Siegerland. Miese Noten für Bundes- und Landesregierung, Kreis und Kommunen kommen im Corona-Check für Siegen und das Siegerland besser weg. Eine Erklärung.
Für Bund und Land unterscheiden sich die Werte nur in den Nachkommastellen. Besser als „ausreichend“ schneiden Düsseldorf und Berlin für ihr Krisenmanagement im Siegerland nicht ab, Tendenz: meist deutlich negativ. Keine Bestnoten, aber doch deutlich bessere vergeben die Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Corona-Checks an das Krisenmanagement vor Ort.
Die Bevölkerung Siegens sieht das Krisenmanagement von Land (Note 4,2) und Bund (4,11) noch ein Stück kritischer als die Menschen in den für die Auswertung dieser Umfrage zu „Siegerland“ zusammengefassten Umlandkommunen (Land 3,94/Bund 3,96), siehe dazu auch die Grafiken unten. Der Unterschied vom Oberzentrum zu den Nachbarkommunen besteht auch bei der Bewertung des kommunalen Krisenmanagements, das in Siegen die Note 3,6 erhält und im Siegerland auf den Durchschnitt 3,25 kommt.
1. Je näher an den Menschen in Siegen-Wittgenstein, desto nachvollziehbarer.
Was Bund und Länder zunächst beschlossen hatten, wurde dann auf 16 verschiedene Arten umgesetzt. Das zeigte sich gerade im Dreiländereck NRW-Hessen-Rheinland-Pfalz deutlich. Der Blick über die nahen Grenzen und die dortigen anderen Regeln steigerten die Unzufriedenheit noch, glaubt Landrat Andreas Müller. Für Frustration habe aus seiner Sicht zudem gerade der Schulbereich gesorgt, in allererster Linie Landessache: Wenig Perspektive und Verlässlichkeit, dazu oft sehr kurzfristige Entscheidungen – wie oft kam freitagsnachmittags die berüchtigte „Schulmail“ aus Düsseldorf, wie am folgenden Montag der Unterricht zu organisieren sei. „In diesem Regelungskanon müssen sich Kreis und Kommunen irgendwie zurechtfinden“, sagt Müller.
Man habe sich stets bemüht, in diesem vom Land gesetzten Rahmen möglichst schnell zu entscheiden. Und auch im Zweifel darauf hinzuweisen: Wir wissen es nicht. „Auch nach zwei Tagen hatten wir oft noch keine Rückmeldung aus Düsseldorf“, sagt Müller. Die Menschen in Siegen-Wittgenstein würden dieses Bemühen um Verlässlichkeit anerkennen, glaubt der Landrat; ebenso unbürokratische, schnelle Hilfen wie #siwihilft oder die Bürgerhotline. „Die Nähe zu den Menschen vor Ort macht sich in lebensnäheren Entscheidungen bemerkbar“, sagt Müller – denn klar ist, dass Bund und Land Entscheidungen treffen, die nicht jede individuelle Lage berücksichtigen können.
2. Nichts versprechen, was man nicht halten kann
Landrat Andreas Müller beobachtet eine steigende Unzufriedenheit mit den Maßnahmen seit Spätherbst. In diese Zeit steigender Unsicherheit nach einem vergleichsweise „normalen“ Sommer häuften sich die Ankündigungen, die dann so oder so bald nicht umgesetzt werden konnten – Testungen, Lockdown, Öffnungen, Impfungen. „Das war sachlich nicht falsch, aber zu früh“, so Müllers Einschätzung. Die Frustration wuchs, weil Erwartungen geweckt, aber nicht eingelöst wurden. Keine kapitalen Fehler, aber schlecht kommuniziert. „Wir lernen jeden Tag dazu. Man darf schlauer werden, man darf Dinge anders einschätzen. Aber manchmal wurde nicht dazugelernt, manche Fehler wurden immer wieder begangen“, sagt Müller. Statt zu sagen, dass Masken nicht gegen das Virus helfen würden, hätte man auch einfach zugeben können, dass man keine Masken hatte, findet Müller. „Ich glaube, dass die Menschen das einordnen und verstehen können.“
Wenn Entscheidungen nachvollziehbar seien, steige auch die Akzeptanz bei der Mehrheit. Natürlich gebe es in der Rückschau auch immer Dinge, die er selbst, die der Kreis mit dem Wissen von heute anders gemacht hätten. Aber wirkliche Fehler habe er sich und seiner Verwaltung nicht vorzuwerfen. „Wir haben uns bemüht, über alle Kanäle nachvollziehbar zu erläutern, was wir warum tun.“ Aber wer Regeln nicht mehr versteht, der beginnt zu hinterfragen.
3. Den Menschen in Siegen-Wittgenstein klare Ansagen machen
Die harten Einschränkungen im privaten Bereich seien erlassen worden, um die Produktion aufrecht zu erhalten. „Wenn nur diffus auf ‘Notwendigkeit’, ‘die Wissenschaft sagt’ und die ‘Eigenverantwortung der Menschen’ verwiesen wird, keine Verantwortung für Entscheidungen übernommen wird, erhöht das nicht das Vertrauen in Maßnahmen und die Gestaltungsfähigkeit von Politik“, sagt der Soziologe Dr. Johannes Kiess von der Uni Siegen. Bevor die Bundesnotbremse griff, herrschte Durcheinander: Jedes Land schloss und lockerte anders, hier durften sich mehr, dort weniger Menschen treffen – aufs ganze Gesehen kaum vermittelbar. Der heraufziehende Wahlkampf vielerorts habe klare Kommunikation sicher nicht verbessert – „es geht aber nicht um populäre Maßnahmen, es geht um Krisenbewältigung“, sagt Landrat Müller.
Die Bundesnotbremse, ohne sie im Einzelnen bewerten zu wollen, sorgt für Eindeutigkeit: Inzidenz über 100 löst bestimmte Maßnahmen aus, bundesweit, überall. Und was die Entwicklung der Wocheninzidenz angeht: Sie hat zumindest mal nicht geschadet. Wobei sich andeutet, dass unter 100, wo das Land wieder zuständig ist, die Unklarheit wieder steigt – „man wusste, dass man nach einem Absinken die Dinge wieder regeln muss – man musste nicht warten, bis es so weit ist...“, sagt Müller. Er ist überzeugt: Unbequeme Entscheidungen muss man treffen, wenn man überzeugt ist, dass sie richtig sind. Und erläutern, warum man sie für richtig hält. „Das verstehen und akzeptieren die Menschen.“