Hagen. . Betriebe und Privathaushalte in Südwestfalen müssen höhere Netzentgelte fürchten, weil sich der Hagener Energieversorger Enervie in einer Zwickmühle befindet. Die möglichen Mehrkosten für einen Privathaushalt mit 3500 Kilowattstunden Stromverbrauch könnten sich ab 2015 jährlich auf rund 50 Euro belaufen.
Auf viele Haushalte in Südwestfalen könnten demnächst über zusätzliche Netzentgelte noch höhere Stromkosten zukommen. Und zwar über die normalen Tariferhöhungen hinaus. Davon geht der regional tätige Hagener Energieversorger Enervie nach „dramatischen Gesprächen“ mit der Bundesnetzagentur aus.
„Die Lage ist nicht nur für das Unternehmen schwierig, sondern könnte es durch die Inselnetzlage im Märkischen Teil Südwestfalens auch verstärkt für Industrie, Handwerk und Privathaushalte werden“, sagte Enervie-Pressesprecher Uwe Reuter dieser Zeitung. Und das vor dem Hintergrund, dass Südwestfalen eine der stärksten Industrieregionen Deutschlands sei und es auch bleiben wolle.
Handlungsspielraum ausgeschöpft
Reuter bezifferte die möglichen Mehrkosten über zusätzlich entfallende Netzentgelte für einen Privathaushalt mit 3500 Kilowattstunden Stromverbrauch im Jahr auf rund 50 Euro ab 2015, bei Industriebetrieben könne die Summe in die Millionen gehen. Der eigene unternehmerische Handlungsspielraum sei ausgeschöpft, die Zeit dränge. Erst am Mittwoch habe es im Beisein von Landtagsabgeordneten und Bürgermeistern aus der Region zu dem Thema ein Gespräch im NRW-Wirtschaftsministerium in Düsseldorf gegeben, so Pressesprecher Reuter.
Warum möglicherweise zusätzliche Netzentgelte nur im Märkischen Südwestfalen? Und was ist eine Inselnetzlage? Hintergrund für die verzwickte Situation im Spannungsfeld von Energieversorger, Politik, Bundesnetzagentur und industriellen und privaten Verbrauchern sind die Folgen der Energiewende, von denen Enervie ganz besonders stark betroffen ist.
Sonderlage im Märkischen Südwestfalen
Eigentlich ist es ganz einfach: Ein Versorger will Energie erzeugen, sie verkaufen und damit Geld verdienen, die Politik sollte für die Rahmenbedingungen sorgen und dass niemand überfordert wird, die Netzagentur für Wettbewerb, und für die Verbraucher hat bezahlbare und sichere Versorgung oberste Priorität. Im Märkischen Südwestfalen aber gibt es eine Sonderlage, die es nach Aussage von Frank Niehaus, Fachbereichsleiter Energie bei der Südwestfälischen Industrie- und Handelskammer zu Hagen (SIHK), in ganz Deutschland nicht noch einmal gibt. Und die Enervie Anlass gibt, darüber nachzudenken, das Thema bis auf die Bundesebene zu spielen. Der grundsätzlichen Bedeutung wegen.
Der Energieversorger verfügt unter anderem mit dem Kohle- und Gaskraftwerk Werdohl und vor allem mit dem Gas- und Dampfturbinenkraftwerk in Herdecke über konventionelle Anlagen, die sich seit der Energiewende mit ihrer Bevorzugung regenerativer Energien nicht mehr rechnen. Reuter beziffert die jährlichen Defizite des Versorgers in der Stromerzeugung mit rund 40 Millionen Euro. Das Problem dabei: Die Kraftwerke, deren Stilllegung bereits beantragt ist, können nicht abgeschaltet werden, weil sie zur Sicherstellung der Stromversorgung in der Region benötigt werden - die Höchstlast übersteigt die Kapazität der Koppelstelle Hagen-Garenfeld zum Übertragungsnetzbetreiber Amprion. Das heißt, aus dem Übertragungsnetz kommt zu wenig an im Märkischen Südwestfalen, auf die Enervie-Kraftwerke kann - obwohl unwirtschaftlich - nicht verzichtet werden.
Belastung für die Kunden
Wer aber bezahlt das Vorhalten dieser Leistung: der Betreiber des Übertragungsnetzes, der Betreiber des regionalen Verteilnetzes - das wäre Enervie -, der Stromkunde, der Steuerzahler oder ein noch auszustattender Fonds? Die Bundesnetzagentur hat sich unter Berufung auf gesetzliche Vorgaben offenbar entschieden: nach „dramatischen Gesprächen“, an denen Amprion beteiligt war, für Enervie, wie Reuter berichtet. Der Versorger sieht nun private Haushalte übermäßig belastet, die Wettbewerbsfähigkeit der heimischen Betriebe gefährdet und schlägt Alarm in Düsseldorf und Berlin. Bei NRW-Wirtschaftsminister Duin ist der Ernst der Lage offenbar angekommen. Er bezweifelt eine steuerliche Lösung, wie er kürzlich in Hagen sagte: „Wir bemühen uns, die Belastung für das Unternehmen auf viele Schultern zu verteilen.“