Siegen. Gegen Rechtsextremismus: Am 75. Jahrestag der Bombardierung Siegens erinnern Stadt und Bündnis für Demokratie an Opfer der Nazi-Gewaltherrschaft.

Vor 75 Jahren fand der Krieg seinen Weg zurück dorthin, von wo er – auch – ausgegangen war. Am 16. Dezember 1944 fielen 53.000 Brandbomben, mehr als 500 Sprengbomben auf Siegen, die Stadt wurde zu über 80 Prozent zerstört und so eine der am stärksten zerbombten Städte des Deutschen Reiches. Auch angesichts heute wieder aufkeimender rechtsextremer Gesinnungen ist der 16. Dezember ein besonderes Datum für die Stadt Siegen.

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Damals: Siegen war ein kriegswichtiger Rüstungsstandort

Siegen war ein wichtiger Eisenbahnknotenpunkt, 4000 Leute arbeiteten im zugehörigen Eisenbahnausbesserungswerk. Neben Rüstungsindustrie hatte Siegen wichtige militärische Einrichtungen, Heeresverpflegungsamt, Leitungsstab in der Hermelsbach. „Aus all diesen Gründen wurde die Stadt zum vorrangigen Ziel für Bombenangriffe der Alliierten“, so Bürgermeister Steffen Mues beim Stillen Gedenken am Dicken Turm des Unteren Schlosses.

Die Plastik „Die Ausschauende“ an der Gedenkstätte im Dicken Turm stammt vom Siegener Künstler Hermann Kuhmichel. „Eine Frau wartet auf ihren Mann, Vater, Bruder, Sohn; hofft, dass er bald aus der Kriegsgefangenschaft heimkehrt“, so der Bürgermeister.
Die Plastik „Die Ausschauende“ an der Gedenkstätte im Dicken Turm stammt vom Siegener Künstler Hermann Kuhmichel. „Eine Frau wartet auf ihren Mann, Vater, Bruder, Sohn; hofft, dass er bald aus der Kriegsgefangenschaft heimkehrt“, so der Bürgermeister. © Hendrik Schulz

Peter Schmitt vom Aktionsbündnis Frieden Südwestfalen berichtete auf dem Scheinerplatz bei der Kundgebung „Ge(h)denken“, wie seine Großmutter mit zwei kleinen Kindern das erlebte. „Sie hatte den Angriff im Leimbachstollen überlebt und war durch die brennende Stadt Richtung Freudenberg geflohen“, so Schmitt. „Auf der Höhe drehte sie sich um und sah, dass ganz Siegen in Flammen stand. Der Himmel hatte sich blutrot gefärbt.“

V2-Raketen vermutlich von Siegen aus auf Antwerpen geschossen

Der Siegener Theologe Prof. Ingo Baldermann, Redner bei der Kundgebung, hatte einen Bombenangriff auf Berlin als Kind erlebt. „Als wir aus dem Keller kamen, brannte die ganze Stadt. In den Häusern, die da brannten, wohnten Menschen. Freunde. Ich sehe diese Häuser immer noch brennen.“ Das gehe sicher auch vielen älteren Siegenern noch so.

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Am 16. Dezember begann auch die Ardennenoffensive der Wehrmacht, die bis Antwerpen vorrücken sollte. Britische und kanadische Truppen hatten die belgische Metropole erobert und zum strategisch wichtigen Nachschubhafen gemacht. Und damit zum Ziel der deutschen „Vergeltungswaffen“ V1 und V2: 200 dieser Raketen schlugen an dem Tag, an dem der Bombenhagel auf Siegen niederging, in Antwerpen ein, „abgefeuert vermutlich aus dem Lager Seelbach, möglicherweise auch aus der Leitstelle in Siegen am Hermelsbacher Weg“, so Steffen Mues. Allein im Antwerpener Rex-Kino seien 567 Menschen gestorben und 291 schwer verletzt worden.

Seither: Kriegsführung richtet sich gegen die Zivilbevölkerung

Erschreckend sei die militärische Entwicklung, die von Nazideutschland aus einen Anfang genommen habe, so Prof. Baldermann: Krieg wurde nicht mehr von Soldaten gegen Soldaten geführt, sondern mit allen Mitteln gegen Zivilisten: Luftminen etwa, um Hausdächer wegzusprengen und Brandbomben dann in die offenen Häuser abzuwerfen. Das Ausradieren ganzer Städte, von Luftmarschall Hermann Göring angedroht, von den Amerikanern in Hiroshima und Nagasaki umgesetzt.

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„Vielleicht hätte Siegen ein paar Wochen später das gleiche Schicksal gedroht“, so Baldermann, stattdessen sei die Stadt nach der Zerstörung wieder erstanden, sei vielen Menschen Zuflucht und Heimat geworden. „Was kann eine Stadt sich Schöneres wünschen: Dass Fremde kommen und sich in ihr zu Hause fühlen.“

Heute: Siegener Bündnis für Demokratie setzt mit Ge(h)denken Zeichen

„Der 16. Dezember markiert ein wichtiges Datum, um im Gedenken an die Opfer von Gewalt und Terror ein Zeichen gegen Krieg sowie für Respekt, Toleranz und Zivilcourage zu setzen“, erinnerte Mues. Seit 2008, als eine Neonazi-Kundgebung auf 3000 Gegendemonstranten traf, positioniere sich das Siegener Bündnis für Demokratie als breiter Zusammenschluss der Stadtgesellschaft mit „Ge(h)denken“ gegen die „missbräuchliche Vereinnahmung des Gedenktages durch rechtsradikale Populisten.“

Erstes Gedenken fünf Jahre nach Kriegsende

1950 wurde in Siegen erstmals der Opfer von Krieg, Gewalt und Terrorherrschaft gedacht.

1959 wurde die Gedenkstätte im Dicken Turm des Unteren Schlosses übergeben.

„Keinen Zentimeter Platz“ lasse man demokratiefeindlichen Kräften, Vergangenheitsleugnern, Extremisten, so Mues. Gedenken an die Opfer des 16. Dezember und aller Opfer des Krieges sei Verpflichtung und Mahnung, die freiheitlich-demokratische Grundordnung zu verteidigen.

Warnung vor rechtsradikalem Gedankengut

„Dieser Tag erinnert daran, welche Konsequenzen Faschismus und Krieg haben“, so der Gewerkschafter und Antifaschist Stefan Klenzmann bei der „Ge(h)denken“-Kundgebung. In den 1930er Jahren hätten die Wähler aus freien Stücken sehenden Auges mit der NSDAP eine Partei gewählt, deren erklärtes Ziel ein autoritäres Regime war. „Dafür hat die Mehrheit der Deutschen damals gestimmt“, mahnte Klenzmann vor einer erneuten Durchdringung der Gesellschaft mit rechtsradikalem Gedankengut.

„Faschisten auf den Straßen und im Rat der Stadt Siegen sind eine Gefahr für die Gesellschaft – das können und wollen wir nicht hinnehmen.“ Wer die AfD wähle, wähle Faschisten. Es gelte, Ursachen rechter Gesinnung anzugehen, sich nicht mit freien Wahlen zu begnügen. „Geschichte darf sich nicht wiederholen.“

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