Fröndenberg. Fake News, Querdenken, Verschwörungstheorien. In Corona-Zeiten beschäftigt das auch Lehrer, Politiker und Sozialarbeiter tagtäglich.
Wie können Kinder und Jugendliche sogenannte „Fake News“ erkennen? Was unterscheidet eine seriöse von einer unseriösen Quelle? Und wie haben vor allem rechte Gruppierungen in den vergangenen Monaten versucht, Unterstützer zu mobilisieren? All das stellt nicht nur den Treffpunkt Windmühle vor Herausforderungen, sondern auch Lehrer an den Fröndenberger Schulen. Deshalb will man nun zusammen mit der Mobilen Beratung gegen Rechtsextremismus Strategien entwickeln. Einen ersten Schritt bildet nun ein Vortrag.
Die Ausgangslage
Verschwörungstheorien und -Ideologien haben gerade in Corona-Zeiten und bei einer steigenden Nutzung sozialer Medien spürbar zugenommen, sagt der Soziologe Leroy Böthel von der Mobilen Beratung gegen Rechtsextremismus des Landes NRW. Dabei machen sich gleich mehrere Gruppierungen diese zunutze. Während in der Querdenker-Bewegung von der „Plandemie“ die Rede ist, versucht die extreme Rechte vor allem mit Diffamierungen gegen Juden ihr Glück. „Unsere Aufgabe ist es, die (rechts)-extremistische Szene im Blick zu behalten“, so Böthel. Das Problem an „Fake News“ und Verschwörungsideologien sei vor allem, dass diese teilweise hochkomplex aufgebaut sind.
Dabei müssen beide Themenbereiche nicht zwangsläufig miteinander verbunden sein. „Fake News müssen nicht unbedingt mit einer Verschwörungsideologie zusammenhängen“, sagt Böthel. Gezielte Desinformation diene vor allem dazu, „Misstrauen in die Demokratie zu säen“. Und genau das führt unweigerlich auch zu sozialen Problemen. Wenn man glaubt, dass Politik, Presse und Justiz allesamt korrupt sind und eine weltweit agierende Schattenregierung alles steuert, sei es schwierig, aus diesem Strudel wieder herauszukommen.
Die Medienmacher
Dass Verschwörungsideologien und Radikalisierung stark zugenommen haben, macht Böthel derweil an mehreren Beispielen deutlich. Youtuber wie Heiko Schrang, Ken Jebsen oder aber der wegen Holocaustleugnung verurteilte „Volkslehrer“ Nikolai Nerling hätten in den vergangenen 18 Monaten ihre Reichweite massiv ausbauen, teilweise vervierfachen können. Allerdings muss es nicht gleich so extrem sein. Medien wie das Compact Magazin oder der Kopp Verlag streuen auch abseits von Facebook und Instagram Desinformation; der russische Staatssender RT Deutsch will sein Angebot ebenfalls ausbauen, hatte zuletzt eine Sendelizenz für einen eigenen Fernsehsender in Deutschland beantragt.
Die lokalen Akteure
Doch was passiert, wenn es nicht mehr nur um „Fake News“ geht, sondern darum, den Botschaften auch einen politischen Anstrich zu verpassen? Leroy Böthel richtet dabei auch den Blick auf die Region. Sei es eine „Gemeinwohlkasse“ des Königreich Deutschland (KRD) in Menden, Querdenken Demonstrationen, bei denen Neonazis und Reichsbürger mitmarschieren oder aber direkt Parteien, die am äußeren linken und rechten Rand versuchen, neue Mitglieder abzufischen. So zum Beispiel die Basis. Einer der Gründer der Partei ist der Fröndenberger Artur Helios, Spitzenkandidat für den Wahlkreis Unna I. Helios ist in erster Instanz vom Amtsgericht Dresden verurteilt worden, weil er bei einer Demonstration den Hitlergruß gezeigt haben soll. Derzeit läuft die Berufung gegen das Urteil. Bei einer Demo in Hamm fiel Helios mit folgenden Worten auf: „Sollte das Ganze mal kippen, dann haben wir eine Liste mit Namen, gegen die wir vorgehen müssen. Das ist das, was passieren muss. Die Leute, die das mit uns seit einem Jahr machen, müssen anschließend eliminiert werden.“ Böthel habe für die Mobile Beratung bereits viele Nazi-Demos besucht und selbst dort seien bislang keine Aufrufe wie diese gefallen. „Das heißt nicht, dass die Basis aus Nazis besteht, zeigt aber, was in der Partei sagbar ist.“
Die Parteien
Die Basis ist, so Böthel, aus dem Fahrwasser der Querdenker-Bewegung gegründet worden. „Sie möchten das Querdenken in die Parlamente tragen“, erklärt Böthel. Dabei nutze die Partei die „Fahnenwörter“ der Bewegung wie Freiheit, Demokratie oder Widerstand, alles mit einem esoterisch angehauchten Weltbild. „Das ist aber alles sehr vage. Im Grunde ist es ein inhaltsleeres Parteiprogramm.“ Dass der Sprung vom rechten Rand von ,Die Basis’ hin zur AfD nicht weit ist, macht der Soziologe am Beispiel des Bundestagswahlkampfes deutlich. In diesem Zuge habe es Hinweise gegeben, dass Basis- und AfD-Mitglieder gemeinsam Plakate aufgehangen und vor Schulen im Kreis Unna demonstriert haben.
Die Betroffenen
Böthel will mit seinem Vortrag vor allem zeigen, wie diffus die Lage, wie fließend die Übergänge bisweilen sind. Etwas, das Teilnehmer höchstselbst miterleben, wie Tobias Weise sagt. Ein Familienmitglied sei demnach von Verschwörungsideologien angetan. Aufklärungsgespräche blieben bislang erfolglos. „Ich glaube, er merkt nicht, dass er so langsam in die rechte Szene rein gerutscht ist“, sagt Weise. Dabei habe der Betroffene damit eigentlich gar nichts am Hut. „Die Grünen waren ihm irgendwann zu sehr Mainstream.“ Eine „Rezeptlösung“, sagt Leroy Böthel, gebe es dafür nicht, er bietet aber an, im Nachgang zu vermitteln.
Für Dr. Martin Streich (SPD) greift der Vortrag ansich aber zu kurz. „Wir müssen Schulen Hilfe an die Hand geben, damit man gegen solche Dinge arbeiten kann.“ Denn: Radikalisierung und Verschwörungsideologien seien kein Problem, auf das Deutschland ein Monopol besitze. Gleiches habe Streich bei Demos im Frankreichurlaub erlebt. „Das ist ein weltweites Phänomen, obwohl man sich im Internet doch alle verlässlichen Quellen anschauen kann“, sagt Streich.
Die Schulen
Was passiert, wenn bereits Schüler sich radikalisieren, macht das Beispiel Nils Hartwig deutlich. Der im September 2021 zum neuen Sprecher des AfD-Kreisverbandes Unna gewählte Hartwig kommt aus Frömern, war Schüler an der Gesamtschule Fröndenberg.
Hartwig ist nicht nur im Bundesvorstand der AfD-Nachwuchsorganisation Junge Alternative (JA), sondern hat laut Medienberichten auch eine Vergangenheit in der vom Verfassungsschutz als rechtsextrem eingestuften Identitären Bewegung (IB) und einer rechten Burschenschaft. Eine Entwicklung, die vor allem Lehrer vor die Frage stellt, was sie hätten anders machen können, um Schüler vor dem Abrutschen in solche Strukturen zu schützen. Hier soll es künftig noch mehr begleitete Aufklärungsarbeit geben.