Hagen. . Noch ist unklar, ob die Stadt Hagen ihr Vorkaufsrecht wahrnimmt, und in den RWE-Enervie-Aktiendeal mit der Lünener Remondis-Gruppe reingrätscht. Eine Untersuchung im Auftrag des Rates der Stadt warnt angesichts der Unwähbarkeiten auf dem Energiemarkt vor den Risiken des Millionen-Geschäftes.
Bei der Informationsveranstaltung der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft „PKF Fasselt Schlage“ für Ratsmitglieder blieben am gestrigen Freitag die Pforten des hohen Hauses für die Öffentlichkeit verschlossen. Und auch die Sondersitzung des Stadtparlaments am kommenden Dienstag, in deren Mittelpunkt die mögliche Ausübung des Vorkaufsrechts zum Erwerb von Enervie-Anteilen aus dem RWE-Aktienpaket steht, findet hinter verschlossenen Türen statt. Dennoch ist der mögliche Millionen-Deal im Rahmen des Kommunalwahlkampfes nicht zuletzt durch die Unterschriften-Aktion der Hagener SPD zu einen zentralen Thema des politischen Diskurses geworden.
Um die Aus-dem-Bauch-Debatten der Mandatsträger mit Substanziellem zu unterfüttern, hat die Politik sich auf den letzten Drücker noch einmal extern Argumentationshilfen besorgt. In einer 62-seitigen Untersuchung kommen die Experten zu dem Fazit, dass eine Wahrnehmung des Vorkaufsrechtes mit durchaus erheblichen Risiken behaftet sei. Vor allem mit Blick auf die Erzeugung und den Handel empfehlen die Wirtschaftsprüfer sogar einen Ausstieg aus diesen Geschäftsfeldern.
Schwierige Situation auf dem Strommarkt
Die aktuell ohnehin schwierige wirtschaftliche Situation auf dem Strommarkt für konventionelle Kraftwerke werde bei Enervie durch den Zwangseinsatz der Erzeugungsressourcen aus Gründen der Systemrelevanz zusätzlich verschärft. Strategisch gehen die Wirtschaftsexperten davon aus, dass bei der aktuellen oder gar einer sich verschlechternden Marktsituation eine Stilllegung der Kraftwerksblöcke unausweichlich sei. Dadurch entstünden naturgemäß weitere Kosten für Rückbau und Sozialplan. Daher kommt PKF zu dem Schluss: „Die Vergütung für den Zwangseinsatz der Kraftwerke bietet nach derzeitigem Stand aus unserer Sicht keine Lösung, die das strukturelle Problem der Erzeugung auf mittlere Sicht löst.“
Der rechtliche Rahmen für ein Vorkaufsrecht
Mit der Mitteilung von RWE an die übrigen Enervie-Aktionäre, die knapp 22 Millionen Aktien (19,06 Prozent) an Remondis verkaufen zu wollen, kommt ein exakt vorgeschriebenes Verfahren in Gang.
Dabei wurde zwischen RWE und Remondis ein Kaufpreis von 2,74 Euro pro Aktie vereinbart, also ein Betrag von gut 60 Millionen Euro.
Den kommunalen Aktionären steht entsprechend ihrer Beteiligungsquote zunächst ein Vorkaufsrecht zu. Dieses müsste innerhalb von acht Wochen – also bis zum 12. Mai – ausgeübt werden.
Üben einzelne kommunale Aktionäre ihr Vorkaufsrecht nicht oder nur unvollständig aus, geht das Vorkaufsrecht auf die übrigen kommunalen Aktionäre – entsprechend ihrer Beteiligungsquote – über.
Im Rahmen der ersten Stufe des Vorkaufsrechts könnte die Stadt 10,04 Prozent der Aktien erwerben und käme somit deutlich über den 50-Prozent-Anteil.
Würde man den zwischen RWE und Remondis ausverhandelten Kaufpreis ansetzen, müsste die Stadt 31,6 Millionen Euro berappen. Die vorliegende Untersuchung geht hingegen von einem Preis von etwa 23 Millionen Euro aus.
Hinsichtlich des Kaufpreises macht die Untersuchung deutlich, dass die Stadt Hagen bei Wahrnehmung des Vorkaufsrechtes keineswegs die gleiche Summe zahlen müsse, die RWE bereits mit dem privaten Interessenten Remondis ausgehandelt habe. Vielmehr sei der so genannte „innere Wert der Aktien“, also ein objektivierter Unternehmenswert, anzuwenden. Dieser können exakt erst im Rahmen eines aufwändigen Bewertungsverfahrens (bis zum Fristablauf am 12. Mai nicht seriös machbar) benannt werden. In einer überschlägigen Substanzwertschätzung kommt die Untersuchung jedoch zu dem vorläufigen Ergebnis, dass der Wert pro Aktie bei etwa 2,00 Euro liege. Remondis würde 2,74 Euro zahlen – hier drohen also bei einer Wahrnehmung des Vorkaufsrechtes eventuell auch noch juristische Auseinandersetzungen zwischen der Stadt Hagen und RWE über dieses Delta.
Stadt müsste Dividende bei Verlust zahlen
Außerdem scheint klar, dass die Investition angesichts der schwierigen Situation am Energiemarkt und geringer Dividende-Erwartungen sich zeitnah kaum refinanzieren lässt. Chancen ergeben sich wiederum durch den möglichen steuerlichen Querverbund zwischen den ÖPNV-Verlusten bei der HVG (ca. 12 Millionen Euro) und potenziellen Enervie-Gewinnen. Hier sieht PKF Steuervorteile von bis zu 3,6 Millionen Euro bei der Gewerbe- und Körperschaftssteuer. Parallel dazu müssten jedoch Gewerbesteuernachteile anderer Kommunen durch einen Ergebnisabführungsvertrag aufgefangen werden – angesichts der aktuell geringen Ertragsaussichten ein weiteres, kaum abschätzbares Risiko. Denn selbst bei Enervie-Verlusten müsste die Stadt diese Garantiedividende zahlen.
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„Die Nichtausübung des Vorkaufsrechts durch die Stadt Hagen bedeutet nicht den Verlust der Chance auf Herstellung eines steuerlichen Querverbundes“, verweist PKF in der Untersuchung darauf, dass ein vollständiger ertragsteuerlicher Querverbund alternativ auch über eine Vorschaltgesellschaft möglich sei. Dabei könne auf das Vorkaufsrecht sogar verzichtet werden.
Neue Geschäftsfelder
Insgesamt kommen die Experten zu dem Fazit, dass eine Kooperation mit Remondis potenziell höhere wirtschaftliche Chancen eröffne als das bisherige Miteinander mit RWE. Der 19-prozentige Stimmrechtsanteil ermögliche den Lünenern keinen übermäßigen Einfluss, eröffne parallel aber neue Geschäftsfelder für Enervie als zentraler Energiedienstleister innerhalb der Rethmann-Gruppe.