Kreuztal. Ludwig Bischoff trug den lila Winkel: Er war Zeuge Jehovas. Die Kreuztaler Gemeinde ist froh über die späte Würdigung.
„Was bringt einen einfachen Schuhmacher in den 1930er Jahren dazu den Gruß ‘Heil Hitler’ zu verweigern, wissend, dass er dafür in ein Konzentrationslager eingeliefert werden kann?“ Die Kreuztalerin Sybille Kämmer erzählt die Geschichte ihres Vaters Friedrich Wilhelm Ludwig Bischoff. In Wermelskirchen, seiner letzten Wohnung vor dem Umzug in ein Pflegeheim, wurde jetzt ein Stolperstein verlegt. Ludwig Bischoff gehörte den Zeugen Jehovas an.
„Für Sybille Kämmer und die Kreuztaler Gemeinde der Zeugen Jehovas ist der mutige Glaube von Ludwig Bischoff ein Vorbild“, stellt T. Martin Krüger, der Enkel Ludwig Bischoffs, fest. Für die Kreuztaler Gemeinde, die auch in Wermelskirchen vertreten war, eine späte Genugtuung. 157 Mitglieder stark ist die Kreuztaler Gemeinde der Zeugen Jehovas, die Anfang der 1950er Jahre gegründet wurde und zunächst in Krombach zu Hause war, bevor sie im Jahr 1989 ihren neu errichteten Königreichssaal in Ferndorf bezog.
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Ludwig Bischoff
Im Jahr 1900 geboren, meldete er sich noch 1918 freiwillig zur Armee, obwohl damals bereits drei seiner Brüder gefallen waren. Von den Kriegserlebnissen ernüchtert, findet er Hoffnung in der Religion und schließt sich 1921 den Internationalen Bibelforschern an. Bei Predigtfahrten aufs Land erzählt er anderen von seinem neu gefundenen Glauben. 1931 nehmen die Bibelforscher auf Kongressen den neuen Namen „Jehovas Zeugen“ an. Ludwig Bischoff nimmt mit 3000 weiteren Gläubigen an einem Kongress in Paris teil. Anschließend besucht er Gemeinden in Österreich, um sie im Glauben zu stärken.
Bereits am 24. Juni 1933 wurde die Internationale Bibelforscher-Vereinigung verboten. Dadurch wird Ludwig Bischoff zum Staatsfeind. Am 29. März 1936 beteiligt er sich nicht an den Reichstagswahlen. Daraufhin verstärkt die Gestapo ihr Vorgehen gegen Jehovas Zeugen und entdeckt Ende August 1936 das geheime Literaturlager und die illegale Druckerei der Zeugen durch ein Sonderkommando. Nun wird auch Ludwig Bischoff verhaftet und in das bis heute kaum bekannte Konzentrationslager Columbiahaus in Berlin gebracht. Dieses befand sich damals in der Auflösung, da die Stadt Berlin das Gelände für den Bau des Flughafens Tempelhof benötigte.
Bereits einen Monat später wurde er in das noch unfertige Lager Sachsenhausen überführt. In seinen Erinnerungen schildert er den Aufbau des Lagers im ersten kalten Winter 1936/37: Die nackten Füße nur in Holzschuhen und mit dünner Häftlingskleidung musste er im Schnee bei unzureichender Ernährung mit primitivem Werkzeug Bäume fällen und diese transportieren. Während der KZ-Haft zog er sich einen Magenkatarrh, eine chronische Gastritis, einen Herzmuskelschaden und eine Lungenentzündung zu. Eine Krebserkrankung 1952 wurde nach medizinischem Gutachten ebenfalls auf die Misshandlungen der Haft zurückgeführt. Später wurde er als Sanitätssoldat zur Wehrmacht einberufen, kam dann aber wegen seiner körperlichen Verfassung ins Lazarett nach Mainz und dann in die Genesungskompanie. Im Januar 1946 schließlich kam er aus amerikanischer Kriegsgefangenschaft frei. Nach dem Zweiten Weltkrieg blieb er in Berlin-Wannsee wohnen, wo er als Schuhmachermeister bis 1952 auch eine Schuhmacherwerkstatt betrieb. 1959 zog er nach Wermelskirchen, 1990 starb er, 89-jährig, in einem Pflegeheim in Lennestadt.
Verfolgt und ermordet
1992 begann der Kölner Künstler Gunter Demnig mit der Verlegung von Stolpersteinen für Menschen, die in der Zeit des Nationalsozialismus verfolgt, ermordet, deportiert, vertrieben oder in den Suizid getrieben wurden – in der Regel vor ihren letzten frei gewählten Wohnhäusern. Ende 2019 gab es rund 75.000 Stolpersteine in Deutschland und 25 weiteren europäischen Ländern.
Kreuztaler Stolpersteine
Mit dem in Wermelskirchen gesetzten Stolperstein für Ludwig Bischoff entsteht erstmals für Kreuztal eine Verbindung zu einer weiteren Opfergruppe der NS-Gewaltherrschaft: Jehovas Zeugen machten im Jahr 1937 über zehn Prozent der Lagerinsassen des KZ Sachsenhausen aus. Von den damals rund 25.000 Gläubigen wurden in der NS-Zeit 8800 verhaftet und in den Konzentrationslagern mit einem lila Winkel an der Kleidung als eigene Häftlingsgruppe stigmatisiert. 950 Zeugen Jehovas wurden in den Lagern ermordet oder öffentlich hingerichtet.
2013 wurden in Kreuztal die ersten Stolpersteine gesetzt, zunächst für Kreuztaler Juden: Johanna Rosenhelm aus Krombach, Toni Meier, ihre Tochter Grete und ihr Sohn Berthold in Littfeld, Raphael Meier, seine Frau Johanna Mina und deren Schwester Eva Marx in Littfeld, Sarah Meier, Hugo Meier, sein Bruder Siegfried und dessen Frau Minna, schließlich deren Sohn Fred, an den auch der Fred-Meier-Platz erinnert. Fast alle von ihnen wurden in Auschwitz, Treblinka, Zamosc oder Sobibor ermordet. Berthold Meier gelang 1939 die Auswanderung, er starb 1999 in New York. Hugo Meier verließ Littfeld 1936, emigrierte nach Israel, kehrte von 1949 bis 1953 noch einmal zurück und starb 1985 in Israel.
Ernst Schweisfurth aus Ferndorf war SPD-Mitglied, Gewerkschafter, Mitglied der Deutschen Friedensgesellschaft. Unter dem Vorwand, er habe intimen Verkehr mit einer Zwangsarbeiterin, wurde er verhaftet und nach Sachsenhausen verschleppt, wo er 1943 ermordet wurde. Die SPD wies bei der Verlegung des Stolpersteins im Jahr 2016 darauf hin, dass Ernst Schweisfurth den Zeugen Jehovas nahe stand.
Alfred Freudenberg lebte in Kredenbach. 1940 wurde er in Siegen wegen Verstoßes gegen den Paragrafen 175 zu einer Gefängnisstrafe verurteilt, wurde danach in ein KZ verschleppt und 1945 in Dachau ermordet – ein Opfer, das den rosa Winkel tragen musste. 2017 wurde der erste Stolperstein im Kreis Siegen-Wittgenstein für einen Homosexuellen gesetzt, der von NS-Tätern umgebracht wurde.
Karl Dornseifer aus Kreuztal war ebenfalls SPD-Mitglied und Nazi-Gegner. Er wurde 1933 auf offener Straße erschossen. Sein Mörder, ein SA-Mann, kam bereits nach wenigen Monaten aus dem Gefängnis frei. Dieser vorerst letzte Stolperstein wurde 2019 verlegt.
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