Siegen. . Thomas Thiel wird am 1. April Leiter des Museums für Gegenwartskunst in Siegen. Der 41-Jährige hat Ideen; ein Konzept will er vor Ort entwickeln.

Nach 14 Jahren gibt es zum 1. April einen Wechsel in der Leitung des Museums für Gegenwartskunst: Auf Dr. Eva Schmidt, die sich neuen Aufgaben widmen möchte, folgt Thomas Thiel, derzeitiger Leiter des Bielefelder Kunstvereins. Im Gespräch mit Florian Adam stellt sich der neue MGK-Chef vor.

Was haben Sie für eine Beziehung zum Museum für Gegenwartskunst?

Thiel: Es ist ein sehr tolles Haus, das mit seiner künstlerischen und wissenschaftlichen Themensetzung in Erinnerung bleibt, das national und international Beachtung findet. Es ist 2011 nicht umsonst Museum des Jahres geworden. Ich verfolge die Entwicklung des Hauses seit vielen Jahren und war mehrfach wegen des Museums in der Stadt, auch schon lange vor meiner Bewerbung.

Ist Ihnen eine Ausstellung besonders im Gedächtnis geblieben?

„Lieber Aby Warburg“...

... „was tun mit Bildern?“ Das war Ende 2012 bis Frühjahr 2013. Warum gerade diese?

Es ging um die Bedeutung von Bildern, den berühmten Bilderatlas des Kunsthistorikers Aby Warburg und welchen Einfluss dieser bis heute auf die zeitgenössische Kunst und Fotografie ausübt. Ich habe damals an einem ähnlichen Thema gearbeitet – da ging es um Schaubilder in der Kunst.

Zur Person

Thomas Thiel, 41, leitet seit 2008 den Bielefelder Kunstverein. Zuvor war er vier Jahre lang Kurator und Leiter des Bereichs Ausstellungen am Zentrum für Kunst und Medien (ZKM) in Karlsruhe.

Er wurde in Nürnberg geboren, ist in Bamberg aufgewachsen und studierte Kulturwissenschaften und Ästhetische Praxis in Hildesheim und Marseille.

Er ist verheiratet und hat zwei Kinder. Zunächst zieht er allein nach Siegen, seine Familie kommt im Sommer nach.

Aus welcher Situation wechseln Sie ans MGK?

Ich habe jetzt zehn Jahre sehr erfolgreich den Kunstverein Bielefeld geleitet. Wir waren mehrfach für den Preis für Kunstvereine der Arbeitsgemeinschaft deutscher Kunstvereine und der Art Cologne gelistet, 2014 haben wir ihn bekommen. Ich habe die Institution und ihre Formate weiterentwickelt, mich währenddessen schon mit globalen und musealen Fragestellungen, dem Einfluss des digitalen Wandels und der Erweiterung des musealen Erlebnisraums befasst. Außerdem hat mich der Dialog mit angrenzenden Wissenschaften und Disziplinen wie Architektur, Design, Film, Musik und Literatur sehr interessiert. Jetzt freue ich mich darauf, meine Erfahrungen am MGK einzubringen.

Klingt nach etwas, was auch das Museum für Gegenwartskunst kennzeichnet.

In der Programmplanung von Dr. Eva Schmidt sind Medien beispielsweise immer gleichwertig betrachtet worden – auch ich werde kein künstlerisches Medium ausschließen.

Treten Sie mit einem Programm in Siegen an?

Wir planen gerade ganz konkret die Ausstellung der Rubens-Förderpreisträgerin Lena Henke im Herbst. Das wird sozusagen meine erste Ausstellung sein.

Aber haben Sie ein Konzept, mit dem Sie ans MGK kommen? Die Entscheidung für Frau Henke fiel im September 2018, sie ist also ohnehin gesetzt.

Ich habe natürlich Ideen und Vorstellungen. Aber das sind Leitlinien. Ich möchte zuerst mit dem Team meine Konzeption überprüfen und eine gemeinsame Vision für das Museum entwickeln. Dazu muss ich aber erst einmal Eindrücke gewinnen – und anknüpfen an das, was bereits vorhanden und erfolgreich ist. Darüber hinaus beschäftigt mich, dass Museen generell vor neuen Anforderungen stehen: Globalisierung, Demografie, technischer Wandel, vor der Frage, wie sie mit ihrem Bildungsauftrag umgehen – das alles auch mit Blick darauf, wie sich Museen für die Bürgerinnen und Bürger der Stadt stärker öffnen können.

Für Letzteres unternimmt das MGK doch ziemlich viel?

Damit ist man aber nie fertig. Es gibt im MGK bereits überzeugende Ansätze und Projekte. Aber es ist schwierig. Siegen ist mit dieser Situation ja nicht allein. Ich habe das auch in Bielefeld vor Augen.

Sie meinen: Dass ein Museum oder Ausstellungsraum zwar Menschen von außerhalb anlockt, aber vor Ort nicht von allen Leuten besucht wird?

Ja. Das hängt auch damit zusammen, dass man zeitgenössische Kunst, die manchmal spröde sein kann, erst für sich entdecken muss. Ich glaube, dass noch viel mehr Menschen diesen Schatz für sich heben können, auch in Siegen selbst. Außerdem ist die Gesellschaft sehr divers geworden in ihren Themen und Facetten. Das sollte ein Museum der Gegenwart meiner Meinung auch in seiner Programmatik und Vermittlung abbilden.

„Entdecken müssen“: Das klingt so nach Arbeit. Und wofür?

Ich halte die Beschäftigung mit zeitgenössischer Kunst gerade heute für etwas Wichtiges, weil sich dadurch andersartige Perspektiven eröffnen, weil es die Persönlichkeitsentwicklung fördert und den Blick auf die eigene Welt verändern kann. Das Kunstmuseum an sich wird auch deshalb in der Zukunft ein noch viel wichtigerer Ort werden.

Sie reisen also nicht mit fertigen Rezepten an, die sie dem Haus dann aufdrücken?

Nein!

Wie ist es eigentlich, auf jemanden wie Dr. Eva Schmidt zu folgen? Schon eine Hausnummer, oder?

Es ist absolut eine Hausnummer. Und es ist eine Messlatte. Aber es ist auch ein Anreiz für mich gewesen, mich zu bewerben: Mit eigenen Ideen da anzusetzen, wo sie aufhört. Eva Schmidt hat das Museum im In- und Ausland bekannt und zu einer Marke gemacht. Aber eine Nachfolge beinhaltet natürlich auch, dass man Dinge anders macht und neue Akzente setzt.

Von Bielefeld nach Siegen: Hätten Kunstmetropolen wie Berlin, New York oder London sie nicht eher für ihren nächsten Karriereschritt gereizt?

Die Geschichte zeigt, dass kleinere Orte immer wieder wichtige Rollen hatten. Es gab immer wieder Momente, in denen die Impulse eben nicht nur von den Metropolen ausgingen, sondern von kleineren Städten. Ich habe – wenn man das mal so despektierlich ausdrücken möchte – „Provinz“ immer auch als Chance begriffen; als Ort, wo sich Gespräche ergeben, wo sich etwas auf andere Weise entwickelt. Außerdem: Kunst aus New York, Berlin oder London können Sie auch in Siegen sehen. Im MGK. In Siegen zu arbeiten sehe ich auch persönlich als große Chance.

Können Sie das klarer fassen?

In die Metropolen kommen Menschen ohnehin. Das kulturelle Angebot nehmen sie quasi mit. In einer Stadt wie Siegen haben Sie aber weniger Geschäftsreisende und Touristen; Sie müssen die Menschen überregional gezielt durch ein überzeugendes Programm locken und gleichzeitig das Publikum vor Ort einbinden. Das ist ein Spagat, aber er lässt sich schaffen.

Freuen Sie sich auf Siegen als Wohnort?

Ich freue mich sehr, mit meiner Familie hierher zu ziehen und zum Beispiel das unglaublich grüne Umland zu entdecken – und darüber, dass die Universität in der Stadt ist. Die Uni wird auch definitiv eine Rolle in meiner Programmatik spielen. Noch bin ich aber dabei, die Stadt zu entdecken.