Hagen. . Ein edler Mohr in Uniform, eine einsame Kriegsheldengattin allein in einem Militärcamp – im Theater Hagen ist nach 20 Jahren zum ersten Mal Verdis Oper „Otello“ zu sehen. Darin transportiert Regisseurin Annette Wolf die ganze Dramatik der Tragödie: Die Musik trägt ihren Teil dazu bei.

Eigentlich wollte er ja keine Opern mehr schreiben. Eigentlich wollte Verdi, es war gerade Anfang der 1870er-Jahre, nach seinem „Aida“-Erfolg den Dirigentenstab an den Nagel hängen. Durch intrigengleiches Geschick schaffte es sein Verleger schließlich aber doch, den Maestro wieder für die Feder zu begeistern. Das Ergebnis: eines der berühmtesten Meisterwerke der italienischen Oper, Otello.

127 Jahre nach der Uraufführung der auf William Shakespeares „Othello“-Stoff basierenden Oper erstürmt der edle Mohr jetzt die Bretter des Hagener Theaters: Am Samstag, 7. Juni, feiert Verdis „Otello“ unter der musikalischen Leitung von Generalmusikdirektor Florian Ludwig Premiere. „Es ist die letzte Opern-Premiere der Spielzeit“, so Ludwig, „und auf der letzten Position brauchten wir eine Oper mit einer gewissen Prominenz.“

Musikalische Weiterentwicklung

Eine gewisse Prominenz – die würde man Verdis Oper kaum abstreiten. Schließlich sei in der musikalisch-dramatischen Umsetzung des Librettos von Arrigo Boito die Weiterentwicklung des Maestros seit „Aida“ deutlich spürbar, erklärt Ludwig. „Die Komposition ist erheblich in eine neue Richtung orientiert“, beschreibt der musikalische Leiter der Oper, „sie ist dialoglastiger als Verdis frühere Werke. Sie ist wie ein Sog, der einen hineinzieht und auf die Katastrophe zusteuert. Es sind zwar noch die traditionellen Spielformen der Opernmusik spürbar, aber sie werden direkter dramatisch eingebunden. So hat die Musik immer einen szenischen Sinn.“

Dreigroschenoper im Theater Hagen

Die Dreigroschenoper im Theater Hagen: Ensemble mit Marilyn Bennett (r) und Evelyne Wehrens.
Die Dreigroschenoper im Theater Hagen: Ensemble mit Marilyn Bennett (r) und Evelyne Wehrens. © Stefan Kühle / Theater Hagen
Die Dreigroschenoper im Theater Hagen: Ensemble mit Tanja Schun (Mitte), Christian Higer (vorne links) und Orlando Mason.
Die Dreigroschenoper im Theater Hagen: Ensemble mit Tanja Schun (Mitte), Christian Higer (vorne links) und Orlando Mason. © Stefan Kühle / Theater Hagen
Die Dreigroschenoper im Theater Hagen: Evelyne Wehrens und Christian Higer.
Die Dreigroschenoper im Theater Hagen: Evelyne Wehrens und Christian Higer. © Stefan Kühle / Theater Hagen
Die Dreigroschenoper im Theater Hagen: Orlando Mason (oben) und Werner Hahn.
Die Dreigroschenoper im Theater Hagen: Orlando Mason (oben) und Werner Hahn.
Die Dreigroschenoper im Theater Hagen: Ensemble mit Christian Higer.
Die Dreigroschenoper im Theater Hagen: Ensemble mit Christian Higer.
Die Dreigroschenoper im Theater Hagen:  Ensemble mit Christian Higer (oben) und Horst Fiehl.
Die Dreigroschenoper im Theater Hagen: Ensemble mit Christian Higer (oben) und Horst Fiehl.
Die Dreigroschenoper im Theater Hagen: Christian Higer, Tanja Schun und Maria Klier.
Die Dreigroschenoper im Theater Hagen: Christian Higer, Tanja Schun und Maria Klier.
Die Dreigroschenoper im Theater Hagen: Ensemble mit Marilyn Bennett und Werner Hahn.
Die Dreigroschenoper im Theater Hagen: Ensemble mit Marilyn Bennett und Werner Hahn.
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Deutlich zeige sich die musikalische Umsetzung des Handlungsstrangs zum Beispiel, wenn Bösewicht Jago seine Marionette Cassio zum Alkoholgenuss verführt. „Je besoffener Cassio wird, desto mehr verliert die Musik ihr Metrum, bis der Takt schließlich verloren geht“, erklärt Ludwig.

Fremdheit steht im Mittelpunkt

Warum überhaupt ein Stück auf die Bühne bringen, das es ganze 20 Jahre lang nicht auf den Hagener Spielplan geschafft hat? „Otello ist nach wie vor eine Oper mit aktuellem Inhalt“, erklärt Annette Wolf, Regisseurin der Hagener Inszenierung, „wir begegnen einem Protagonisten, der mit allen Mitteln versucht, sich zu assimilieren, aber niemals wirklich integriert wird. Das passiert uns jeden Tag: Jemand hat eine andere Hautfarbe, und automatisch entsteht ein gewisses Bild in unseren Köpfen. Das war 1604, als Shakespeare sich mit dem Stoff auseinander setzte, genauso wie zu Verdis Zeit, und setzt sich heute fort.“

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Es geht also um Fremdheit und um Isolation – ganz leicht wurde das Bühnenbild an die moderne Zeit herangerückt. Wir begegnen dem heroischen Feldherrn bei seiner Rückkehr in ein Militärcamp, in dem seine Desdemona bereits auf ihn wartet. „Die Schauspieler sind uniformiert, einige tragen Maschinengewehre, Otello besitzt eine Pistole und statt mit Schwertern wird mit Messern gekämpft“, erläutert Annette Wolf, „aber die zeitliche Einordnung war uns in der Inszenierung nicht so wichtig: Die menschliche Verrohung steht mehr im Mittelpunkt.“

Musik spiegelt Orientierungslosigkeit

Ebenfalls ein Blickpunkt: Desdemonas Einsamkeit. „Um das zu verdeutlichen, ist sie die einzige Zivilistin unter lauter Soldaten“, erläutert Dramaturgin Dorothee Hannappel, „und das auf einer Insel, weit weg von Zuhause.“

Die Orientierungslosigkeit der Protagonisten findet sich auch in der Musik wieder: „Wenn Otello auf die Bühne tritt, scheinen auch die Violinen nach einer Melodie zu suchen“, so Ludwig, „während er auf einer Note bleibt. Otello ist vielleicht erfolgreicher Feldherr, aber ein Choleriker und Neurotiker im Privaten.“ Die einzige musikalische Konstante in diesem Auf und Ab, über alle Intrigen hinaus: das Liebesmotiv. „Es ist das einzige Motiv, das sich nicht verändert“, so Ludwig, „und das auch nach dem Tod der Liebenden.“

Eine Konstante soll auch die Hagener „Otello“-Inszenierung werden: Auch für die nächste Spielzeit ist die Oper als fester Bestandteil eingeplant.