Siegen. . Künstlerin Andrea Freiberg führt am Abend Kinder durchs Museum für Gegenwartskunst. Eine besonders Erlebnis im Schein der Taschenlampen.

Nachts sind alle Katzen nicht nur grau, sondern im dunklen Museum für Gegenwartskunst auch sehr schwierig zu zeichnen. Genau diese Aufgabe hat Andrea Freiberg den fünf Mädchen, die an der Führung „Nachts im Museum“ teilnehmen, aber gestellt. Vor dem Schwarz-Weiß-Werk „Tremor“ von Bridget Riley sollen die Neun- bis Zwölfjährigen mit weißen Stiften eine „Musterkatze“ auf schwarzes Papier bringen. Die freiberg’sche Taschenlampe ist die einzige Lichtquelle im riesigen Raum. „Ich kann nichts sehen, ey!“, ruft eines der Mädchen. „Ihr sollt gar nicht viel sehen“, antwortet Freiberg. „Ihr sollt Euch in die Katze fühlen!“

Noch pinker als pink

In der Tat klappt das sehr gut, auch wenn kaum eines der Mädels am jeweils eigenen Stubentiger ein gutes Haar lässt. Jedenfalls sind alle mit Elan bei der Sache. Dass es nicht nur um das Betrachten von Kunst gehen, sondern auch die eigene Kreativität gefordert sein würde, hatte Freiberg, selbst Künstlerin, den jungen Teilnehmerinnen des spätabendlichen Rundgangs – Jungs haben sich nicht eingefunden – bereits angekündigt. Ebenso eine ganz neue Sichtweise auf die Werke: „Weil man Bilder mit der Taschenlampe ganz anders wahrnimmt als tagsüber.“


Foto: Florian Adam

Wie Recht sie hat, zeigt sich vor „876 / 98“ von Rupprecht Geiger. Die knallfarbige Ellipse strahlt im Lichtkegel noch pinkfarbener als üblich (wer hätte gedacht, dass das geht!). An Bridget Rileys „November“ wiederum macht Freiberg deutlich, dass Farbe erst durch Licht als Farbe erkennbar ist. Womit die Gruppe einerseits wieder bei nachts grauen Katzen landet – und andererseits eine kleine Physiklektion lernt.

Mit besonderen Möglichkeiten der Wahrnehmung geht es vor einem Großformat von Fritz Winter weiter. „Sinnesverschmelzung“, gibt Freiberg das Stichwort, und erzählt von Wassily Kandinsky: „Der konnte Farben hören.“ Aus einer Box darf sich jedes Mädchen ein kleines Instrument aussuchen. Gemeinsam überlegen alle, welche Farbe des Fritz-Winter-Werks dem jeweiligen Klang entsprechen mag. „Jetzt machen wir mal ein improvisiertes Musikstück“, fordert Freiberg die Mädels auf. Als alle Klänge im leeren, dunklen Museum ertönen, ist das in Zusammenhang mit dem Gemälde durchaus plausibel.

Kann das weg?

Knifflig wird es in der zweiten Etage. „Ist das Kunst – oder kann das weg?“ formuliert Freiberg die nächste Aufgabe. Zwar ist hier das Licht an; aber da hier derzeit die Ausstellung „Sigmar Polke und die 1970er Jahre“ aufgebaut wird, steht und liegt allerhand Zeug herum, das viel mit dem Aufbau, aber wenig bis nichts mit Polke zu tun hat: Besen, Podeste, Leitern, eine Sackkarre. Kurzum: Nichts, was man nicht auch schon als Kunstwerk für teures Geld in Galerien gesehen hätte, was in diesem Fall aber tatsächlich, nun: weg könnte.

Vertrackt! Aber die Mädchen lösen die Aufgabe dank eines freigeistigen Ansatzes mit Bravour. „Alles ist für mich Kunst“, sagt die zwölfjährige Laura, und kann es begründen: Denn alles hat Farbe, Form, Funktion, und alles ist von jemandem geschaffen worden. Die offizielle Lösung wäre übrigens gewesen: Kunst gab es hier nur in dem riesigen Karton, der an der Wand lehnt und eine Arbeit von Polke enthält. Zweifellos würde die Versicherung das so sehen. Aber ganz ehrlich: Die Lösung der Mädchen hat irgendwie mehr Charme.

Der zweite Blick bringt neue Ideen

Wieder im Erdgeschoss geht es zu Emil Schumachers „Libusa“. Durch die Fenster fällt etwas Licht von der Alten Poststraße herein. „Wenn uns jetzt Leute von draußen sehen – die könnten meinen, wir wären Einbrecher“, sagt Andrea Freiberg, während sie mit der Taschenlampe den Weg weist. „Wie sieht das aus?“, fragt sie und strahlt den Schumacher an. „Wie krickellakrock“, kommt prompt die Antwort. Die genauere Betrachtung lässt aber noch andere Ideen zu dem rot-schwarzen Bild sprudeln: „Lava ... Blut ...“

Geht doch. Aber um ehrlich zu sein: Es ist auch etwas krickellakrock.

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