Hagen. Ursprünglich wollte die Politik in den Ferien Kraft für den Wahlkampf zu tanken. Doch mit dem Verkauf des RWE-Aktienpaketes (19,06 Prozent) an der Enervie-Gruppe an die Lünener Remondis GmbH für gut 60 Millionen Euro (2,74 Euro/Aktie) herrscht plötzlich hinter den Kulissen hektische Betriebsamkeit.

Denn am 12. Mai – zwei Wochen vor dem Urnengang – läuft die Frist ab, in der die Stadt Hagen als größter Enervie-Anteilseigner (42,66 Prozent) ihr Vorkaufsrecht anzeigen könnte. Und der Gutachter, der über die Feiertage für entsprechenden Know-how-Zuwachs in den Fraktionen sorgen sollte, hat kurzfristig abgewunken.

Angesichts der aktuellen Unwägbarkeiten auf dem deutschen Energiemarkt, denen natürlich auch der heimische Versorger in seiner mittel- und langfristigen Entwicklung ausgesetzt ist, empfiehlt die Verwaltung der Politik mit Blick auf mögliche Risiken bislang, das Vorkaufsrecht nicht auszuüben: „Zwar können dann möglicherweise Chancen einer positiven Entwicklung nicht zusätzlich genutzt werden. Deren Eintritt ist aber aus heutiger Sicht nicht seriös einschätzbar“, heißt es in einer nicht-öffentlichen Vorlage, die dieser Zeitung vorliegt.

Mehrheit lockt

Andererseits – und genau diesen verlockenden Effekt gilt es abzuwägen – könnte Hagen durch den jetzt möglichen Zukauf zum Enervie-Mehrheitsaktionär werden. Damit würde eine Wiederherstellung des steuerlichen Querverbundes (Verrechnung der Enervie-Dividende mit den HVG-Verlusten bei Bussen und Bädern) erleichtert. Denn das städtische Enervie-Aktienpaket liegt treuhänderisch in den Händen der Hagener Versorgungs- und Verkehrsgesellschaft (HVG). Bei künftig wieder positiveren wirtschaftlichen Ergebnissen und einer entsprechenden Ausschüttung würde sich natürlich auch die aktuell ausbleibende Enervie-Dividende entsprechend erhöhen.

Hagener Politik gut informiert

Im Rahmen der Aufsichtsratssitzungen sowie des Beteiligungscontrollings ist die Hagener Politik kontinuierlich über die wirtschaftliche Perspektive der Enervie-Gruppe informiert.

Die genehmigte Mittelfristplanung (2014-2018) der Enervie lässt durchaus erhebliche Ergebnisverbesserungen erwarten, weist aber auch Risiken vor allem in der Erzeugungssparte aus.

In den verschiedenen Szenarien liegt die Wertbandbreite zwischen den Extremwerten von 0,29 und 6,20 pro Aktie. Damit müsste Hagen für das Aktienpaket einen Betrag irgendwo zwischen 3,3 und 71,5 Millionen Euro kalkulieren. Der Remondis-Preis entspricht in etwa dem geglätteten Mittelwert von 2,71 Euro/Aktie.

Inwieweit sich diese Effekte tatsächlich einstellen, gleicht für die Politik einem Blick in die Glaskugel. Entsprechend hat der Haupt- und Finanzausschuss vereinbart, die IKB (Deutsche Industriebank) eine Expertise zur Entwicklung der Energiewirtschaft und somit zum Wert des RWE-Aktienpaketes anfertigen zu lassen. Würde die Stadt Hagen zum gleichen Preis wie Remondis ihr Vorkaufsrecht ausüben, müsste die HVG aus ihrer Rücklage etwa 31,6 Millionen Euro aufbringen. Allerdings könnte ein Gutachter auch zu dem Resultat kommen, dass der so genannte „innere Wert der Aktien“ aktuell niedriger liegt.

Sondersitzung am 29. April

Die IKB, die sich zunächst ausdrücklich für eine Netto-Summe von 50.000 Euro um den Wertermittlungsauftrag und die Beratungsleistung zur Ausübung des Vorkaufsrechts beworben hatte, zog ihre Offerte Ende der vergangenen Woche überraschend wegen einer Interessenskollision zurück. Seitdem wird darum gerungen, ob kurzfristig ein Mitbewerber noch einspringen und bis zum 25. April das von der Politik geforderte Gutachten über die Osterfeiertage erstellen kann. Denn in einer Sondersitzung des Rates möchte die Politik sich am 29. April endgültig entscheiden.