Fröndenberg. Bei dem Flugzeugunglück in Fröndenberg haben Schaulustige die Einsatzkräfte behindert. Unter den Gaffern waren Familien mit Kindern - und das sei nicht zum ersten Mal bei einem Unfall der Fall gewesen, sagt die Feuerwehr. Welche Folgen der Anblick von Unfällen für Kinder hat und warum Menschen gaffen.
Nach dem Flugzeugunglück in Fröndenberg, bei dem am Dienstag fünf Menschen ums Leben kamen und drei Kinder schwer verletzt wurden, ärgert sich die zuständige Feuerwehr besonders über die Gaffer. Die Schaulustigen blockierten Zufahrtswege, so dass nachrückende Einsatzkräfte nicht schnell genug an der Absturzstelle sein konnten.
Für besonders viel Ärger bei den Rettungskräften sorgte dabei, dass Familien mit Kindern versuchten, zu der Unfallstelle zu gelangen. Es sei nicht das erste Mal gewesen, dass er Eltern mit Kindern unter den Schaulustigen an einem Unfallort gesehen habe, erklärt Thomas Wienecke, Kreisbrandmeister des Kreises Soest.
Kinder können mehr wegstecken, als man denkt
Doch können Kinder ein solches Unglück überhaupt verarbeiten, wenn sie es sehen? Kinder könnten meist mehr wegstecken, als man ihnen zutraut, erklärt der Notfallpsychologe Gerd Reimann. Dennoch: Bei Jungen und Mädchen, die besonders sensibel sind, bestehe die Möglichkeit, dass ein Trauma entsteht.
Dieses Trauma könne sich zum Beispiel durch sogenannte Nachhallerinnerungen äußern. "Das sind Bilder, die sie nicht mehr aus dem Kopf kriegen", sagt Reimann: "Es ist der Versuch der kleinen Seele, etwas zu verarbeiten."
Wenn Kinder selbst betroffen seien, könne das traumatisierender wirken, als wenn sie Zuschauer eines Unfalls sind. Als Beobachter verarbeiten Kinder das Geschehen leichter. Sie kennen Unfälle aus den Medien. "Für sie ist ein Unfall, dann wie ein Film. Sie nehmen das Gesehene nicht mit nach Hause", erklärt der Notfallpsychologe.
Eltern müssen mit ihren Kindern über das Gesehene reden
Wenn Kinder gezwungen werden, sich Unfälle anzuschauen, kann das ihnen schaden. Passiert etwa ein Unfall auf einer Straße und in einem Fahrzeug, das an dem Unglück vorbeifährt, sitzt ein Kind, dann sollten Eltern nicht auch noch extra anhalten, sagt der Psychologe.
Flugzeugabsturz an der Ruhr
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Ganz wichtig sei mit den Kindern über den Unfall, den sie gesehen haben, zu reden. "Es ist traumatisierend, wenn ein Kind den Zusammenhang des Ereignisses nicht darstellen kann", sagt Reimann. Dann stelle es sich schlimme Sachen vor. Gleiches gelte, wenn Eltern ihren Kindern die Augen zuhalten, damit sie einen Unfall nicht sehen. Das Kind muss verstehen, was passiert ist.
Warum es Menschen gibt, die als Schaulustige zu Unglücksstellen fahren
Gaffer würden für die Feuerwehr mittlerweile zum Tagesgeschäft gehören, erklärt George Placek. Er ist Leiter der Feuerwehr in Wickede und war der Einsatzleiter an der Flugzeugabsturzstelle auf den Ruhrwiesen in Fröndenberg. Doch warum gaffen Menschen eigentlich? "Gaffen ist ein Phänomen, das so alt ist wie die Menschheit", sagt Notfallpsychologe Reimann. Menschen seien genetisch dazu veranlagt, dass ihre Aufmerksamkeit auf Negatives gezogen wird. Aus dem Negativen ziehen sie mehr Informationen als aus dem Positiven.
Irgendeiner wird schon helfen - der Zuschauer-Effekt
Psychologen haben noch einen weiteren Grund ausgemacht, warum viele Schaulustige nicht helfen. Sie nennen ihn den non-helping-bystander effect, den Zuschauer-Effekt. Wenn mehrere Menschen in eine Gruppe einen Unfall erleben, gehe jeder davon aus, dass der andere Hilfe leiste, erklärt Reimann.
Dieser Effekt erkläre zum Beispiel, warum Frauen auf offener Straße vergewaltigt werden können, ohne dass jemand einschreitet. Opfer können sich aus dieser Situation befreien, indem sie einen Schaulustigen angucken und direkt anschreien.
Gaffer haben offenbar wenig Empathie
Doch wie sieht es aus mit den Menschen, die auch noch extra zu einer Unglückstelle hinfahren - wie es in Fröndenberg der Fall war? "Mit hoher Wahrscheinlichkeit haben solche Menschen wenig Empathie", sagt Reimann. Ihnen fehle das Bewusstsein, dass sie auch selbst betroffenen sein könnten. Ein weiterer Gaffer-Faktor: Das Unglück der anderen werte einen selber auf, weil man sehe, dass es anderen schlechter gehe.
Fünf Tote bei Flugzeugabsturz in Fröndenberg
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Dabei machen die Gaffer die Opfer eines Unglücks ein zweites Mal zu Opfern. Denn ihre Blicke können Scham auslösen. Schaulustige seien extrem unangenehm für die Opfer.
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