Siegen. Thomas Thiel ist seit April Chef des Museums für Gegenwartskunst Siegen. Bald startet das erste von ihm konzipierte Programm. Ein Interview.

Auch wenn das derzeitige Programm noch vor seinem Amtsantritt festgelegt wurde – zu tun hat Thomas Thiel, seit 1. April Leiter des Museums für Gegenwartskunst, reichlich. Über seine ersten Monate im MGK, das Thema Gegenwart und seine Ideen für die Zukunft sprach der Nachfolger von Dr. Eva Schmidt mit Florian Adam.

Eingelebt?

Thiel: Ja. Nach sechs Monaten im Amt und anfänglichem Pendeln zwischen Bielefeld und Siegen sind wir jetzt mit der ganzen Familie hier. Ich wurde aber in Interviews auch schon gefragt: Warum denn ausgerechnet Siegen?

Tja. Hat Sie denn irgendetwas hier irritiert?

Bisher gar nichts. Ich erlebe die Stadt als unglaublich attraktiv und interessant. Stadtfest, Apollo, Bruchwerk-Theater – ich habe schon viel mitbekommen. Es wird unheimlich viel geboten, auch zusammen mit der Uni. Und das Umland ist traumhaft. Spannend ist die Verbindung von Stadt und Land, von Zentrum und Umland; auch, was unser Publikum betrifft.

Weil das Publikum weniger heterogen ist als in Metropolen?

Wir haben Besucherinnen und Besucher direkt aus der Region, zielen aber auch auf das Rheinland, das Rhein-Main-Gebiet und natürlich darüber hinaus. Die Sammlung, das Museum: Da halten wir wirklich einen Schatz in der Region. Ich merke allerdings, dass viele Siegenerinnen und Siegener das Museum zwar kennen, aber noch gar nicht drin waren. Ich glaube, dass vielen Leuten gar nicht bewusst ist, was sie hier für hochwertige Werke sehen und was diese für sie bedeuten können.

Aber wie kommt das? Das MGK wurde immerhin schon 2001 eröffnet, und seitdem laufen jede Menge Bemühungen, die Menschen aus der Region hereinzubekommen.

Es ist trotzdem noch ein relativ junges Haus. Das braucht Zeit. Ich habe mir als Leitgedanken mitgenommen, den Aspekt der Öffnung noch weiter zu verfolgen. Für kommendes Jahr planen wir ein Projekt im öffentlichen Raum mit dem Künstler Michael Beutler. Entstehen soll eine Skulptur, die Aufenthaltsqualität bietet, die vielleicht auch als Bühne genutzt werden, die aber auch für sich selbst stehen kann. Damit verbunden wird die Einladung an Initiativen, Vereine, Künstlerinnen und Künstler, sich zu beteiligen.

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Um den Menschen öffentlich ein Beispiel für das zu geben, was Sie im MGK haben – und dass das eben kein elitärer Mist ist?

Die Frage ist immer: Wann ist das Museum relevant für einen Menschen? Da geht es um Anbindung.

Wegen des langen Planungsvorlaufs läuft noch das Programm, das bereits vor Ihrer Amtszeit festgelegt wurde. Wann beginnen Ihre Projekte?

Start ist im Februar kommenden Jahres. Ich habe mich aber bei der aktuellen Ausstellung von Lena Henke schon voll einbringen können, auch wenn sie als Trägerin des Rubens-Förderpreises von der Jury gesetzt war. Das war ein Glücksfall.

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Und abgesehen von der Zusammenarbeit mit Michael Beutler: Was haben Sie vor?

Das Jahresprogramm steht noch nicht komplett. Aber meine erste Ausstellung hier wird sich mit Gegenwart befassen – passend, weil wir das schließlich im Namen haben. Was prägt eigentlich unsere Gegenwart, was prägt die Kunst der Gegenwart? Damit verbunden ist eine Erfassung des Status quo, die Frage, was die Sammlungen auszeichnet – und eine Neupräsentation der Sammlungen. Es ist meine Beschäftigung mit den Beständen und mit der Entwicklung des Hauses.

Ergänzt um zusätzliches Material?

Ich lade Künstlerinnen und Künstler ein, die sich sehr stark mit der Gegenwart beschäftigen – aber so, dass es in die Zukunft weist. Mein Ziel ist, dass die Besucherinnen und Besucher dabei feststellen werden, welche gemeinsamen Interessen es mit den älteren Künstlerinnen und Künstlern der Sammlung gibt. Das schlägt Brücken von der Vergangenheit in die Gegenwart: Dass man trotz der zeitlichen Differenz eine Auseinandersetzung mit ähnlichen oder gleichen Themen erkennen kann, die nur aus einer anderen Perspektive interpretiert und entwickelt werden.

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Cool. Und wie erklären Sie das jemandem, der keinen Abschluss in Kulturwissenschaften hat?

Ganz einfach: In welcher Form kann Kunst Gegenwart sichtbar machen? Und das in ihrer jeweiligen Zeit. Was steckt in einem Bacon, was heute noch relevant ist? Was spiegelt sich da wieder im Körperbild, vom Wesen des Menschen? Welche Vorstellungen haben wir vom menschlichen Körper heute, was ist unser Ideal davon? Und da lässt sich dann auch schauen, wie sich andere Zeiten – etwa die 1950er oder 1960er Jahre – abbilden. Das gilt aber nicht nur für den Blick auf den Körper, sondern auch auf Landschaft oder Architektur. Auf jeden Fall wird die Ausstellung so konzipiert, dass man an verschiedenen Stellen andocken kann: Sowohl über Kunstgeschichte als auch intuitiv.

Das läuft umso besser, je mehr Leute ins Haus kommen.

Vermittlung bleibt eine große Herausforderung. Der Auftrag ist, alle Generationen ins Haus zu holen. Wir haben gute Projekte und Kooperationen im Kinder- und Jugendbereich. Wir müssen aber schauen, wie wir darüber hinaus kommunizieren und welche Angebote wir machen können. Ganze Bevölkerungsteile sehen das Haus noch nicht als ihr Haus, nicht als ihren sozialen Treffpunkt. Doch genau das wollen wir erreichen. Ich habe ein großes Interesse am Nicht-Besucher, der noch gar nicht im Haus war.

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Sowas hört man als Journalist irgendwie häufiger. Na gut: dauernd. Aber das scheint gar nicht so einfach zu sein.

Ich sehe da Museen generell vor einer Herausforderung. Wie sieht das Museum von Morgen aus? Wen spricht es an? Da sind digitale Kommunikation und digitale Medien wichtig. Einerseits, um das Haus transparenter zu machen. Andererseits, weil sich Möglichkeiten bieten, Ausstellungen anders zu denken – gerade bezogen auf die jüngere Generation, bei der die Wahrnehmung von Inhalten über digitale Medien dem eigentlich viel naheliegenderen Besuch oft zuvorkommt.

Ich könnte ja jetzt mit Walter Benjamin kommen. Ach, ich tu’s auch: Eine Reproduktion kann nie die Aura eines Originals vermitteln. Schon gar nicht auf einem Bildschirm.

Es ist ein Zusammenspiel verschiedener Medien. Was der Nutzer auf unserer Homepage erfährt, motiviert ihn vielleicht zu einem Besuch oder einem Tagesausflug nach Siegen. Und umgekehrt schauen sich Leute vielleicht nach dem Besuch die Homepage an und verfolgen, was weiterhin passiert. Wir müssen diese Möglichkeiten noch stärker nutzen. Dafür entwickeln wir gerade eine Digitalstrategie.

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Die Aura des Originals bleibt trotz endloser digitaler Reproduzierbarkeit ein zentrales Moment des Kunstwerks?

Langfristig löst das digitale Bild die Ausstellung nicht ab. Die persönliche Wahrnehmung, die haptische Ebene: Auch viele junge Künstlerinnen und Künstler bieten damit eine Erfahrung, die die Darstellung auf einem Bildschirm nicht bieten kann. Es ist unsere Aufgabe, das zu vermitteln: Was ist der Unterschied zwischen einem Werk, etwa von Rupprecht Geiger, auf dem Bildschirm und einem Geiger in der Ausstellung? Es gibt viele Aspekte, die verloren gehen über digitale Transformation. Es gibt aber auch die spannende Frage: Wo liegen die Chancen eines Kunstwerks in seiner digitalen Wahrnehmung?

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