Olpe/Siegen. Eva Freund (62) kämpft acht Monate lang um ihre geschlechtsangleichende OP. Sie wartet, hofft und wird enttäuscht. Das sagt die Krankenkasse.

Eva Freund kann noch kämpfen. Aber sie ist müde. Müde von den Demütigungen, müde vom Warten, müde von der Fremdbestimmung. Die 62-Jährige ist eine Transfrau. Seit etwa einem Jahr steht nicht mehr „Peter“, sondern „Eva“ in ihrem Ausweis. Ein wichtiger Schritt. Doch der größte steht ihr noch bevor: die geschlechtsangleichende Operation. Acht Monate wartete sie auf die Kostenzusage der AOK. „Es ist eine unendliche Geschichte“, sagt Eva Freund. Hoffnung, dann wieder Enttäuschung. „Mir geht’s echt scheiße damit.“

Depression und Entzug

Die 62-Jährige wusste schon früh, dass sie anders war. Sie spielte lieber mit Puppen als mit Autos, zog die Kleider ihrer Schwester an. Heimlich. Sie wusste, dass sich das für einen Jungen nicht gehörte. Was würden ihre Eltern sagen? Die Nachbarn? Freunde? Undenkbar. Also unterdrückte sie ihre Identität. Jahrelang. Jahrzehntelang. Ihr gelingt es ein „normales“ Leben aufzubauen. Frau, zwei Kinder, eine Bilderbuchfamilie. Doch das schmerzhafte Unterdrücken kommt irgendwann an die Oberfläche. Sie wird depressiv, beginnt zu trinken. 2016 muss sie in die Entzugsklinik. Ein langer Weg liegt vor ihr. Mit psychotherapeutischer Behandlung. Heute ist sie trocken. Heute kann sie zu sich stehen. Zu Eva. Eine wichtige Erkenntnis, die sie auch bei der Transsexuellen-Selbsthilfegruppe des DRK Kreis Olpe teilte.

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„Mit der geschlechtsangleichenden OP würde ich mich zu 100 Prozent Frau fühlen“, sagt Eva Freund. Denn es gibt immer wieder Momente in ihrem Alltag, in denen sie daran erinnert wird, dass sie biologisch noch ein Mann ist. Bei Arztbesuchen, zum Beispiel. Oder im Schwimmbad. „Wenn ich in die Damenumkleide gehen würde, würden die anderen mich für einen Spanner halten. Das geht doch nicht!“ Also verzichtet Eva Freund auf solche Freizeitaktivitäten.

Seit 2019 macht sie eine Hormontherapie in der endokrinologischen Abteilung der Universitätsklinik Bonn. Dadurch hat sich ihr Haarwuchs verringert, die Stimme ist etwas höher geworden. Auch die Brust hat sich entwickelt. Allerdings nicht so, wie es sich Eva Freund wünschen würde. „Die Brust ist sehr klein, wie die einer Jugendlichen. Befriedigend ist das nicht.“ Sie wünscht sich ein B-Körbchen. Auch dafür wäre eine OP notwendig.

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Alle Behandlungen und Befunde, die in Zusammenhang mit der Mann-zu-Frau-Transsexualität stehen, wurden dokumentiert. Und so gut wie alles musste der Medizinische Dienst, der von der AOK beauftragt wurde, einsehen und prüfen. Angefangen vom Bericht des Behandlers zur Hormontherapie, über den ärztlichen Befundbericht zum Hormonstatus bis hin zum psychotherapeutischen Indikationsschreiben. Mehr als ein Dutzend Schreiben hat Eva Freund seit März von der AOK erhalten. „Und andauernd sollte ich etwas Neues einreichen. Zuletzt eine psychiatrische Indikationsstellung. Davon war vorher nie die Rede“, erzählt Eva Freund. Ein zermürbender Prozess.

Immer mehr Infos gefordert

Tatsächlich habe der Medizinische Dienst wiederholt weitere medizinische Informationen benötigt und konnte auch in einem Zweitgutachten noch keine Entscheidung treffen, erklärt Jörg Lewe von der Pressestelle der AOK Nordwest. „Dies kommt allerdings bei komplexen Sachverhalten – wie hier die Geschlechtsangleichung – durchaus vor“, so Lewe. Das erste Schreiben der AOK ist datiert auf den 11. März 2022. Das sei in der Regel eine Art Standard-Schreiben, erklärt Lewe, mit dem der Medizinische Dienst überhaupt erst mal mit dem Fall vertraut gemacht werden soll. Erst im weiteren Verlauf, wenn ein Gutachter eingeschaltet wird, werde detaillierter und individueller nachgefragt. „Es ist natürlich diskutabel, ob nicht alle Fragen und Anforderungen in einem Rutsch erledigt werden können“, meint Lewe. Allerdings seien die Krankenkassen per Gesetz dazu verpflichtet, bei derartigen Leistungsanträgen den Medizinischen Dienst einzuschalten. Und dieser könne für seine Entscheidungsfindung eben noch weitere medizinische Unterlagen anfordern.

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Mehrere Telefonate

Es hätten häufig Telefonate zwischen der AOK und Eva Freund stattgefunden, in denen dargelegt worden sei, warum und welche Unterlagen noch eingereicht werden müssten. „Aus Gründen, die die AOK nicht zu vertreten hat, wurden diese Unterlagen jedoch nicht von unserer Versicherten zeitnah beigebracht. Die Versicherte rief uns dazu mehrere Male an und bat um Fristverlängerung, die wir jedes Mal gewährten“, sagt Lewe. Letztendlich seien alle erforderlichen Unterlagen am 1. Juli eingetroffen, am 7. Juli sei schließlich das Gutachten in Auftrag gegeben worden.

Am Montag, nach acht Monaten Wartezeit, gab es endlich den erlösenden Anruf: OP bewilligt. Die schriftliche Kostenzusage wurde am Dienstag verschickt. „Wir werden die Kosten für die geschlechtsangleichende OP und den Brustaufbau übernehmen“, sagt Lewe. Etwa 15.000 Euro werden beide Operationen kosten.

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Eva Freund ist erleichtert. „Ich bin unendlich glücklich. Ich könnte die ganze Welt umarmen!“ Das Kämpfen hat sich gelohnt. Auch wenn es noch etwa ein Jahr dauern dürfte, bis die geschlechtsangleichende Operation im Krankenhaus Essen stattfinden wird. Denn es gibt viele Menschen wie Eva Freund. Menschen, die endlich selbstbestimmt leben wollen. Und es lange genug nicht konnten.