Siegen. Viele Kinder dürften Rückkehr zu normaler Schule problemlos schaffen, so Schulberatung Siegen-Wittgenstein – manche steigen wohl endgültig aus.
Beate Schwagmaier kann sich an so lange Zeiten ohne Schule nicht erinnern – Schule war einfach immer da, „man“ ging zu den festgelegten Zeiten hin, ungefragt. Corona hat auch das verändert. Es gibt Präsenz-, Wechsel- und Distanzunterricht – ein Provisorium von bisher anderthalb Jahren, dessen Auswirkungen die Leiterin der Regionalen Schulberatungsstelle für den Kreis Siegen-Wittgenstein nicht absehen kann. Seit 16. Dezember 2020 hat keine Schule mehr alle Klassen komplett präsent unterrichtet.
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In der alltäglichen Arbeit sieht die Psychologin die Zeichen auf Normalisierung: Die bekannten Themen kommen wieder – Lese-Rechtschreibschwächen, Dyskalkulie, Konzentrationsstörungen, Angst. „Und auch wieder die ersten Beratungsanfragen zu Mobbing“: das untrügliche Zeichen dafür, dass Schule wieder stattfindet. Die Warteliste der Beratungsstelle, in der sieben Psychologinnen und Psychologen, Lehrkräfte und Sozialpädagoginnen für Schüler und Eltern, Lehrerinnen und Lehrer sowie die Schulen da sind, füllt sich. Dabei gibt es durchaus auch positive Entwicklungen: „Schulen, in denen vieles gut lief, haben gewonnen. Sie haben gezeigt, was sie zusammen stemmen können.“
Manche haben in der Distanz den Anschluss verloren, Lernen ganz aufgegeben
Die Vorstellung, dass die an der Schule Beteiligten in ihrer Überforderung mit Hybridunterricht oder Homeschooling in der Pandemie Schlange stehen, trifft nicht die Wirklichkeit der Beratungsstelle am Weidenauer Bismarckplatz. Denn der Druck fehlt, stellt Beate Schwagmaier klar: keine Prüfungen, keine Klarheit über die Bedingungen von Versetzung. Jugendliche lernen nicht fürs Leben, sondern für die Noten – das ist nicht böse gemeint: In bestimmten Lebensphasen ist anderes einfach wichtiger. Die Anfragen an die Beratung kommen, je konkreter Schule wieder wird: pünktlich sein müssen, mit anderen Kindern auskommen müssen, Aufgaben machen müssen, Leistung bringen müssen.
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60 bis 70 Prozent der Kinder werden die Rückkehr zur normalen Schule problemlos schaffen, schätzt Beate Schwagmaier – so wie Schülergenerationen davor den Umstieg von G 9 auf G 8 oder die Kurzschuljahre in den 1960ern. Und die anderen? Da sind die, die gern zu Hause gelernt haben, sich in ihrer Klasse nicht wohlfühlen oder dort gemobbt werden. Und die, „die jetzt realisieren, dass sie Riesenlücken haben“. Die in der Klasse noch soeben mitgekommen sind, in der Distanz den Anschluss verloren und das Lernen ganz aufgegeben haben. Psychologisch, sagt Beate Schwagmaier, ist das nachvollziehbar: Anstrengungen, auf die mit ziemlicher Sicherheit keine Belohnung folgt, lohnen einfach nicht. Manchen hat schon der Umstieg zum Wechselunterricht geholfen: Auch denen, die zu Hause am Notebook spielen, statt Aufgaben zu lösen – weil sie nicht anders können. „Digitalunterricht hat auch Suchtpotenzial.“
Die Angst vor der Schule kommt zurück – wie der erste Arbeitstag nach dem Urlaub
Angst vor Schule ist noch so ein Thema, das schwer einschätzbar ist. „Kinder, die vorher schon ängstlich waren, konnten solche Situationen vermeiden“, sagt Beate Schwagmaier. Bisher gab es Möglichkeiten, Kinder schrittweise zurückzuführen. Jetzt aber deutet sich an, dass das Provisorium nahtlos in die Sommerferien übergeht. Damit, so die Psychologin, entsteht die Sorge, „dass diese Angst bis September ohne Ende wachsen kann.“ Erwachsene kennen das auch: Sie wissen am Ende des Urlaubs, dass es ihnen am ersten Tag auf der Arbeit schlecht geht. An den Tagen danach aber schnell wieder besser. Diese gedankliche Leistung bekommen Kinder nicht hin. Vor allem nicht, wenn vorher Beziehungen abgebrochen sind, nach einem Umzug, nach einem Schulwechsel oder einem Wechsel der Klasse, zum Beispiel. „Es braucht viel Anstrengungen der Erwachsenen.“
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Wie Schule nach der Pandemie aussieht? Vielleicht anders, vielleicht so wie vorher – Beate Schwagmaier wirft den „Blick in die Glaskugel“ nicht. Aber sie nennt die Ausgangsbedingung: „Jeder Mensch hat in der Krise die Chance, sich weiterzuentwickeln.“ Die Schüler. Und ihre Lehrer auch.