Hagen. Energie aus der Kanalisation? Der Wirtschaftsbetrieb Hagen bietet einen Überblick, was im Stadtgebiet sinnvoll nutzbar wäre. Denn 80 Prozent der verbrauchten Energie im Haushalt entfallen auf Wärmeerzeugung. Im Rahmen einer Studie hat der WBH die Voraussetzungen für eine Abwasserwärmenutzung geprüft.

Plötzlich werden Technologien interessant, die man vor wenigen Jahren noch wegen mangelnder Effizienz sofort wieder tief in den Schreibtischschubladen verschwinden ließ. Aufgrund steigender Energiepreise einerseits und des technologischen Fortschritts im Bereich der Wärmepumpen und Wärmetauscher andererseits wird die Abwasserwärmenutzung zunehmend wirtschaftlich attraktiv.

Vor diesem Hintergrund hat der Wirtschaftsbetrieb Hagen (WBH) im Rahmen einer Studie versucht, die lokalen Voraussetzungen für eine Abwasserwärme-nutzung zu prüfen und die Potenziale dieses fortschrittlichen und vor allem klimaschonenden Verfahrens im Hagener Kanalnetz zu untersuchen. „Jeder hat im Winter schon einmal dampfende Kanaldeckel gesehen“, macht Uwe Sommer, Diplom-Ingenieur beim WBH, deutlich, dass hier durchaus bislang ungenutzte Energiereserven schlummern. „Der Grund ist naheliegend: Warmes Abwasser vom Waschen, Spülen, Kochen oder Duschen kühlt auf dem Weg zur Kläranlage keineswegs vollständig aus. Es wäre also unsinnig, diese einmal aufgebrachte Energie weiterhin ungenutzt in den Kläranlagen verschwinden zu lassen.“ So wurde auch für die Hagener Unterwelt – das Kanalnetz ist immerhin 670 Kilometer lang – bei Messungen im Winter 2012 Werte zwischen 7,5 und 25 Grad ermittelt.

Ganzjährig verfügbar

Eine Erkenntnis, die auch bundesweit an Stellenwert gewinnt. Immerhin entfallen 80 Prozent der im Haushalt verbrauchten Energie auf Wärmeerzeugung. Mit der jährlich anfallenden Schmutzwassermenge von bis zu sechs Milliarden Kubikmetern – das entspricht etwa 3000 Füllungen der Hasper Talsperre – ließen sich in Deutschland fünf bis zehn Prozent der Gebäude heizen. „Diese Energieform steht ganzjährig relativ gleichmäßig zur Verfügung, ist somit eine absolut zuverlässige Energiequelle, die nicht nur deutlich die CO2-Emissionen senkt, sondern sogar im Winter zum Heizen sowie im Sommer zum Kühlen eingesetzt werden kann“, schildert der WBH-Experte die auf der Hand liegenden Vorteile.

Technische Voraussetzungen

Zentrale Aufgabe des Hagener Kanalsystems ist natürlich der Transport von Abwasser. Daher sind Einbauten zum Entzug von Abwasserwärme (Wärmetauscher) nur dann möglich, wenn der Querschnitt des Kanals (mindestens 400er) so groß ist, dass die Leistungsfähigkeit des Systems nicht beeinträchtigt wird.

Für die Beheizung sind Niedertemperatursysteme mit Vorlauftemperaturen unter 60 Grad erforderlich. Das bedeutet, nicht mit jeder bestehenden Anlage ist ein Umstieg auf Abwasserwärme technisch möglich bzw. wirtschaftlich sinnvoll. Bei einer grundsätzlichen Gebäudesanierung oder gar einem Neubau lohnt sich ein Check allemal.

Grundvoraussetzungen bleiben, dass die Heizlast für einen wirtschaftlichen Betrieb über 50 kW liegen muss und die Entfernung zwischen Nutzungsort und Kanal maximal 200 Meter betragen sollte. Außerdem darf der Trockenwetterabfluss im Kanal 5 Liter pro Sekunde nicht unterschreiten und es muss eine Mindesttemperatur für die Kläranlage erhalten bleiben, damit die dortige Biologie auch arbeiten kann.

Dabei funktionieren die Systeme relativ einfach und sind längst technologisch ausgereift (siehe Grafik): Kernstück der Anlage ist ein Wärmetauscher, der die im Kanal vorhandene Energie abgreift. Über ein Medium wird die Wärme zur Wärmepumpe transportiert und dort auf ein nutzbares Temperaturniveau von 40 bis 70 Grad gehoben. Vor allem Gewerbeimmobilien oder auch größere Wohnblöcke von Wohngesellschaften (Neubau oder energetische Sanierung) lassen sich effizient mit Abwasserwärme versorgen. Eine Investition, die sich bei langfristiger Betrachtung lukrativ auszahlt. Beispielhaft verweist Sommer auf ein Projekt im bayerischen Straubing, bei dem zehn Wohnblöcke mit dieser Technologie versorgt werden. Dort entsteht bei einer Abschreibungsberechnung über 20 Jahre hinweg ein Plus von immerhin 710.000 Euro.

Karte verschafft Überblick

Die vorliegende Wärmepotenzial-Analyse der WBH grenzt inzwischen für das gesamte Stadtgebiet ein, wo sich das Abwasser in Hagen bereits effizient nutzen lässt. Grob handelt es sich dabei um die Tallagen, also beispielsweise entlang der Altenhagener Straße oder auch im Industriegebiet Lennetal. „Auf Grundlage abrufbarer Karten kann jeder Grundstückseigentümer prüfen, ob für eine Abwasserwärmenutzung grundsätzlich ein Kanal mit ausreichender Abwasserwärme in der Nähe seines Grundstücks liegt“, erläutert Sommer. Alle weiteren Details müssten dann in jedem Einzelfall mit dem WBH und der Mark-E als Vermarktungsvertragspartner geklärt werden.