Siegen-Wittgenstein. „Jemand, der seine Meinung relativiert, gilt als flatterhaft“, sagt Prof. Gebhard Rusch, Uni Siegen – gerade in der Krise ist auch das aber nötig
Die Corona-Krise ist auch eine Kommunikationskrise – insbesondere auch, aber nicht nur, im politischen Bereich. Das Coronavirus, die Pandemielage, das Bündel der Maßnahmen zur Pandemiebekämpfung und dessen Wirksamkeit – das alles hätte besser erklärt werden können.
Das weiß man heute und es ist kein Vorwurf, dass es nicht geschehen ist. Aus Fehlern darf jeder lernen, auch die Politik, gerade in der Krise.
Wissenschaft und Politik folgen in Deutschland verschiedenen Logiken
Die politische Kultur in Deutschland und das Wissenschaftssystem folgen unterschiedlichen Logiken: Erstere erhebt den Anspruch, Antworten auf bestimmte Probleme zu haben, etwa in Form von Wahlprogrammen. Zweiteres bildet einen zwar weitgehend objektiven, aber keineswegs statischen Prozess: Wissenschaft ist nie „fertig“, ständig werfen neue Erkenntnisse die Position von gestern über den Haufen. Das ist seit je her gängig und völlig unstrittig; Wissenschaft lebt genau davon: Gegenseitige Kritik und nur vorläufig behauptbare Erkenntnisse sind ihr Wesenskern, sagt Prof. Gebhard Rusch, Akademischer Direktor am Institut für Medienforschung der Uni Siegen.
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In der Krise prallt die Logik des „Erforschens“ – wie kann ein ganzes Land, ein Kontinent, mit einer globalen Pandemielage umgehen – auf das politische System, das in Deutschland sehr viel Wert auf Überzeugung, Werte, Standfestigkeit legt und Fehler oder Irrtümer gar bestraft. „Jemand, der seine Meinung relativiert, gilt als flatterhaft“, so Gebhard Rusch. „Politiker, die wiedergewählt oder in höhere Ämter gerufen werden möchten, haben offenbar Probleme damit, offen zu kommunizieren, dass sie im Moment keine Lösung kennen, dass sie nur nach bestem Wissen handeln können.“
Für ein besseres Verständnis, wie Wissenschaft funktioniert – die ist nie „fertig“
„Es gibt einen Mangel an Bereitschaft, mit unterschiedlichen Meinungen kreativ umzugehen“, sagt der Professor. Es sei auch Aufgabe der Politik, Menschen an Krisen und ihre Bewältigung heranzuführen, Wissenschaft nachvollziehbar zu erläutern – unabdingbar für eine gewisse Resilienz, „Krisenfestigkeit“. Für einige sei das Abdriften in Verschwörungen überzeugender, als wissenschaftliche Erkenntnisse und ihre „Unfertigkeit“ nachzuvollziehen. Bei manchen politischen Akteuren stehe zudem eine Wiederwahl an sowie der Abgleich mit der Parteilinie – Positionen würden nicht nur inhaltlich begründet, weil beim „Ausscheren“ Probleme warten, so Rusch. Gerade im Wahlkampf: Statt Mut und Überzeugung – Lavieren und Hoffnung, es irgendwie allen Recht zu machen.
Das führe zu Politikverdrossenheit, so der Medienwissenschaftler. Entstehe der Eindruck, dass hinter verschlossenen Türen entschieden und nicht mit offenen Karten gespielt wird, wecke das Verdacht, verstärke Unglaubwürdigkeit und Verdrossenheit. Dass es anders gehe, zeige das Beispiel Neuseeland, wo Regierungschefin Jacinda Ardern Entscheidungen ausschließlich an der Sachlage ausrichte, nicht an Umfragen – „das wird auch honoriert“, so Ruschs Beobachtung.
Offener Umgehen mit der eigenen Unsicherheit – auch in der Spitzenpolitik
Unsicherheit gebe es bis heute viel und auf allen Seiten; das Corona-Krisenmanagement folgte und folgt über weite Strecken dem Prinzip von „Trial and Error“, so Gebhard Rusch – auf Basis dessen, was man gerade weiß oder plausibel vermutet. „Mit diesen Unsicherheiten hätten die politischen Akteure offener umgehen sollen“, sagt auch Rusch: Mögliche Konsequenzen erläutern und begründen, warum man dennoch so entschied.
„Die Bevölkerung hätte von Beginn an als Partner in der Bewältigung der Herausforderungen und nicht als von den Maßnahmen lediglich Betroffene mitgenommen werden sollen.“ Denn viele sehen sich nicht nur als Opfer der Pandemie, sondern auch als Opfer der Gegenmaßnahmen. Die Politik habe den Eindruck entstehen lassen: Die Lage lässt sich administrativ lösen. So entstand eine unglückliche Opposition und Distanz zwischen Politik und Bevölkerung, sagt Rusch. Zumal psychische oder soziale Probleme, die durch die Pandemiebekämpfung erst entstanden sind, oft mangels Lobby spät oder gar nicht gehört wurden.
Seriöse Informationen gingen in der Kakophonie der sozialen Medien oft unter
Fehler seien unvermeidbar – und verzeihlich, erst Recht in einer solchen Situation. Man müsse durchaus feststellen, dass der erste Lockdown grundsätzlich richtig war – die erste Infektionswelle konnte gebrochen werden. Aber das sei eben nur eine, wenn auch sehr wichtige Perspektive. Andere wichtige Aspekte und Folgen des Geschehens wurden aber offensichtlich zu wenig bedacht und kommuniziert: Die Unsicherheit der Akteure etwa oder eben wie der Wissenschaftsbetrieb funktioniert.
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In der Folge wurde gerade in den sozialen Medien die Gefahr teils bagatellisiert, geleugnet oder verschwörungstheoretisch überblendet. Aufgrund der schieren Masse von Stimmen, die sich, kompetent oder nicht, zum Thema äußerten sind „seriöse Informationsangebote von RKI oder Regierungsstellen in dieser Kakophonie zu oft einfach untergegangen“, stellt Prof Rusch fest – auch, weil „querdenkende“ Stimmen hohen Aufmerksamkeits- und Nachrichtenwert haben.
Fünf Bewährte Prinzipien der Krisenkommunikation
Weil sich immer wieder völlig neue Herausforderungen stellen, kann es keine krisensichere politische Kommunikation geben, die immer schon alle Antworten und Sachlagen kennt, betont Prof. Gebhard Rusch. Also:
Die unübersichtliche Lage auf Basis gesicherter Informationen kontinuierlich darstellen. Informationsdefizite offen kommunizieren.
Ziele des (gemeinsamen) Handelns klar formulieren: Welche Schritte müssen wir jetzt nacheinander unternehmen, um welchen Zustand zu erreichen?
Alternatives Vorgehen und dessen Folgen abwägen, Entscheidungen begründen, Entscheidungsfindung transparent machen. Kosten (finanziell, sozial, kulturell, psychisch) offen kommunizieren.
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Fehler und unerwartete Konsequenzen einräumen, erklären, wie es dazu kommen konnte. Korrekturen oder neue Maßnahmen planen, begründen, offen kommunizieren.
Schon kleinste Erfolge aufzeigen, um daraus Motivation für weitere gemeinsame Anstrengungen zu generieren.