Hagen/Wetter. Landgericht Hagen: Eine Mutter soll in Wetter ihren Sohn (9) getötet haben. Der Auftakt bringt viele Erkenntnisse, doch die Angeklagte schweigt.

Es ist die Frage nach dem Warum, warum ein kleiner Junge sterben musste, die alle umtreibt – Juristen, Zeugen, Beobachter und in erster Linie die, die dem Neunjährigen aus Wetter nahestanden. Diejenige, die eine Antwort geben könnte, schweigt am ersten Verhandlungstag vor dem Hagener Schwurgericht, wo sie sich wegen der Tötung ihres Kindes verantworten muss. Die 43-Jährige wird sich vermutlich zu einem späteren Zeitpunkt äußern.

Ihr Gesicht schützt die Frau mit einer Akte und einer Kapuze vor den Kameras. Sie zeigt sich erst, als die Verhandlung beginnt und sie nicht mehr Gefahr läuft, gefilmt oder fotografiert zu werden. Sie wirkt reglos, starr, teilnahmslos. Emotionen zeigt sie nicht. Nur einmal erscheint ein kurzes Lächeln auf ihrem Gesicht, als die Klassenlehrerin ihres Sohnes zu ihrer phantasievollen Mail-Adresse in Klassenangelegenheiten befragt wird. Offenbar eine der schönen Erinnerungen. Die Erinnerung an eine Zeit, in der ihre eigene Mailadresse die Worte beinhaltete: „Family makes me happy“.

Heimtücke-Mord in Betracht

Ihr Blick geht meist geradeaus ins Leere – über den Kopf von Staatsanwalt Ömer Sivrice hinweg. Nur ab und an schweift der Blick der Angeklagten durch den Saal, bleibt kurz an Personen haften, dann wandert er wieder an die ursprüngliche Position. Selbst auf den rechtlichen Hinweis der Vorsitzenden Richterin Heike Hartmann-Garschagen, dass auch eine Verurteilung wegen eines Heimtücke-Mordes in Betracht kommen könnte, zeigt sie keine wahrnehmbare Reaktion.

Die Rechtsmedizinerin erläutert das, was sich zwischen dem 1. und 3. Februar in der Wohnung an der Kaiserstraße abgespielt haben muss, mit der erforderlichen Sachlichkeit im Zeugenstand. Demnach erhielt der Junge einen wuchtigen Schlag mit einem breitflächigen Gegenstand auf den Hinterkopf – von hinten, höchstens leicht von links. Die gusseiserne Pfanne, die immer wieder zur Debatte stand, kommt ihrer Auffassung nach durchaus in Betracht. Der Neunjährige, der im Dezember noch Geburtstag feierte, erlitt ein Schädelhirntrauma. Er wurde anschließend in die Wanne gelegt und ertrank.

Überregionales Medieninteresse

Auch Fernsehsender schickten Journalisten ins Landgericht Hagen, um vom Prozessauftakt zu berichten. Gerichtssprecher Marcus Teich führt Interviews und gewährt einen kurzen Blick in die Akten, damit Medienvertreter ein Bild von einer Bratpfanne abfotografieren (mögliches Tatwerkzeug und Beweisstück) können. Durch diese erlitt der Junge ein Schädelhirntrauma, so die Rechtsmedizinerin.

Die Lokalredaktion hat am Montag live aus dem Landgericht berichtet (Text zum Nachlesen auf www.wp.de/wetter-ruhr).

Und es ist die nunmehr angeklagte 43-Jährige, die in den Morgenstunden des 3. Februar offenbar bei der Leitstelle der Polizei in Hagen anrief und äußerte, sie habe ihren Sohn umgebracht und werde sich nun selbst etwas antun. Beamte trafen vor Ort ein, fanden die verletzte Mutter und das tote Kind in der Badewanne. Die Polizisten berichten jetzt vor Gericht, dass sich die Wetteranerin, noch ehe sie die Frau als mögliche Beschuldigte belehren konnten, so äußerte: „Ich habe mein Kind umgebracht. Aber es musste nicht leiden.“ Auch sprach sie, deren Zustand kritisch war, von ihrem Ex und Trennung. Notfallsanitäter fragten sie, wie es zu dem Vorfall gekommen sei. Ihnen sagte sie offenbar, dass sie sich getrennt habe und überfordert gewesen sei.

Der gewaltsame Tod erschüttert sowohl die Polizeibeamten als auch die Sanitäter sichtlich. Nicht anders geht es der Klassenlehrerin des Neunjährigen, der plötzlich nicht mehr zur Schule kam und dessen Mutter nicht auf einen Anruf reagierte. Sie ringt im Zeugenstand um Fassung, beschreibt den Jungen als freundlich, klug, fröhlich und aufgeweckt – seine Mutter als sehr engagiert, fast überbehütend und stolz auf ihren Sohn. Eine Frau, die sich über ihren Einsatz und den Erfolg des Kindes definiert habe.

Das letzte Zeugnis des Jungen wird verlesen und wirkt auf eine verstörend-traurige Weise völlig deplatziert im Schwurgerichtssaal. Die Klassenkameraden hätten sehr unterschiedlich auf seinen Tod reagiert – von Weinen bis Wut. Insbesondere die engsten Freunde des Neunjährigen, das betont eine OGS-Betreuerin, seien zutiefst erschüttert. „Den Kindern ist von einem auf den anderen Moment die Kindheit genommen worden.“ Und bei diesen Worten kann sie die Tränen kaum zurückhalten.

Vater in Schockphase

Auf die Frage, wie es dem Vater des Kindes geht, erklärt dessen Rechtsanwalt Philippos Botsaris als Nebenklage-Vertreter: „Es ist schwierig zu beschreiben. Er ist noch in der absoluten Schockphase – und die ist geprägt von einer Grundtaubheit, abwechselnd mit niederschlagendem Schmerz.“ Sein Mandant befinde sich bis heute in psychologischer Behandlung und werde die auch fortsetzen. „Die große ungeklärte Frage für ihn ist natürlich das Warum.“ Als Vater habe er sich selbstverständlich viele Sorgen um das Kind um Gefahren von außen gemacht. „Aber die eigene Mutter? Das ist unbegreiflich. Das ist ja eigentlich der sicherste Ort für ein Kind.“

Auch interessant

Rechtsanwalt Dirk Löber vertritt die Frau, die ihren eigenen Sohn getötet haben soll und die im Gerichtssaal emotionslos wirkt. Er versichert: „Das Bild, das sich hier vielleicht bietet, entspricht nicht den Tatsachen. Meine Mandantin war vor der angeklagten Tat und ist weiterhin in einem psychisch schlechten Zustand. Sämtliche Umstände belasten sie massiv. Das Geschehene ist ihr in keiner Form gleichgültig. Ganz im Gegenteil.“

Am Mittwoch wird das Verfahren, für das bislang insgesamt sechs Verhandlungstage bis Mitte August anberaumt wurden, mit der Befragung weiterer Zeugen fortgesetzt.