Siegen. Zum Holocaust-Gedenktag berichtet die 97-jährige Hannah Malka aus Emek Hefer per Videokonferenz vom Grauen in Theresienstadt und Auschwitz.

Als der Kommandeur der SS-Wachmannschaft sie, eine Leidensgenossin und die Aufseherinnen in einer Dorfkneipe zum Bier einlud, wusste Hannah Malka, „jetzt ist es vorbei. Jetzt werden sie uns nicht mehr vergasen.“ Anfang 1945 war das, auf dem Weg nach Theresienstadt, wo die heute 97-Jährige kurz darauf von sowjetischen Soldaten befreit wurde. Das war das Ende einer Leidensgeschichte, die 1939 begonnen hatte und für sie vergleichsweise glücklich ausging.

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Mehr als 160 Teilnehmer hörten diese Geschichte am Mittwoch. Jedes Jahr wird am 27. Januar nicht nur der Befreiung des Vernichtungslagers Auschwitz gedacht: Alle Opfer der Shoah sollen an diesem Tag ins Gedächtnis gerufen werden. In der Pandemie müssen auch hier neue Wege gefunden werden. „Gedenken im Wohnzimmer“ ist eine virtuelle Zusammenkunft.

Siegen-Wittgenstein: Älteste noch lebende Zeitzeugin berichtet von Theresienstadt

Normalerweise wäre erneut die in Siegen-Wittgenstein seit vielen Jahren bekannte Dr. Michaela Vidláková eine Woche vor Ort gewesen. Sie ist online dabei, tritt als Rednerin allerdings zurück. Vertreter des Partnerkreises Emek Hefer schlugen bei der Planung Hannah Malka vor, die älteste noch lebende Zeitzeugin des Ghetto Theresienstadt. Die 97-Jährige lebt dort, ist Mitglied der Gedenkstätte Haus Theresienstadt „Beit Terezin“ in Emek Hefer.

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Ihre Geschichte ist ein ähnliches Schicksal wie das von vielen, die damals aus ihrem Leben gerissen wurden. Die kleinen und persönlichen Dinge ermöglichen den Zuhörern einen anderen Blick auf diese Vergangenheit, als es Geschichtsbücher oder TV-Dokumentationen vermögen. Die alte Dame berichtet von einer schönen Kindheit mit vielen Verwandten in der „damals größten Demokratie Europas“, vom Unheil, das sie und ihre Familie in Deutschland aufziehen sahen und dennoch überzeugt gewesen seien, dass sich Hitler nicht in die Tschechoslowakei trauen würde.

25 Mädels auf ein Zimmer gepfercht

Die Deutschen kamen aber doch, nahmen erst das Sudetenland, mit dem Segen der anderen Länder, dann den Rest. Hannah Malka erinnert sich, wie die Truppen auf Seitenwagengespannen einrückten und ihr Leben für immer veränderten. „Stückweise. Ich durfte nicht mehr zur Schule gehen, nicht mehr mit meinen Freundinnen sprechen, die Arier waren. Wir durften nur noch zu bestimmten Zeiten einkaufen, nicht mehr auf dem Gehsteig gehen“, zählt sie die Schikanen auf.

Die Bedeutung solcher Zeitzeugenberichte

Vor und nach Hanna Malka spricht die Landrätin von Emek Hefer: Dr. Galit Shaul betont die Bedeutung der Partnerschaft mit Siegen-Wittgenstein und solcher Veranstaltungen, bedankt sich bei Malka und hofft, dass sie noch lange ihre positive Einstellung und ihr Lächeln behält.

Pfarrer Raimar Leng, einer der Vorsitzenden der Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit (CJZ), hebt ebenfalls die große Bedeutung solcher Zeitzeugenberichte hervor.

Die Familie bekam Einquartierungen anderer Juden, musste schließlich aus der Wohnung ­heraus Schließlich habe es geheißen, der Führer gebe den Juden eine Stadt, sagt sie. Dort, im Ghetto Theresienstadt begann ihr eigentlicher Leidensweg – und dort endete er 1945. Wo zuvor 5000 Tschechen lebten, seien 50- bis 60.000 Juden zusammengepfercht worden, „wir waren 25 Mädels in einem Zimmer“. Immerhin hätten sie dreistöckige Betten gehabt. „Die Alten lagen auf Matratzen auf dem Boden und warteten auf den Tod“, sagt sie in nüchternem Erzählton.

Ghetto Theresienstadt: Jeden Tag mindestens 50 Tote

Nur gelegentliche Pausen beim Vorlesen machen deutlich, wie sehr die Erinnerungen schmerzen. Hannah Malka klingt bitter, wenn sie über den Besuch des Roten Kreuzes berichtet, dessen Mitglieder nie die vorgeschlagenen Wege verlassen hätten, nie gefragt, ob sie auch andere Räume sehen könnten: „Da waren nur zwei Mädchen in einem Zimmer. Bei uns wurde es dafür noch voller. Und die haben gesagt, wenn es hier so schön ist, wird es sicher in Auschwitz auch so sein. Da müssen wir nicht hin.“ Das habe sie aber erst nach dem Krieg erfahren.

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Es gab Hunger und Krankheiten im Ghetto. Täglich seien wenigstens 50 gestorben. Trotzdem habe es auch gute Dinge gegeben, viel Kultur – „da waren ja die größten Vertreter der Kultur aus ganz Europa“ –, jeder habe versucht, dem anderen zu helfen, den Kindern das Leben leichter zu machen. Sie selbst arbeitete in drei Kinderheimen. Die hätten manchmal ein Stück Brot mehr bekommen, „dafür hatten die Alten dann aber noch weniger“.

Im Viehwaggon nach Auschwitz

Schließlich wurde sie auch abtransportiert, „weil ein zusätzlicher Wagen am Zug hing, der gefüllt werden musste“. Es ging nach Auschwitz und Malka merkte, dass es bisher noch ertragbar gewesen war. Schon die Fahrt im Viehwaggon wurde zur Folter: „Es gab einen Eimer mit Wasser und einen als Toilette. Es war dunkel im Waggon. Der erste Mann, der musste, machte versehentlich in den Wassereimer. Da hatten wir keins mehr.“

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Sie kam nicht in die Gaskammer, hat glücklicherweise „fast alles vergessen, was dort war“. Ein paar Dinge sind noch da: Wie alle Haare geschoren wurden, wie zehn Mädchen einen Teller Suppe ohne Löffel bekamen. Dennoch: Nach einiger Zeit kam wieder ein Zug, sie wurden zur Arbeit ins Reich geschickt. Dort erst setzt die Erinnerung wieder richtig ein, an armselige Gestalten um sie herum und wie sie schließlich realisierte, selbst wohl nicht besser auszusehen.

Häftlinge wirkten „wie lebende Tote“

Aber sie überlebte, kam schließlich wieder nach Theresienstadt, sah Häftlinge aus anderen Lagern, die „wie lebende Tote“ wirkten. Sie dachte, es trotz allem noch verhältnismäßig gut gehabt zu haben. Malka heiratete zum Schein einen britischen Soldaten und erreichte so bereits 1946 nach Palästina, wo die Ehe wieder geschieden wurde.

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Die Erinnerung sei sie nie völlig losgeworden, habe sie aber auch möglichst aus ihrem Alltag herausgehalten, sagt sie hinterher lächelnd auf eine Frage. In welcher Sprache sie träume, wisse sie nicht. Ihren Kindern habe sie nie von jener Zeit erzählt, die hörten das überwiegend auch jetzt erst. „Man gewöhnt sich daran“, schmunzelt Hannah Malka verschmitzt und zuckt die Schultern zur Frage, wie man ohne Essen überleben könne.

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