Kreuztal. Keine heile, aber eine bunte Welt: Dass in Kreuztal ein Großimpftag gegen Corona auf den anderen folgt, ist typisch für den Geist dieser Stadt.

Zuversicht? Das Wichtigste ist Gesundheit. Sagt man immer schon so. Und seit Corona meint das jeder wirklich. Für Walter Kiß ist das keine Frage. Der Kreuztaler ist Bürgermeister seiner Heimatstadt, das Rathaus ist seit 42 Jahren sein Arbeitsplatz. Ein gedanklicher Rundgang durch eine Stadt, in der viel Hoffnung wächst.

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Überall

„Die Idee ist mir bei einem Arztbesuch gekommen“, erzählt er. Man sprach, natürlich, übers Impfen, über möglichst viel Impfen. Ein Parkplatz, das Rathausfoyer? Zu unpraktisch, zu klein. Die Stadt öffnet ihre Hallen, die Krombacher Brauerei ihre Erlebniswelt. Die Hausärzte der Stadt tun sich zusammen, neben den Familydocs gibt es die Kooperationsgemeinschaft, die Stadt kümmert sich um das ganze Drumherum. Seit Wochen gibt es nun Impftage für alle. „So lange, bis alle geimpft sind“, verspricht Walter Kiß. So sorgt die Stadt für ihre Bürger.

Kreuztals Bürgermeister Walter Kiß lässt sich testen..
Kreuztals Bürgermeister Walter Kiß lässt sich testen.. © Jürgen Schade | Jürgen Schade

Dass Kreuztal wohl immer noch eine der Städte im Lande mit der schlechtesten hausärztlichen Versorgung ist, passt nicht in dieses Bild. Das sieht nämlich anders aus. „Wir holen auf“, sagt Walter Kiß und zählt auf, welche Praxis-Vakanzen beendet werden konnten oder gar nicht erst entstanden sind. „Man muss sich kümmern.“ Wenn ein Allgemeinmediziner sich niederlassen will, scheitert das nicht an Wohnung, Kita-Platz, Job für den Partner oder die Partnerin, Geld oder Technik. „In der Ärzteschaft hat sich Kreuztal einen Namen gemacht.“ Die Stadt sorgt für ihre Bürger.

Erlersiedlung

Kreuztal ist kein Bullerbü. Kreuztal hat keine historische Altstadt, mehr Industrie als Bauernhöfe, eine ganze Reihe Hochhäuser und viele soziale Probleme, die größere Städte nun einmal mehr haben als kleine Landgemeinden. Kreuztal setzt dagegen mit einer Infrastruktur für Sport, Freizeit, Kultur, Familien, Kinder und Schulen. Und einem dichten Netz für schwierige Lebenslagen. Für extrem schwierige Lagen wie der der Zuwanderer aus Südosteuropa, die als EU-Bürger hilfloser gestellt sind als zum Beispiel Geflüchtete, für die zumindest in der ersten Zeit gesorgt wird. Für sie hat Kreuztal Ankommenslotsinnen eingesetzt. Und dann die normalen schwierigen Lagen armer Familien verschiedenster Nationen.

Kreuztal hat die Erlersiedlung fit gemacht, mit Stadtteilbüro und Mehrgenerationenhaus ausgestattet, in Begegnungsmöglichkeiten investiert. „Das ist mit großem Aufwand an Personal verbunden“, sagt Walter Kiß. Und es funktioniert. „Den Imagewandel haben wir geschafft.“ Man wohnt gern in Kreuztal. Sogar in der Erlersiedlung, hätte man früher gesagt. Aber das wäre der falsche Zungenschlag.

Buschhütten

Kreuztal, die soziale Stadt. Was nach Wohlfühlen klingt, birgt Konflikte. In der künftigen grünen Mitte Buschhüttens – da, wo jetzt noch der Sportplatz ist – werden zum Verdruss von Anwohnern auch Mehrfamilienhäuser und „bezahlbare“ Mietwohnungen entstehen. „Eine lebendige Stadt lebt von unterschiedlichen sozialen Schichten und Angeboten“, sagt Walter Kiß. Sein Plädoyer für Vielfalt klingt energisch.

Station Bahnhof: Das Quartier von der Moschee bis zum Inklusionsrestaurant, vom Sozialdienst bis zum Künstleratelier ist gewünscht bunt.
Station Bahnhof: Das Quartier von der Moschee bis zum Inklusionsrestaurant, vom Sozialdienst bis zum Künstleratelier ist gewünscht bunt. © www.blossey.eu | Hans Blossey

Bahnhof

Von der Erlersiedlung über Buschhütten zum Bahnhof. „Die Ecke ist rund“, stellt der Bürgermeister fest und nimmt dazu den Heugraben mit in den Blick, der Innenstadt und Bahnhofsviertel miteinander verbindet. Alles wieder typisch Kreuztal: Der Kulturbahnhof mit den Künstlerateliers und der Ausstellungsgalerie in der ehemaligen Schalterhalle. Mit einer ehemaligen Bahnhofsgaststätte, in der heute die AWO ihr inklusives Restaurant Fünf10 betreibt. Einem Kiosk, in dem Menschen mit Behinderung arbeiten – in der Regie des Sozialwerks St. Georg. Nebenan das Haus, das die Stadt für den regionalen Sozialdienst des Kreises ausgebaut hat: „Damit die hier bleiben und die Menschen kurze Wege haben“, erklärt der Bürgermeister. Gegenüber das gerade neu eröffnete Restaurant von Aylin Yener, das das Zeug zu einer Lieblingsadresse hat. Schließlich, in der ehemaligen Post, die Moschee. Ein wichtiger Ort auch für soziale Arbeit, weiß der Bürgermeister. „Da helfen wir auch schon mal mit einem Klassensatz ausrangierter Schulmöbel.“ Wer hat schon so ein Bahnhofsviertel?

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Kaufcenter

Einkaufen unter der Glaskuppel? Der Werbeslogan von einst ist verblasst, die Passage hat eindeutig bessere Zeiten gesehen. Downgrading wäre das Wort dafür, Zuversicht findet sich hier nicht mehr. Muss auch nicht, findet Walter Kiß, der das Wort „Einkaufsromantik“ so ausspricht, als ob er damit nicht mehr viel anfangen will. „Was nicht mehr zeitgemäß ist, muss vom Markt genommen werden.“ Die Stadt braucht nicht mehr so viele Einzelhandelsflächen. Lebensmittel, Drogerie, Kleidung, Schuhe, fertig. In die Stadtmitte kommt man aus anderen Gründen: Man trifft sich, verweilt. Vor allem in der Stadtbibliothek, die einmal Squashcenter war. „Da haben wir geklotzt.“ In den Eisdielen, beim Metzger. Auf dem Roten Platz. Die Stadt hat dafür gesorgt, dass Menschen hierhin kommen: Praxen, Apotheken, Post. Das ganze ehemalige Provinzialgebäude – gefüllt mit den Büros des Medizinischen Dienstes der Krankenkassen. Und es gibt Optionen für mehr: Ein Wirtschaftsverband interessiert sich, ein Hotel steht sowieso auf der Kreuztaler Wunschliste, für das noch fehlende Pflegeheim mit 80 Plätzen öffnet sich eine Möglichkeit. „Wir haben viele Grundstücke zusammengekauft“, sagt Walter Kiß, „das macht sich jetzt bezahlt.“ Die Stadt sorgt vor.

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Draußen

„Wir müssen jetzt auf die Dörfer gehen“, fordert der Bürgermeister: Buschhüttens neue Mitte, das Regionale-Projekt auf dem Ferndorfer Bender-Gelände, die Dorfplätze in Eichen und Krombach. Die Stadtteile führen ihr eigenes Leben, werden aber nie ohne die Stadt auskommen. Deshalb reagiert man im Rathaus auch allergisch auf Einzelhandelsansiedlungen, die ins Zentrum gehören: Kredenbach wurde reduziert, Ernsdorf rund um Peter Ernst hätte es heute so nicht mehr gegeben. „Wir dürfen uns das Zentrum nicht kaputt machen“, sagt Walter Kiß, „das Zusammenspiel muss ein großes Ganzes ergeben.“

Überall Aufbruch. Weil er gelingt, entsteht Zuversicht.

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