Wetter/Hagen. Für das Landgericht ist erwiesen, dass die Mutter ihren 9-jährigen Sohn ermordet hat. Erstmals spricht sie selbst vor Gericht.

„Er wollte leben.“ – Drei schlichte Worte, mit denen Heike Hartmann-Garschagen, Vorsitzende des Hagener Schwurgerichts, die Tragödie um den gewaltsamen Tod des kleinen Jungen aus Wetter zusammenfasst. Kurz zuvor wird das Urteil gegen die Mutter des Kindes verkündet: eine lebenslange Freiheitsstrafe wegen heimtückischen Mordes am eigenen Sohn.

Anspannung spürbar

Schon zu Beginn des sechsten Verhandlungstags ist in Saal 201 im Hagener Landgericht eine Anspannung zu spüren. Lediglich die angeklagte Wetteranerin (43) scheint das nicht wahrzunehmen, wirkt reglos, teilnahmslos, starrt erneut ins Leere. Nur kurz wird sie ihr Schweigen hinsichtlich ihrer Tat später brechen, wird das Mikrofon zu sich ziehen, anschalten und mit leiser Stimme äußern: „Ich möchte nur sagen, dass ich bereue, was geschehen ist.“ Sie sei selbst fassungslos, könne es nicht nachvollziehen. Sie wolle sich bei allen entschuldigen, denen sie Leid und Schmerz zugefügt habe. Danach verstummt sie wieder, versinkt in ihrer Starre, was sich auch im Moment der Urteilsverkündung zumindest nicht sichtbar ändern wird.

Keine Zweifel

Etwaige Zweifel, dass sie die Verantwortung für den Tod des Jungen trägt, gibt es nicht. Auf keiner Seite. Staatsanwalt Ömer Sivrice beschreibt in seinem Plädoyer den Ablauf der Nacht auf den 2. Februar: Der Schlag mit der Pfanne, das Verbringen des Sohnes in die Badewanne, wo er letztlich den Ertrinkungstod starb. Er wirft der 43-Jährigen vor, das besondere Urvertrauen zwischen Mutter und Kind gebrochen zu haben. Eine Antwort auf die Frage nach dem Warum wurde nicht gefunden. „Das Motiv bleibt weiterhin unklar.“

Angeklagte „liegt bereits am Boden“

Nebenklagevertreter Philippos Botsaris, Rechtsanwalt des Vaters, betont gleich zu Beginn seines Schlussvortrags, dass er mit seinen Worten nicht auf die Angeklagte eintreten wolle. „Sie liegt bereits am Boden, sie ist zerstört.“ Aber die Frage sei, ob sie bereits vor der Tat oder erst jetzt zerstört sei. Er kommt zu der Überzeugung, dass es erst jetzt so sei. Der neunjährige Junge sei ein „Bilderbuch-Kind“ gewesen, ein super Schüler, ein Kind mit gutem Benehmen und Sozialverhalten, der Freunde und Hobbies gehabt habe. Sein Vater habe auch nicht zu wenig Verantwortung übernommen. „Sie hatte eine Erwartungshaltung, die man nicht erfüllen konnte. Sie hat sich einfach ein Traumbild erschaffen.“ Rational betrachtet, habe nichts gefehlt. Aus seiner Sicht sei es möglich, dass das Kind für die Angeklagte ein Objekt, ein Accessoire an ihrer Seite gewesen sei und dass sie am Tattag entschieden habe, es nicht mehr haben zu wollen, es zu zerstören, es loszuwerden.

„Sie sind eine Mörderin“

Er könne und wolle nicht sagen, dass sie ein Monster sei. „Aber was Sie sind, Sie sind eine Mörderin. Sie haben ein nicht gelebtes Leben zerstört.“ Der Junge habe Träume und Ziele gehabt, die sie zerstört habe – und das Leben des Vaters, seines Mandanten.

Verteidiger beantragt Totschlag in einem minderschweren Fall

Die These, dass der Sohn für seine Mandantin ein Accessoire gewesen sei, halte er schon für sehr gewagt, pariert Verteidiger Dirk Löber in seinem Plädoyer. Die Tat sei der Angeklagten wesensfremd gewesen, nicht vorhersehbar. Es stehe fest, dass der Junge zu Tode gekommen sei und dass sie sich lebensgefährliche Verletzungen zugefügt habe – ein Suizidversuch. Aber Feststellungen zu ihrem psychischen Zustand zur Tatzeit könnten nicht getroffen werden. Es hätten psychische Erkrankungen vorgelegen. Das Gesamtgeschehen bliebe völlig offen – auch der Tatablauf. Er beantragt eine Verurteilung wegen Totschlags in einem minderschweren Fall. Einen konkreten Antrag stellt er nicht.

Heimtückischer Mord

Das Schwurgericht folgt am Ende dem Antrag von Anklage und Nebenklage, verhängt die lebenslange Freiheitsstrafe für einen Heimtücke-Mord. „Wir haben es hier mit einem schier unbegreiflichen Fall zu tun, aus dem alle als Verlierer herausgehen – in erster Linie das Kind und sein Vater, aber auch die Angeklagte, die jetzt eine lebenslange Freiheitsstrafe verbüßen muss“, erklärt die Vorsitzende Heike Hartmann-Garschagen. Die Angeklagte habe sich nach der Trennung überfordert gefühlt, habe gemerkt, wie viel Arbeit der Vater des Jungen übernommen habe und habe ihre nach außen getragene perfekte Mutterschaft als gefährdet gesehen. Sie habe entschieden, sich zu töten und dass das Kind auch sterben sollte. Es habe sich nicht feststellen lassen, dass sie dabei altruistische Gründe gehabt habe. „Er wollte leben.“ Sie habe ihm ein Leben ohne sie nicht zubilligen wollen. Sie habe ihm weder Leiden ersparen wollen oder gedacht, er könne ohne sie nicht leben. Auch habe es keine wahnhafte Verkennung der Lage gegeben. Und, der Junge sei zum Tatzeitpunkt arg- und wehrlos gewesen.

Verteidiger kündigt Revision an

Darüber hinaus folgt die Kammer der Einschätzung des psychiatrischen Sachverständigen: „Die Angeklagte ist voll schuldfähig. Und: „Sie hätte sich in jedem Abschnitt für oder gegen die Tat entscheiden können.“ Während Verteidiger Dirk Löber auf Nachfrage Revision gegen das Urteil ankündigt, erklärt Nebenklagevertreter Philippos Botsaris im Gespräch: „Als Jurist bin ich zufrieden.“ Er bezeichnet das Urteil als gerecht. „Die höchst mögliche Strafe, die wir haben - immerhin. Für meinen Mandanten kann dieses Urteil einen ersten kleinen Schritt in Richtung langfristige Trauerbewältigung bedeuten.“