Hagen. . Hagen ist traditionell ein Sprungbrett-Theater - auch für die jungen Sänger Raymond Ayers und Orlando Mason. Jetzt klettern die beiden Publikumslieblinge die Karriereleiter hinauf und ziehen im Interview Bilanz

Das Theater Hagen ist seit über 100 Jahren ein Sprungbrett für begabte junge Sänger. Viele Karrieren haben hier begonnen. Manchmal entwickelt sich eine Laufbahn allerdings anders als erwartet. So beim Bass Orlando Mason. Der verlässt die Hagener Bühne, um in den Staatsdienst seiner britischen Heimat einzutreten. Der amerikanische Bariton Raymond Ayers hingegen ist auf dem besten Weg an die ganz großen Häuser. Er singt ab nächster Spielzeit am Staatstheater Mannheim. Im Interview ziehen die beiden Publikumslieblinge Bilanz.

Sie sind beide seit sechs Spielzeiten in Hagen. Welche Erfahrungen haben Sie besonders geprägt?

Orlando Mason: Das waren sehr schöne Jahre. Für uns beide war es die erste Festanstellung. So konnten wir Schritt für Schritt Erfahrungen sammeln und lernen, mit der Verantwortung für unsere Stimmen umzugehen.
Raymond Ayers: Man kann in diesem Theater gut wachsen. Die Kollegen sind so nett und hilfsbereit. Meine erste Herausforderung war „Orpheus in der Unterwelt“. Damals konnte ich noch nicht so gut Deutsch sprechen und hatte viel Dialog. Vor jeder Vorstellung hatte ich Angst, dass ich etwas vergessen würde.

Was bedeutet das Prinzip Stadttheater für Sie?

Mason: Das Interessante am Stadttheater ist, dass man so viele unterschiedliche Sachen singt. Stimmliche Herausforderungen waren für mich der Großinquisitor in „Don Carlos“ und auf jeden Fall „Don Quichotte“. Dazu kommen die „Comedian Harmonists“, der Swing-Abend, ich habe auch moderiert.
Ayers: Ich habe hier insgesamt in 27 Rollen auf der Bühne gestanden. Der Figaro im „Barbier von Sevilla“, Don Giovanni, Posa, jetzt Jago in Verdis „Otello“, das waren auf jeden Fall Lieblingsrollen.
Mason: Das ist der Vor- und der Nachteil des Stadttheaters. Man kann sich vielfältig entwickeln.
Ayers: Wenn man schlau ist.

Warum das Theater Hagen eine Talentschmiede ist

Viele Sänger sagen, Hagen spiele unter den Bühnen eine besondere Rolle. Woran liegt das?

Mason: In Hagen gibt es eine gute Mischung aus jungen Sängern und erfahrenen Künstlern. Es ist sehr interessant, mit den älteren Sängern zu sprechen. Das ist wichtig zum Lernen.
Ayers: Zum Beispiel habe ich Kammersänger Horst Fiehl gefragt, ob ich den Jago machen soll. Eigentlich bin ich ein bisschen zu jung dafür. Aber schon Verdi hat zu seinem Librettisten Arrigo Boito gesagt, den Jago soll eigentlich ein Kavalierbariton singen und kein Charakterbariton. Horst Fiehl hat mir zugeraten, die Partie zu übernehmen, und das war genau richtig.

Mannheim ist für Sie ein Karrieresprung, Herr Ayers?

Ayers: In Mannheim kann ich ganz tolle Rollen singen, den Ford in „Falstaff“, Eisenstein in der „Fledermaus“, Danilo in der „Lustigen Witwe“, Belcore im „Liebestrank“, Carmina Burana. Das freut mich sehr. Ich war total überrascht, dass Ambrogio Maestri in Mannheim den Falstaff singt und Elisabeth Kulmann die Carmen. Da habe ich richtig ein bisschen Angst gekriegt, dass ich mit solchen Persönlichkeiten künftig zusammen singe.
Mason: Zu einer Karriere gehören viele Faktoren, man braucht auch Glück und Vertrauen, nicht nur Talent. Hinter jeder großen Karriere stehen viele schwierige Erlebnisse.
Ayers: Wenn nur eine einzige Person an Dich glaubt, das kann alles ändern.

Quereinsteiger als Beamter im britischen Staatsdienst

Herr Mason, Sie verlassen die Bühne, um in den Staatsdienst zu wechseln. Warum?

Mason: Weil das Angebot, das ich habe, so toll ist. Ich habe vor der Musikhochschule zuerst Politik studiert, und es gibt in Großbritannien ein sehr angesehenes Programm, wo man als Quereinsteiger für verschiedene Ministerien arbeiten kann und in kurzer Zeit für höhere Leitungsfunktionen qualifiziert wird. Ich fand es eine großartige Gelegenheit, mich reizt der Gedanke, jetzt im Beamtenwesen richtig Verantwortung zu übernehmen. Das wird ein Sprung ins Ungewisse, aber auch eine spannende Herausforderung.
Ayers: Es gibt 25.000 Bewerber auf nur wenige Stellen, und sie haben Orlando auf Anhieb genommen!

Möchten Sie dann künftig im Kulturministerium arbeiten?

Mason: Das wird man sehen. Aber ich habe auch Entwicklungshilfe und Konfliktforschung studiert, das wäre auch ein spannender Bereich. Gewisse Sachen werden mir natürlich fehlen. Ich hoffe, nebenbei wenigstens noch Konzerte zu singen, und ich möchte auf jeden Fall gelegentlich nach Hagen zurückkommen, um die Kollegen zu sehen.

Kreativität und Teamarbeit zeichnen das Theater Hagen aus

Herr Ayers, was sind Ihre Zukunftsträume?

Ayers: Für mich ist das jetzt so, dass ich eine Familie habe. Deutschland finde ich ganz super, weil man am Theater einen Festvertrag haben und mit der Familie dort sein kann. Außerdem sind in Deutschland die Wege kurz; wenn man an einem Haus fest engagiert ist, kann man problemlos an anderen Bühnen gastieren. In Amerika ist man als Opernsänger mal in Minnesota und mal in Texas, aber immer weit weg von der Familie.
Mason: Je erfolgreicher man wird, desto asozialer wird der Beruf.
Ayers: Ich will einfach Kunst machen durch Oper. Ob das in Mannheim ist oder an der New Yorker Met, das lasse ich das Schicksal entscheiden.

Trotz der Sparzwänge haben Sie sich am Theater Hagen wohlgefühlt, oder?

Ayers: Ein großer Vorteil des Hauses sind die Kollegen. Nicht überall ist die Zusammenarbeit so gut.
Mason: Das Teamgefühl setzt sich hinter der Bühne fort. Wenn man sieht, wie Pferd und Esel in „Don Quichotte“ gestaltet sind, weiß man, dass Geld allein gar nicht das Entscheidende ist, sondern die Kreativität. Qualität hat nicht nur mit dem Budget zu tun, sonst hätten wir längst zugemacht. Ich halte es fast für ein Wunder, was in Hagen immer wieder auf die Bühne gestellt wird. Es gibt immer wieder Produktionen, auf die die Stadt sehr stolz sein kann.