Attendorn. Am 28. März vor 78 Jahren erlebte die alte Hansestadt ein grausames Bombardement. Ein Zeitzeuge weiß noch genau, was er an diesem Tag machte.

Der 28. März vor 78 Jahren war ein rabenschwarzer Tag in der mittlerweile gut 800-jährigen Geschichte der Hansestadt. An diesem Tag gingen um 10.59 Uhr und um 11.03 Uhr zwei Bombenteppiche auf Attendorn nieder. Das Läuten der Totenglocke der Pfarrkirche von 10.50 Uhr bis 11.10 Uhr ist an diesem Dienstag für die Opfer dieses schrecklichen Bombenangriffs, der viel Leid verursachte, bestimmt.

Der Mittwoch in der Karwoche 1945 sollte auch dem damals 8-jährigen Heinz Halberstadt in einprägender Erinnerung bleiben. An diesem Morgen war der heute 86-Jährige, wie die weiteren 89 Jungen und Mädchen, die sich auf die erste Heilige Kommunion, die 1945 am Ostersonntag sein sollte, vorbereiteten, zur Eucharistiefeier mit Pfarrer Josef Köster gegangen. Anschließend folgte allgemeines Üben, das von der Ursulinen-Schwester Martina geleitet wurde.

Das ist der Eingang zum Zugangsstollen der Atta-Höhle. Heinz Halberstadt, sowie viele andere Attendorner, besonders aus dem Bereich Niederstes Tor, suchten diesen am 28. März 1945,  dem Tag der Bombardierung Attendorns, zum Schutz auf.
Das ist der Eingang zum Zugangsstollen der Atta-Höhle. Heinz Halberstadt, sowie viele andere Attendorner, besonders aus dem Bereich Niederstes Tor, suchten diesen am 28. März 1945,  dem Tag der Bombardierung Attendorns, zum Schutz auf. © Meinolf Lüttecke

Heinz Halberstadt, der im Attendorner Bahnhof mit seinen Eltern Johannes und Anna Halberstadt (die die Bahnhofsgaststätte betrieben), drei Schwestern und einem Bruder wohnte, machte noch einen Abstecher in die Backstube von Max Humberg, der in der Bahnhofstraße ein Café betrieb, bevor er nach Hause ging. „Hier gab es immer was zu schlecken“, erinnert sich der Senior heute. Als es jedoch mehrmals Sirenenalarm gab, machte sich der junge Heinz auf den Weg nach Hause.

Umgekippte Schüssel mit Salat

Jedoch konnte er dort seine Eltern und seine drei Schwestern – der Bruder war in Hagen - nicht mehr antreffen. In der Gaststätten-Küche stand das Fenster offen und eine umgekippte Schüssel mit Salat ließ darauf schließen, dass Halberstadts fluchtartig die Bahnhofsgaststätte verlassen hatte. Der 8-Jährige Heinz schnappte sich sein Köfferchen, in dem unter anderem ein Heft, ein Spiel und Stifte enthalten waren, und machte sich alleine über die Finnentroper Straße in die Atta-Höhle. Der lange Zugangsstollen der Atta-Höhle wurde von den Attendornern als Luftschutzbunker genutzt.

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Beim Blick in die Niederste Straße konnte er zerstörte Häuser, unter anderem von Café und Konditorei Reuber, im Volksmund „Cafe-Bück-Dich“ genannt, und Café Müller sowie Tote erkennen. In der Höhle angekommen, hatte sich der 8-Jährige am Ende des Stollens, in dem auf beiden Seiten Bänke standen, auf die rechte Seite gesetzt. Am Nachmittag fand ihn seine Schwester Berta dort, vor einem Bretterverschlag auf der Bank sitzend. Sie brachte ihm Essen, mit nach Hause wollte er nicht, denn so etwas, wie am Morgen, wollte er nicht noch einmal erleben.

Vorbei am brennenden Holzlager

Die Sorge vor einer weiteren Bombardierung war noch gegenwärtig. Am frühen Abend ging Berta noch einmal zu ihrem Bruder in die Höhle und dann ging Heinz aber mit nach Hause. Beim Gang in den Bahnhof kann er sich noch an restliche Brände, den dümmelnden Sauerländer Dom und das brennende Holzlager von Möbel Keimer am Südwall erinnern. Heinz Halberstadts Vater war einer der Wenigen, der in der Hansestadt zu der Zeit ein Auto besaß. Mit diesem war er am Bombardierungstag unterwegs, um Verletzte zur Behandlung ins St. Barbara-Krankenhaus sowie in die Ausweichkrankenhäuser Konvikt und Ursulinenkloster und zu den drei in Attendorn ansässigen Hausärzten Dres. Rustemeyer, Scharpegge und Brandenburg zu bringen.

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Nach der Bombardierung Attendorns hatte die Familie Halberstadt sich ein Matratzenlager in der Gaststätte des Bahnhofs eingerichtet und schlief dort in der ersten Nacht. Ständig wurden Züge mit Verletzten und Kriegsmaterial durch den Bahnhof geleitet. Auch kam es vor, dass Verletzte in der Gaststätte durch das Rote-Kreuz-Team unter der Leitung von Maria Rustemeyer für den Weitertransport versorgt wurden. Dass einmal der Bahnhof bombardiert wurde, davor sorgten sich die Halberstadts.

Zur Person

Heinz Halberstadt war 44 Jahre bei der Sparkasse Attendorn beschäftigt – davon die letzten 25 Jahre als Sparkassendirektor. Bei der Fusionierung war Heinz Halberstadt noch dabei. Viele Jahre war der Attendorner stellvertretender Kirchenvorstandsvorsitzender sowie 22 Jahre Vorsitzender des Pfarrgemeinderats in der Pfarrei St. Johannes Baptist.

Vater Johannes Halberstadt, dessen Hobby die Jagd war, hatte seine Frau Anna und Sohn Heinz tags darauf in seine Jagdhütte nach Worbscheid gebracht. Hier fühlte man sich recht sicher. Am Ostersonntag ging auch Heinz Halberstadt zur Kommunion, aber in die Kirche von Listerscheid. Dorthin kam er mit seiner Mutter zu Fuß. Er trug einen Matrosenanzug von Bleyle. Da die Pfarrkirche in Attendorn zerstört war und nicht benutzt werden konnte, waren zahlreiche Kinder aus Attendorn außerdem in die Biekhofer Scheune sowie zu den Kommunionmessen in die Kirchen von Ennest und Helden gegangen.

Rodonkuchen für den Festtagskaffee

Am Nachmittag kam Vater Johannes mit Tochter Anneliese nach Worbscheid und sie brachten für Anna Halberstadt und Kommunionkind Heinz einen Rodonkuchen für den Festtagskaffee mit. Da der Bahnhof geöffnet sein musste, sobald Züge fuhren, blieben die Töchter Emmi und Berta in der Bahnhofsgaststätte. Zur Feier des Tages hatten sie für sich eine Torte gebacken.

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Da etliche Kinder aufgrund der Kriegswirren nicht in eine Kirche rund um Attendorn gegangen waren, hatte Pfarrer Köster im Sommer eine Kommunionfeier gemeinsam für die Jungen-, Mädchen- und Mischklasse in der notdürftig hergerichteten Pfarrkirche zelebriert. Heinz Halberstadt erzählte im Gespräch mit dieser Redaktion, dass die Hauseigentümer, deren Häuser nach dem Bombenangriff in Schutt und Asche lagen, heroisches geleistet hätten. „Es ist mit Hochdruck gearbeitet worden. Wo man Hilfe benötigte, da wurde mit angepackt. Es zeigte sich eine große Solidarität.“ Dass seit über einem Jahr Krieg in Europa herrscht, das hatte sich Heinz Halberstadt auch nicht vorstellen können. „Das haben wir doch alle hinter uns. Ein anderes Land zu vereinnahmen ist völkerrechtlich nicht zu vertreten“, sagt der 86-jährige ehemalige Sparkassendirektor.