfang nahm. O. wurde eindeutig als jener Wachmann identifiziert, der auf einen hilflos wirkenden Bewohner einbrüllt, er solle als guter Christ die Wange noch einmal hinhalten und werde sich gleich noch ein paar Schläge oder Tritte fangen.

Siegen: Einer der letzten vier Angeklagten im Burbach-Prozess bittet um Entschuldigung

Die Angeklagten haben sich am Vormittag ihren Verteidigern angeschlossen. Nur O. nutzt die Gelegenheit, alle Betroffenen „aufrichtig um Entschuldigung“ zu bitten und zu versprechen, dass mit seinem Wissen nie wieder Ähnliches geschehen werde. Die sechs Monate, die er in Burbach gearbeitet habe, hätten sein Leben nachhaltig geprägt und in den vergangenen Jahren auch schwer belastet, viele Dinge für immer zerstört.

+++ Lesen Sie hier: Auf der Anklagebank ist auch das „System Burbach“+++

Auf diese Belastungen für die Angeklagten und speziell seinen eigenen Mandanten hat davor ebenfalls Verteidiger Stefan Heiermann hingewiesen. Der war am vorherigen Verhandlungstag verhindert und erhält noch die Gelegenheit zum Plädoyer. Sein Mandant L., der einzige noch im Prozess verbliebene Sozialbetreuer, sei nicht in die Einrichtung gegangen mit dem Vorhaben, „ich quäle jetzt hier mal Menschen“, er habe sich gefreut, einen Job zu bekommen. Der Mann sei in Tunesien geboren, habe hier dennoch recht ordentlich Fuß gefasst und müsse an seinem Weg eigentlich nichts ändern.

Vorfälle in Flüchtlingsunterkunft: „Alle in Burbach waren auf sich selbst gestellt“

Verantwortlich für die Geschehnisse in Burbach seien ganz andere Leute, „von denen keiner hier sitzt!“ Jene, die für die Organisation verantwortlich gewesen seien, „müssten eigentlich sehr hart bestraft werden“ Heiermann ist überzeugt, dass für Fälle wie die des L. normalerweise eine Einstellung mit Geldauflage die angemessene Lösung sei, die aus seiner Sicht auch bereits vor der Hauptverhandlung hätte gefunden werden können. Wie sein Kollege im Juni bittet er dann um eine Geldstrafe am unteren Rand. Auf Freispruch gehe er nicht, „denn da war ja doch etwas“.

+++ Lesen Sie hier: Burbach-Prozess: Zwei Verfahren vor der Einstellung+++

Dass letztlich alle Beteiligten in einer Situation agieren mussten, auf die sie nicht vorbereitet wurden, hat auch die Vorsitzende in ihrer Begründung betont. „Alle in Burbach waren auf sich selbst gestellt“, sagt Dreisbach. Es habe viele Schwierigkeiten und gefährliche Situationen gegeben. Die Kammer habe sich bemüht, die Wahrheit zu finden, was aber nur bedingt gelungen sei. Und der Staatsanwalt habe noch reichlich Material gegen weitere Beschuldigte auf seinem Schreibtisch sagt er mit Blick auf die abgetrennten Verfahren (siehe Infobox).

Burbach-Prozess in Siegen: Viele Zeugen waren nicht mehr erreichbar

Auch der Zustand der Angeklagten sei dabei von Bedeutung. Der „Obersozialbetreuer“ B. etwa ist seit längerem nur sehr bedingt verhandlungsfähig. Er selbst fühle sich gut an diesem Tag, sagt Oberstaatsanwalt Christian Kuhli am Ende des Verfahrens. Das sei lang, aber auch in dieser Intensität zur Aufbereitung aller Umstände wichtig gewesen. Er sei nicht böse, „wenn es irgendwann ganz vorbei ist“, aber die Zeit belaste ihn nicht.

+++ Lesen Sie hier: Siegen: Zeuge im Burbach-Prozess berichtet vom Problemzimmer+++

„Es war von Anfang an klar, dass es eine schwierige Sache wird, dass viele Zeugen nicht mehr erreichbar sein würden“, sagt der Oberstaatsanwalt.

Fast ein wenig tragisch: Anwalt Daniel Walker, der vor allem zu Beginn der Hauptverhandlung an vielen Einsprüchen und Befangenheitsanträgen beteiligt war und beim Plädoyer noch einmal alle juristischen Register gezogen hat, verpasst diesen historischen Schlusspunkt. Zum letzten Wort der Mandanten ist er noch dabei, muss sich dann aber für den Mittag wegen eines dringenden persönlichen Termins entschuldigen.

+++Die Lokalredaktion Siegen ist auch bei Facebook!+++

+++Täglich wissen, was in Siegen und dem Siegerland passiert: Hier kostenlos für den Newsletter anmelden!+++