Kreis Olpe. Corona hat die Pflege herausgefordert. Christoph Becker (Caritasverband Olpe) spricht über die Folgen der Unsolidarität Einzelner für das System.
Vor knapp zwei Jahren, am 27. Januar 2020, wurde die erste Corona-Infektion in Deutschland nachgewiesen. Vom ersten Fall bis zum ersten Lockdown vergingen nur wenige Wochen. Die Pandemie bestimmt seitdem den Alltag. Systemrelevante Branchen erhielten mehr Aufmerksamkeit. Christoph Becker, Geschäftsführer des Caritasverbandes für den Kreis Olpe, blickt auf die Herausforderungen, Sorgen und Ängste zurück. Sein Wunsch für die Zukunft: mehr Miteinander, weniger Spaltung.
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Wir leben jetzt fast zwei Jahre mit der Pandemie. Eine lange Zeit. Können Sie sich noch daran erinnern, wie Corona Einzug in Ihren Alltag gefunden hat?
Christoph Becker: Ich erinnere mich noch an den Anfang. Nach meinem Kurzurlaub über Karneval in Ostfriesland, wo man kein Karneval feiert, kamen im März die Corona-Infektionen immer näher, die Sorgen und Fragen nahmen zu: Was ist zu tun? Wie kommen wir an Schutzmaterial? Die Not war groß. Es gab Ehrenamtliche und auch Unternehmen aus der Region, die Schutzmasken für uns genäht haben. Ein ganz anderer Standard als den, den wir heute haben. Zum 1. April 2020 wollten wir zwei Tagespflegen eröffnen. Das Personal war eingestellt, Anmeldungen vorhanden, dann plötzlich der Lockdown und nichts ging mehr. Ich erinnere mich an die Situation in den Seniorenhäusern, die geschlossen wurden, Besucher waren nicht mehr zugelassen. Beratung von Familien war nicht möglich. Dabei lebt Caritas von Offenheit und persönlicher Begegnung. Es war auch eine große Belastung für unsere Mitarbeiter, die beispielsweise für die Bewohner der Seniorenhäuser in dieser Zeit die einzigen Bezugspersonen waren. Normalerweise haben wir Hunderte ehrenamtliche Mitarbeiter. Doch anfangs war nicht klar, ob sie in die Einrichtungen kommen dürfen, also als Besucher oder aber als Mitarbeiter zählen. Das hat sich glücklicherweise aber geklärt.
Also hat sich inzwischen eine Art neue Routine eingestellt?
Zunächst war eine gewisse Hilflosigkeit zu spüren. Auch, weil sich ständig und immer sehr kurzfristig Verordnungen geändert haben. Inzwischen sind wir zwei Jahre weiter und haben Routine entwickelt. Es ist eine menschliche Eigenschaft, sich an neue Gegebenheiten anzupassen und daran zu gewöhnen.
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Auch die Menschen, die Sie betreuen?
Wir haben natürlich eine besondere Klientel, sprich: alte Menschen, sterbende Menschen, Menschen mit Behinderungen, Demenz oder Suchterkrankungen, Kinder. All diese Menschen benötigen Unterstützung, sie brauchen insbesondere den persönlichen Kontakt. Und plötzlich war das nicht mehr. Bewohner in den Seniorenhäusern haben gesagt, dass es schlimmer als im Krieg war. Das hat uns betroffen gemacht. Wir mussten uns die Frage stellen, ob diese absolute Kontaktbeschränkung richtig ist. Einige Bewohner haben uns gesagt, dass sie lieber das Risiko, an Corona zu sterben, eingehen wollten als total zu vereinsamen. Es ist ein dauerhafter Spagat, der bis heute durch Abstand und geforderte Distanz weitergeführt wird. Dabei stehen wir als Caritas für menschliche Nähe! Manches ist Dauerbelastung geworden, die langfristigen Auswirkungen kann man noch nicht absehen.
Haben Sie da ein konkretes Beispiel?
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Es ist diese Frage nach dem „was wäre wenn…?“ Man kommt morgens zur Arbeit, macht einen Test und ist plötzlich positiv. Im November hatten wir zum Beispiel unseren „Caritag“ mit 180 Teilnehmern. Alle waren getestet. Aber was wäre gewesen, wenn bei mir als Organisator einer solchen Veranstaltung plötzlich der Test ausgeschlagen hätte und ich hauptverantwortlich für einen Infektionsherd wäre? Das Gleiche gilt bei unseren Pflegekräften, bei Beratern, bei pädagogischem Personal: Wenn sie plötzlich ein positives Testergebnis haben, fragen die sich auch: Was heißt das für mich, meine Familie, die Menschen, um die ich mich beruflich kümmere? Was heißt das für Kollegen, die einspringen müssen? Gerade im Pflegebereich darf es keinen Ausfall geben. Mit diesem Hintergrundgedanken leben unsere Mitarbeiter seit zwei Jahren.
Sie sprechen selbst an, wie systemrelevante Pflegekräfte sind. Zum Anfang der Pandemie ging eine regelrechte Wertschätzungswelle durchs Land. Man kennt die Bilder von klatschenden Menschen. Wie viel ist davon übriggeblieben?
Wir haben erkannt, dass der Kreis der systemrelevanten Berufe deutlich größer ist, als wir es bis dahin angenommen haben. Es gab die Corona-Prämie als monetäre Anerkennung. Daran schloss sich aber auch die Diskussion an, wie gerecht das ist. Unser Caritasverband ist eine Art „Gemischtwarenladen“. Die Mitarbeiter in der Altenpflege haben beispielsweise von der Prämie profitiert. Aber es gibt eben auch andere Einrichtungen, in denen sich die Mitarbeiter genauso reingehangen haben, die aber keine Prämie erhalten haben oder in einer anderen Größenordnung. Es ist auch nicht alles mit Geld zu bezahlen. Anerkennung hat viele Facetten. Wir haben übrigens allen Mitarbeitern zusätzlich ein Jahreslos der „Aktion Mensch“ geschenkt. Das war ein symbolisches Zeichen der Wertschätzung. Und: Man hat dabei noch etwas Gutes getan.
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Aktuell läuft die bundesweite Caritas-Kampagne „#DasMachenWirGemeinsam“. Eine der zentralen Fragen: Wie steht es um den Zusammenhalt in unserer Gesellschaft. Was würden Sie selbst darauf antworten?
Wir haben viel Solidarität erfahren, intern wie extern. Wenn in einem Wohnhaus für Menschen mit Behinderung nicht nur die Bewohner selbst, sondern auch die Mitarbeiter Corona-positiv waren, haben beispielsweise Mitarbeiter aus unseren Werkstätten ausgeholfen. Obwohl lange Zeit persönliche Begegnungen nicht möglich waren, hat die grundsätzliche Hilfsbereitschaft nicht gelitten. Wir sind unterstützt worden und wir haben unterstützt. Was für uns besonders erfreulich war: Wir konnten im vergangenen Jahr unsere Ausbildungsplätze in der Pflege alle gut besetzen. Es hätte – gerade in der Pandemie – ja auch ein schlechtes Bild nach außen vermittelt werden können. Wir hatten Sorge, dass sich in dieser belastenden Zeit nicht mehr so viele für dieses Berufsbild interessieren, zumal Praktika lange Zeit nicht stattfinden konnten. Aber die Resonanz ist erstaunlicherweise gut. Wir hoffen und tun alles, dass das so bleibt. Mit attraktiven Arbeitsbedingungen, guter Bezahlung, Wertschätzung und Solidarität im Miteinander. Ich bin sehr stolz auf jeden Einzelnen in der Caritas, im Hauptberuf wie im Ehrenamt.
Nicht jeder zeigt sich in dieser Zeit solidarisch. Die „Corona-Spaziergänger“, die gegen die Corona-Politik und speziell gegen die Impfung demonstrieren, sind nur eine Facette davon. Frustrieren Sie solche Bilder?
Diskussionen mit „Generalleugnern“ erlebe ich als schwierig und anstrengend. Es macht aber auch keinen Sinn, einfach im Mainstream mitzuschwimmen. Zu reflektieren und zu überprüfen finde ich prinzipiell richtig. Der überwiegende Teil der Gesellschaft hat verstanden, dass die Impfung sinnvoll und wichtig ist. Die Annäherung mit historischem Ansatz ist hilfreich: Wo ständen wir heute in der Welt, wenn es keine Impfungen gegeben hätte und gäbe? Dabei zeigt sich, dass der Nutzen die Risiken immer deutlich überwogen hat.
Wie hoch ist die Impfquote in Ihren Einrichtungen?
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Die Impfquote in unseren Einrichtungen mit rund 1700 Mitarbeitern liegt nicht weit von 100 Prozent entfernt. Einige warten auf einen Totimpfstoff, es gibt aber auch Gegner und Verweigerer. Mit den Auswirkungen, also, wie es ab dem 15. März mit der Impfpflicht in großen Tätigkeitsbereichen des Verbandes weitergehen soll, beschäftigen wir uns derzeit. Wir brauchen eine gewisse Vorlaufzeit. Die Dienstpläne für März werden Mitte Februar gemacht. Das heißt, wir benötigen in den nächsten drei Wochen die klare Auskunft, wer für den März-Dienstplan zur Verfügung stehen wird. Sonst belasten wir die Geimpften dann kurzfristig weiter.
Und was passiert mit den Mitarbeitern, die sich bis dahin nicht haben impfen lassen?
In den Regelungen steht, dass Ungeimpfte ab dem 16. März nicht zum Einsatz kommen dürfen. Gleichzeitig müssen diese Personen dem Gesundheitsamt gemeldet werden. Insgesamt haben wir eine große Solidarität unter unseren Mitarbeitern. Aber die Unsicherheit oder Unsolidarität einiger weniger hat leider enorme Auswirkungen auf das ganze System. Das müssen die geimpften Mitarbeiter auffangen.
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Droht den ungeimpften Mitarbeitern dann eine Kündigung?
Prinzipiell bin ich ein Naturoptimist und habe die Hoffnung, dass wir die meisten noch von einer Impfung überzeugen können. Wir müssen jedoch damit rechnen, dass einige wenige Mitarbeiter gehen werden. Das wurde zumindest vereinzelt angekündigt. Ob sie es dann auch tatsächlich machen, ist eine andere Frage. Grundsätzlich sind die Mitarbeiter sehr zufrieden bei uns und es wechseln wenige. Bei uns weiß man, was man hat. Was woanders ist, bleibt genauso offen wie eine generelle Impfpflicht. Ich bleibe dabei: Wir versuchen das gemeinsam zu gestalten.
Was wünschen Sie sich für die Zukunft?
Die Sehnsucht nach persönlichen Begegnungen und Nähe ist groß. Ich würde mir wünschen, dass man wieder unbefangener aufeinander zugehen kann. Und dass wir das, was an Spaltung und Polarisierung sichtbar wird, wieder zusammenzubringen.