Siegen. Kinder und Jugendliche aus Siegen säubern bei der Aktion „GehDenken aufpolieren“ die Stolpersteine und beschäftigen sich mit den Ermordeten.

Ermordet, ermordet, ermordet – mehr als einhundert Mal ist über mehr als hundert Siegenerinnen und Siegener zu lesen, dass sie gewaltsam zu Tode gekommen sind. Allesamt in der Zeit eines menschenverachtenden Systems, das mit Willkür über den Wert eines Menschenlebens befand.

Wer jüdisch war oder eine Behinderung hatte, wer politischer Gegner, Sinti oder Roma war, homosexuell oder Zeuge Jehovas konnte auf Schutz nicht zählen. Wurde, wenn Flucht oder Untertauchen nicht möglich war, verhaftet oder in eine Klinik eingewiesen, deportiert, gequält, umgebracht. Der Platz der Schulkameradin war plötzlich verwaist, der Junge von nebenan nicht mehr zu sehen, das Nachbarhaus stand leer – und man munkelte maximal von Konzentrationslagern oder unheilvollen Heilanstalten, wollte lieber, wenn nicht selbst von der Nazi-Ideologie überzeugt, nichts sehen, nichts hören, nichts wissen.

Viele Gruppen in der Stadt unterwegs

Diese Leerstellen füllen möchte das Stolperstein-Projekt des Künstlers Gunter Demnig, auf dessen Initiative seit 1992 europaweit fast hunderttausend Stolpersteine verlegt worden sind. Auch in Siegen erinnern diese mit einer Messingplatte beschlagenen Betonquader an Männer, Frauen, Kinder, die in Hitlers Deutschland getötet worden sind. Damit sowohl diese Gedenksteine als auch ihre Inschriften sichtbar bleiben, sollten sie regelmäßig gereinigt werden. Das „GehDenken aufpolieren“ fand jetzt auf Anregung und unter Anleitung des Stadtjugendrings Siegen statt.

In Gruppen, hier die Jungschar des Blauen Kreuzes Eiserfeld, ziehen die Kinder und Jugendlichen für die Aktion durch die Stadt.
In Gruppen, hier die Jungschar des Blauen Kreuzes Eiserfeld, ziehen die Kinder und Jugendlichen für die Aktion durch die Stadt. © Claudia Irle-Utsch

Eigentlich sollte die als „sichtbares Zeichen für Demokratie und gegen Extremismus und Ausgrenzung“ geplante Aktion bereits am 16. Dezember im Kontext des „GehDenkens“ des Siegener Bündnisses für Demokratie stattfinden. Es wurde aber pandemiebedingt verschoben. Nun zählte diese Gemeinschaftsarbeit zu einem der ersten Nach-Lockdown-Projekte im Bereich der Jugendarbeit in der Stadt.

Viele Gruppen in der Stadt unterwegs

Eingebracht hatte sich hier im Bereich der Siegener Oberstadt der Verein Stylefiasko, der mit zwei Kleingruppen unterwegs war und sich erst einmal in die Poliertechnik „reinfuchsen“ musste, wie Vorsitzender Thilo Gerlach sagt. „Wir haben das zum ersten Mal gemacht; es war uns eine Ehre.“ Gleichfalls im Stadtgebiet unterwegs waren Vertreterinnen und Vertreter des Siegener Jugendparlaments, der BlueBox und des „Cult-Hauses“ der Martini-Kirchengemeinde.

Im Siegener Süden engagierte sich die Jungschar des Blauen Kreuzes Eiserfeld für das „GehDenken“, wo Kinder, Jugendliche und Mitarbeitende in der Grabettstraße und in der Eiserfelder Hütte neun Stolpersteine wieder auf Hochglanz brachten. Dabei setzten sich die Teenager immer auch mit der Lebensgeschichte der Menschen auseinander, an die diese Denkmäler im Straßenpflaster erinnern sollen.

Lebenslange Mahnung

Den Stolperstein für den 1944 in der Heilanstalt Weilmünster verstorbenen Paul Gerhards hatten Jugendliche aus dem Blauen Kreuz vor acht Jahren an der Grabettstraße 60 gemeinsam mit BlueBox-Leiter Ralf Schumann verlegt. Moritz Hering, einer der Teilnehmer von damals, erinnerte an diese emotionale kleine Feierstunde im Mai 2013, der eine intensive Vorarbeit vorausgegangen war. Nun polierte Moritz „seinen“ Stein wieder auf – mit Wasser, Schwamm, Messingreiniger und einem weichen Tuch. Nach gut zehn Minuten war wieder deutlich zu lesen, was Paul Gerhards Schreckliches geschah.

Helmut Stücher war ein Junge von acht, neun Jahren, als 1942 David, Debora und Hedwig Kogut von den Nazis deportiert wurden. Sein Zeitzeugenbericht fesselte.
Helmut Stücher war ein Junge von acht, neun Jahren, als 1942 David, Debora und Hedwig Kogut von den Nazis deportiert wurden. Sein Zeitzeugenbericht fesselte. © Claudia Irle-Utsch

Besonders spannend für die Helfer war die spontane Begegnung mit Helmut Stücher an der Grabettstraße 48. Er war ein Junge, 8 oder 9 Jahre alt, als der Vater und die Mutter der Familie Kogut sowie eines ihrer fünf Kinder deportiert wurden; David, Debora und Hedwig. Für ihn sei dieses Geschehen eine lebenslange Mahnung gewesen, sagte er – und auch das: „Alle Menschen sind Brüder. Das dürft ihr nie vergessen!“

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