Hilchenbach. Der Plan des Hilchenbacher Bürgermeisters beginnt mit dem Abschied von nicht mehr realistischen Wünschen. Hier steht, wie es dann weitergeht.

Man kann die Geschichte so erzählen, wie schon so oft: Leerstehende Läden in der Stadt, ein Einkaufszentrum aus den 1990ern wie eine Fast-Ruine, ein toter Marktplatz und Hilchenbacher, die sonstwo einkaufen, nur nicht in der eigenen Stadt. Oder so: Ein einladendes Kleinstädtchen mit schmuckem Marktplatz, mit kleinen Geschäften und originellen Sortimenten, einer Auswahl an Gastronomie, wie es sie weit und breit nicht noch einmal gibt, eine Stadt voll mit Menschen, die Ideen haben und Freude an dem, was sie tun. Für Letzteres hat sich Kyrillos Kaioglidis entschieden, der im September zum Bürgermeister gewählt wurde.

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Und so macht er das:

Die Leute mitnehmen

„Die Leute wirklich mitnehmen“, sagt Kyrillos Kaioglidis zuerst. Bei allem: die Händler und Gastwirte, damit sie sich nicht in den kaum noch überschaubaren Corona-Verordnungen verheddern. Aber ebenso bei den großen Themen der Stadt, wie zum Beispiel anstehenden Bauplanungen. „Wir tragen die Informationen zusammen, und wir schaffen Möglichkeiten.“

Im Gespräch sein

Der Bürgermeister selbst klappert nach und nach alle Läden ab. Gerade war er im Helberhäuser Scheunenladen, im Secondhand-Kinderladen Alibaba, ein paar Tage vorher im Bastelladen Firlefanz, bei Bensberg Wohnen in Müsen, im Spielzeuggeschäft Misiak in Dahlbruch und der Spielzeugkiste im Gerberpark, im Tabakgeschäft bei Angela Herrmann in der Unterzeche… Man spricht miteinander, erfährt von Wünschen und Mängeln, ein Foto wird gemacht und auf den städtischen Kanälen gepostet. Klar ist das auch Werbung für die Geschäfte, sagt Kyrillos Kaioglidis. Warum auch nicht?

Netzwerken

„Wir sind ein kleines Städtchen, da kennt jeder jeden.“ Als Bürgermeister will Kyrillos Kaioglidis die damit verbundenen Chancen nutzen. Er nennt das „Netzwerken“, wenn alles mit allem zusammenhängt. Der Tourismus- und Kneippverein? Da ist Stadtmarketing-Frau Kerstin Broh Vorsitzende. Der Aktionsring? Den leitet Kyrillos Kaioglidis, seit er Wirtschaftsförderung macht. Und wenn die Mitglieder ihn auch im neuen Amt als Bürgermeister an der Spitze behalten wollen, „dann macht der das.“ Ein Vakuum, in dem wie früher gern in Hilchenbach Interessengruppen aufeinanderprallen können, entsteht so gar nicht erst.

Etwas anbieten können

Die Stadt hat ein Budget vom Land, mit dem sie leerstehende Läden anmieten und verbilligt an neue Betreiber vermieten kann, längstens für 24 Monate, höchstens bis Ende 2023. Die Rechnung geht so: Ein Laden, der 1000 Euro Miete kostet, wird mit 80 Prozent Nachlass, also für 200 Euro weitervermietet. Wobei der Eigentümer der leeren Verkaufsfläche – bis 300 Quadratmeter dürfen es sein – der Stadt einen Rabatt von 30 Prozent einräumt; die zahlt also 700. Ein Laden ist bereits unter Vertrag, ein zweiter so gut wie, und als Dritter wird wohl das Café Herzstück in der Gerbergasse neu starten können – das Bürgercafé-Experiment aus dem Sommer 2019 wird zur festen Einrichtung. „Ich habe insgesamt sechs Läden im Auge“, sagt Kyrillos Kaioglidis. Das klingt nicht nach viel: Aber die Stadt werde nur Flächen mieten, für die sie auch schon einen Betreiber an der Hand hat. Keine Pop-Up-Stores, keine Leerstandsveredelung mit Schaufenster-Deko – das will sich die Stadt nicht leisten, die ihr weniges Geld lieber in die Infrastruktur steckt.

Pluspunkte benennen

Warum jemand sein Geschäft im kleinen, abgelegenen Hilchenbach eröffnen soll? Weil das „Städtchen“ viel hat, was andere nicht haben, sagt der Bürgermeister, der viele Jahre Wirtschaftsförderer der Stadt war: Parkplätze, niedrige Mieten, eine attraktive Gastronomie, die Leute lockt, die Kunden werden können. Und dann nennt Kyrillos Kaioglidis etwas, was man nicht messen kann: „Die Bindung der Bürger zu ihren Geschäften. Das ist nicht selbstverständlich.“ Und was die Existenzgründung spätestens in Zeiten nach Corona angeht: „Viele Branchen sind sich bewusst, dass man Geschäfte nicht nur über stationären Einzelhandel tätigt. Dadurch wird man auch unabhängiger von 1-A-Lagen.“

Unsere Aktion

Unsere Zeitung startet die Aktion „Zuversicht“ zur Unterstützung von Einzelhandel, Gastronomie und Kultur in unserer Region.

Journalistisch geht es darum, die Aufbruchstimmung dieser Tage zu begleiten. In den nächsten Wochen stellt die Redaktion deshalb nicht nur mutige Unternehmer, ideenreiche Händler oder findige Wirte vor. Wir befragen Experten zu den Handels-Konzepten der Zukunft und stellen Ideen vor, wie sich Städte modernisieren.

Natürlich werden wir auch die Probleme benennen, die sich durch die Monate der Pandemie vielerorts noch beschleunigt oder verstärkt haben.

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Eine Vision haben

Wer die Rundumversorgung über das Basisangebot von Supermarkt und Drogeriemarkt hinaus sucht, wird in Hilchenbach nicht glücklich. Für den großen Elektromarkt ist die Stadt zu klein, für das Modehaus auch. Kyrillos Kaioglidis akzeptiert, dass die Kaufkraft für diese Sortimente in Nachbarstädte abfließt. „Nicht Angebote, die man überall findet“, will der Bürgermeister anwerben, „wir können Nischen besetzen.“ Es gibt sie ja schon: die Läden mit Kunsthandwerk, die Buchhändlerin, die die Kunden auch zu Lesenächten einlässt, den Schuhhändler mit Orthopädie-Expertise, das Möbelgeschäft, das Möbel selbst baut, allesamt von ihren Inhabern geführt. Warum nicht den Antiquitätenladen, warum nicht die Kunstgalerie? Die haben Vertriebswege, die nicht von Laufkundschaft abhängen. Und sind zugleich Attraktionen für Besucher der Innenstadt, die auf dem künftig neu gestalteten Marktplatz lange verweilen, nicht nur zum Essen und Trinken, sondern auch zum Reden oder sogar zum Lesen – der „grüne Norden“ des Marktplatzes direkt an der Buchhandlung kann auch Lese-Hain sein. Läden, die es sonst weit und breit nicht gibt, wie an der Perlenschnur, umrahmt von vielfältiger Gastronomie: „Es wäre schön, wenn Hilchenbach sich so einen Namen machen könnte.“

Positiv denken

Hilchenbach hat seine Krisen hinter sich: das reihenweise Sterben der Läden, das Aufgeben von Inhabern, die keine Nachfolger fanden. „Die, die da sind, sitzen gut im Sattel“, weiß Bürgermeister Kyrillos Kaioglidis. Und das soll auch so bleiben. Dafür investiert die Stadt: „Wir hätten ja auch alle Förderprogramme an uns vorbeiziehen lassen können.“ Dann sähe Hilchenbach vielleicht trister aus. Es würde sich zumindest nicht mehr gut anfühlen.

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