Olpe. . Eva ist 59 Jahre alt und kam als Junge zur Welt. Heute erzählt die Transfrau aus Olpe, wie es ist, im falschen Körper zu leben.

Eva ist ein Mann. Zumindest wurde sie so geboren. Ihr Körper ist der eines Mannes. Die Stimme, die Gesichtszüge, der Name im Personalausweis. Doch Eva steckt im falschen Körper. Sie ist eine Transfrau. Schon als Kind wusste die 59-Jährige aus Olpe, dass da was nicht stimmt. Dass die Natur da irgendwie Mist gebaut hat.

Lange hat sie es versteckt. Zu lange. Sie hat geheiratet, Kinder gezeugt, lebt in ihrer Rolle. Bis heute. Eva hat sich geoutet. Zumindest den engsten Vertrauten hat sie die Wahrheit erzählt – und unserer Zeitung. Doch wie sieht ihr Leben aus? Und wie hat ihre Ehefrau reagiert?

Lächelnd öffnet Eva die Tür. Sie trägt hohe Schuhe, einen blauen Pulli und eine dunkle Hose. Auf Make-Up hat sie heute verzichtet. Muss ja auch nicht jeden Tag sein. Außerdem muss sie ja gleich noch arbeiten. Dann wird sie auch die dezente Kurzhaar-Perücke wieder ablegen müssen. „Auf der Arbeit weiß keiner Bescheid“, erklärt die gebürtige Siegerländerin. „Schwule und Lesben werden heutzutage akzeptiert. Aber mit dem Phänomen Transgender kann die Gesellschaft nicht viel anfangen.“

Das Outing

Wir nehmen am Esstisch Platz. Die beiden Hunde leisten uns Gesellschaft. Genau wie ihre Ehefrau Melissa (56) (Name von der Redaktion geändert). Sie sitzen sich gegenüber, schauen sich in die Augen. Lächeln. Es sind die gleichen Augen wie vor 33 Jahren, als sie geheiratet haben. Nur stand Eva eben als Mann vor dem Altar. Grade mal zwei Jahre ist es her, als Eva sich ihrer Frau offenbarte. Ein Schock. Natürlich. „Das war nicht einfach zu verdauen“, erzählt Melissa. „Ich musste mich erstmal schlau machen, was das eigentlich bedeutet. Und ich würde lügen, wenn ich sagen würde, dass uns das nicht einschränkt.“

Wenn die beiden zusammen das Haus verlassen, dann ist Eva ein Mann. Wieder der Ehemann, den sie jahrzehntelang mimte. Der Mann im Männerberuf, der zweifache Vater, der Opa, der Arbeitskollege. Der gelernte Kfz-Mechaniker, der auch bei der Bundeswehr war. Ein regelrechtes Versteckspiel. Zu groß ist die Gefahr, in Olpe Bekannte zu treffen, Menschen, die das nicht verstehen können. Menschen, die dafür sorgen könnten, dass er auf der Arbeit den Respekt verliert. „Das ist keine Krankheit, keine Laune“, macht Eva deutlich. „Das ist einfach da. Da hat die Natur irgendwie Mist gebaut.“

Das Versteckspiel

Den geschützten Raum ihrer Wohnung nutzt sie, um sich zu entfalten. Sie zieht schöne Kleider an, schminkt sich. Damals, als Melissa noch nicht Bescheid wusste, hatte sie sowas immer heimlich gemacht. Immer dann, wenn sie nicht zuhause war. Heute ist sie wie befreit. Als hätten sich jahrzehntelang angelegte Ketten endlich gelöst. Eva hat an Selbstbewusstsein gewonnen, bestellt sich Stylisten nach Hause, lässt sich in Sachen Make-Up und Kleidung beraten. Alles schön dezent, nicht übertrieben. Nichts missfällt ihr mehr als Figuren wie Olivia Jones. „Das geht gar nicht“, sagt Eva. „Das ist ein Missbrauch gegenüber Transgender.“

Manchmal verlässt sie aber auch als Frau die Wohnung. Gestylt mit Make-Up und Perücke erkennt sie keiner, ist sich Eva sicher. Melissa schaut dann vorher durchs Fenster, ob Nachbarn vielleicht auf der Straße zu sehen sind. Dann genießt Eva die Zeit als Frau in den Geschäften zu stöbern, Klamotten zu kaufen. „Die Leute gucken schon“, sagt Eva. „Aber da habe ich kein Problem mit. Ich habe nicht mehr so die Angst wie früher, den goldenen Käfig zu verlassen.“

Der Weg

Eva wusste es schon als kleines Kind, dass sie irgendwie anders war. Anders als die anderen Jungs. Sie war gerade sechs oder sieben Jahre alt. Sie spielte lieber mit den Mädchen. Gummi-Twist oder Barbies. An Weihnachten ließ sie die Eisenbahn unter dem Baum links liegen, widmete ihre Aufmerksamkeit lieber der Puppenstube.

Ihre Eltern ahnten nichts, zogen ihr Jungs-Klamotten an. Natürlich, schließlich hatten sie einen Jungen zur Welt gebracht. Eine Qual. „Ich habe mich damals schon unwohl gefühlt, aber als Kind weiß man nicht, wie man das zuordnen soll.“ Dann kam die Pubertät. Die Stimme veränderte sich, der Bart wuchs. Eva wollte das nicht, sie wollte, dass das aufhört. Eine schlimme Zeit. Sie sagte nichts, redete mit niemanden. „Man versucht, das zu verdrängen“, erzählt Eva. „Man hält das für eine Phase. Aber das ist es nicht. Das kommt immer wieder. Das ist so stark.“

Die junge Frau in dem Körper eines Mannes hatte Probleme Anschluss zu finden. In den Diskotheken fiel es ihr schwer, Frauen anzusprechen. Sie war ja schließlich selbst eine. Dann traf sie eines Tages Melissa. Ganz zufällig durch eine gemeinsame Bekannte. Die beiden verliebten sich. An dieser Liebe hat sich bis heute nichts verändert. Nicht mal nach dem Outing. „Ich hätte mit dem Verlust rechnen müssen. Sie hat ja schließlich einen Mann geheiratet“, sagt Eva. „Für sie ist das natürlich eine große Umstellung. Nicht nur, weil sie jetzt mehr Damenwäsche wäscht.“

Das jahrelange Schweigen hatte seinen Preis. Eva verfiel schon in jungen Jahren dem Alkohol, trank immer mehr, wurde abhängig. Zu groß war der innere Druck. Es folgten psychische Abstürze. Burnout. Eva wusste, es muss sich was ändern. Sie ging in eine Entzugsklinik. Das war 2016. Da hat sie zum ersten Mal den Mund aufgemacht, erzählt, warum sie zur Flasche greift. Mittlerweile wissen die beiden Kinder Bescheid, ein Teil der Verwandtschaft, nur wenige Freunde. Eine große Erleichterung.

Die Hilfe

Heute ist Eva die Leiterin der Olper Transgender Selbsthilfegruppe. Sie möchte andere Transfrauen und Transmänner davor bewahren, den gleichen Fehler zu begehen. Denn das Schweigen bereut sie zutiefst. Sie fühlt sich mit ihren 59 Jahren zu alt für eine Geschlechtsumwandlung. Die Pubertät ist die Zeit, in der man wirklich noch was verändern kann, betont sie. Etwas aufhalten kann. Dieser Bartwuchs. Dieser Adamsapfel. Der Appell, den Eva an die Eltern betroffener Kinder richtet, kommt von Herzen. „Es ist so wichtig, schon die kleinsten Anzeichen ernstzunehmen“, sagt Eva. „Wenn der Junge lieber Röcke tragen will, wenn er sein Geschlechtsteil hasst.“

Eva genießt die regelmäßigen Treffen mit der Selbsthilfegruppe. Endlich kann sie offen reden. Endlich fühlt sie sich nicht mehr alleine. Endlich kann sie wieder lachen. Ohne Alkohol. Ja, manchmal stört sie noch ihre männliche Figur, die fehlende Taille. Und ja, sie wurde mit einer schweren Bürde geboren – doch sie antwortet mit Lebensmut, das Lächeln mit einem Hauch Lippenstift verziert.

INFO:

Die Selbsthilfegruppe für Transgender in Olpe trifft sich alle 14 Tage in geschützten Räumen. Ort und Uhrzeit werden Mitgliedern der Gruppe persönlich mitgeteilt. Wer sich der Gruppe anschließen möchte, meldet sich bei Gruppenleiterin Eva unter 02761/2643 oder per Mail an trans.olpe@gmx.de

Es gibt nun auch eine Selbsthilfegruppe für Angehörige von Transfrauen und Transmänner in Olpe. Die Angehörigengruppe trifft sich das erste Mal am 26. Februar. Ort und Uhrzeit werden über die Selbsthilfekontaktstelle des DRK Olpe mitgeteilt. Kontakt:
shk@kv-olpe.drk.de oder unter 02761 2643

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