Hagen. In zwei Monaten beendet Jörg Dehm seine Tätigkeit als Oberbürgermeister der Stadt Hagen. Er verrät, was es überhaupt heißt, Oberbürgermeister einer Stadt wie Hagen zu sein. Angefangen beim fehlenden Privatleben bis hin zu der extrem hohen Erwartungshaltung an den ersten Bürger der Stadt.

So ein Kalender reicht bis in alle Ewigkeit. Theoretisch zumindest. Und das gilt auch für einen elektronischen, der auf einem Rechner geführt wird. Auf jeden Fall geht er über eine Amtsperiode hinaus. Erst recht, wenn der Amtsinhaber sie eigenmächtig verkürzt hat. So wie Jörg Dehm, Noch-Oberbürgermeister der Stadt Hagen, dessen Nachfolger frühesten am Sonntag, 25. Mai, spätestens aber drei Wochen später bei einer möglichen Stichwahl bestimmt wird.

NN steht im Kalender des Oberbürgermeisters für alle Termine, die eingehen und bei denen jetzt schon klar ist, dass der Neue ran muss. NN steht für nomen nominandum, lateinisch für noch zu benennen. „Ein Oberbürgermeister startet von null auf hundert“, sagt Jörg Dehm und blickt zurück auf seine ersten Tage im neuen Amt: „Vieles von dem, was man macht, ist fremdbestimmt. Es ist wichtig, dass man ein gutes Team um sich herum hat.“

Die Anfänge

Er, der typische „Verwaltungs-Heini“ (wie er selbst sagt), der zuvor in Dinslaken, einer Stadt mit knapp 70.000 Einwohnern, als Kämmerer Dienst tat, schlüpfte in Hagen in eine Doppelrolle. Oberster Repräsentant einer Stadt und als CDU-Mann Chef einer Verwaltung, die eher rot gefärbt ist. „Man kann sich nicht verstecken. Es gibt gegenüber einem OB eine extrem hohe Erwartungshaltung. Die eine Rolle kannte ich ja schon. Die andere war neu. Aber der Umgang mit den Menschen in der Stadt gibt einem extrem viel Energie.“

Der Alltag

Dabei ist ein Oberbürgermeister eine Eier legende Wollmilchsau. Einer, der eben noch in einer Krisensitzung über den Abbau von Personal diskutieren musste und drei Minuten später mit einem breiten Lächeln im Gesicht einen Kindergarten eröffnet. „Allein die Anzahl der Termine ist schon heftig“, sagt Jörg Dehm, „die Anzahl meiner Arbeitsstunden habe ich nie gezählt. Aber sie dürften deutlich jenseits einer 41-Stunden-Woche liegen. Ab und an bekommt man zu Hause mal einen zarten Hinweis.“

Das Umfeld sei extrem wichtig, findet Dehm. Die unmittelbaren Mitarbeiter, die im sogenannten Büro des Oberbürgermeisters auf der Teppichetage des Rathauses an der Volme angesiedelt sind und dem Mann, der für rund 3000 Bedienstete Verantwortung trägt, zuarbeiten. Dazu kommen die Dezernenten. „Einmal pro Woche, immer dienstagsmorgens, kommen wir im Verwaltungsvorstand zusammen“, so Dehm.

Die Anspannung

Das alles kann aber die extreme Anspannung, unter der ein Oberbürgermeister steht, kaum mindern. „Viele passiert auf Zuruf“, sagt Dehm, „die Tage, an denen man zusammensitzt und Dinge ganz in Ruhe besprechen kann, sind die Ausnahme. Auch das Auto wird zum Arbeitsplatz. Anfangs habe ich mal versucht, mir Zeit für eine Mittagspause freizuhalten. Das habe ich ziemlich schnell wieder aufgegeben. Wenn man als OB bei Terminen zusagt, muss man auch klar kommunizieren, dass das Zeitfenster begrenzt ist.“

Die Anforderungen

Die Gabe, auch mal zu improvisieren, ist gefordert. „Und man muss Spaß haben im Umgang mit Menschen“, sagt Dehm. Man müsse aber auch starke Nerven haben. „Im OB-Büro landen ja in der Regel Menschen, die Probleme haben. Wer zufrieden ist mit dem, was die Verwaltung so macht, kommt normalerweise nicht zum Oberbürgermeister. Wenn man das sechste oder siebte problematische Gespräch an einem Tag führen musste – das merkt man schon.“

Man müsse als OB auf jeden Fall bereit sein, Verantwortung zu übernehmen und auch Risiken zu tragen. Und das alles vor dem Hintergrund einer extrem angespannten Haushaltslage. „Die Rahmenbedingungen werden sich ja nicht sprunghaft verbessern“, sagt Dehm.

Die Bereitschaft zum Dialog sei gefordert. „Gerade, wenn es im Rat keine klaren Mehrheiten gibt“, so der CDU-Mann Dehm mit Blick auf eine Kommunalwahl, die vermutlich einen noch bunteren Rat hervorbringen wird: „Vielleicht habe ich das manchmal zu sehr schleifen lassen.“

Die Perspektive

Selbstkritische Töne eines Mannes, der in den letzten viereinhalb Jahren auch dazu gelernt hat. „Ich glaube, es tut der Stadt gut, wenn man Probleme gemeinsan angeht“, so Dehm, „es nützt der Stadt insgesamt, wenn es weniger heftig zugeht, als es zuletzt der Fall war. Das ist fatal für die Außenwirkung. Und es bringt die Stadt keinen Zentimeter voran. Solche Phasen können wir uns gar nicht erlauben.“ Kontinuität wünscht Dehm der Stadt, die er bald verlässt. Die vielen neuen Figuren an der Spitze hätten Hagen nicht gut getan.

Das Private

Es gibt ein Leben außerhalb der Politik. Wenn auch selten. „Aber das hilft“, sagt Jörg Dehm, „Familie und Freunde sind extrem wichtig. Es besteht durchaus die Gefahr, dass man mal als Oberbürgermeister abhebt. Und dann sind Menschen wichtig, die einen wieder auf den Boden der Tatsachen zurückholen. Wobei man sich als Oberbürgermeister darüber im Klaren sein muss, dass die Familie unter dem Amt leidet.“

Die Medien

Die Hagener Medienlandschaft ist anders. Anders als die im kleineren Dinslaken. Vielleicht auch als die in anderen Städten. Die Berichterstattung ist kritischer. Und auch dem muss sich ein Oberbürgermeister stellen. „Es gibt Optimierungspotenzial“, sagt Dehm auch mit Blick auf die Beziehung zu unserer Zeitung, „aber es gibt auch eine Grenze zwischen der Berichterstattung über Politik und dem Punkt, an dem Medien Politik machen. Gelegentlich ist diese Grenze überschritten worden. Aber der neue Oberbürgermeister sollte das Verhältnis zu den Medien entkrampfen.“

Der Abschluss

In den letzten Tagen ergibt sich für einen scheidenden OB eine seltsame Gemengelage. „Die Zeit scheint nur so vorbeizurauschen“, sagt Dehm. Immerhin: „Der Umgang mit den Fraktionen ist entspannter geworden. Sie sehen in mir nicht mehr den politischen Gegner. Ich bin ja bald raus.“ Neue Baustellen fange er nicht mehr an. Auch sei er am Ende nicht mehr so gefragt. „Ich will einen vernünftigen Übergang.“ Sich selbst sieht Dehm nicht mehr in einem öffentlichen Amt. Seine persönliche Zukunft sei völlig offen.

Das Fazit

Natürlich sei in seiner Amtszeit nicht alles optimal verlaufen, so Dehm. „Aber alles in allem war es eine Super-Zeit. Ich nehme unheimlich viele positive Erinnerungen mit. Besonders das großartige ehrenamtliche Engagement in Hagen hat mir imponiert.“