Hagen. Die Hagener Stadtverordnetenversammlung hat dem ehemaligen Reichspräsidenten Paul von Hindenburg die Ehrenbürgerschaft entzogen. Das sorgt für reichlich Gesprächsstoffe in der Stadt. Wir sprachen mit einem Historiker der Fernuni.

Der Stadtrat hat dem ehemaligen Reichspräsidenten Paul von Hindenburg bei drei gegenstimmen und einer Enthaltung die Ehrenbürgerwürde aberkannt. An der Entscheidung gibt es massive Kritik aus der Bürgerschaft, unsere Zeitung erreichen viele Leserbriefe. Wir sprachen mit Arthur Schlegelmilch (55), Professor für Neuere Geschichte und Leiter des Instituts für Geschichte und Biographie an der Fernuniversität.

Können Sie den Beschluss des Rates nachvollziehen?

Arthur Schlegelmilch: Die Begründung ist durchaus nachvollziehbar. Es handelte sich in Hagen ja um eine erzwungene Ehrung, die 1933, also nach der Machtergreifung, unter dem Druck von SS und SA geschah. Grundsätzlich müssen wir jedoch bereit sein, die Geschichte in ihrer Komplexität zu ertragen und müssen darauf achten, problematische Persönlichkeiten nicht einfach zu entsorgen.

Wenn Hindenburg also in den 20-er Jahren Ehrenbürger geworden wäre?

Schlegelmilch: Dann hätten wir eine etwas andere Diskussion. Die Stadt Münster hat ihrem Schlossplatz 2012 seinen alten Namen zurückgegeben, obwohl dieser bereits 1927, also zu Zeiten der parlamentarischen Republik, in Hindenburgplatz umbenannt worden war. Das halte ich für problematischer als den Vorgang in Hagen.

Es gibt ja auch eine Hindenburgstraße in Hagen . . .

Schlegelmilch: Hindenburg war zu Lebzeiten eine ungemein populäre Figur. Bei den Präsidentschaftswahlen 1932 war er der von SPD und Zentrum unterstützte Gegenkandidat zu Hitler, man erwartete von ihm, sowohl den Bürgerkrieg als auch die Diktatur vermeiden zu können. Straßennamen erscheinen mir durchaus geeignet, derartige historische Einstellungsmuster widerzuspiegeln.

War er ein seniler Greis?

Schlegelmilch:Diese Auffassung ist eindeutig widerlegt. Er hat sehr gezielt Politik gemacht, allerdings aus nationalkonservativer, nicht aus nationalsozialistischer Überzeugung. Hindenburg war nicht völkisch und nicht totalitär eingestellt. Mit der Ernennung Kurt von Schleichers zum Reichskanzler hat er Hitler noch Ende 1932 verhindern wollen. Erst als Schleicher einen Bürgerkrieg riskieren wollte, hat sich Hindenburg Hitler zugewandt.

Dann war Hindenburg ein moralisch integerer Politiker?

Schlegelmilch:Das war er gewiss nicht. Er hat sich ab 1933 in die NS-Propaganda einspannen lassen und beim Tag von Potsdam den Schulterschluss mit den Nationalsozialisten vollzogen. Auch den Röhm-Putsch, die Ermordung zahlreicher Gegner Hitlers, hat er mitgetragen. Er wusste, dass es in Richtung totalitärer Diktatur ging – und hat das hingenommen.

Was für ein Mensch war er?

Schlegelmilch: Einerseits besaß Hindenburg die Fähigkeit sich zu inszenieren, andererseits hielt er sich aus jedweder Verantwortung heraus. Das war schon 1914 im Ersten Weltkrieg bei der sogenannten Schlacht bei Tannenberg so, die eigentlich bei Allenstein stattfand und als solche zunächst auch bezeichnet wurde. Hindenburg sorgte dann für die Umbenennung, um den Mythos einer Revanche für die Niederlage des Deutschen Ordens 500 Jahre zuvor zu bedienen.Später bediente sich Hindenburg in verantwortungsloser Weise der Dolchstoßlegende, die besagte, das deutsche Heer sei im Feld unbesiegt geblieben und von Verrätern in der Heimat hintergangen worden.

Wo soll man bei historischen Persönlichkeiten heutzutage die Grenze zwischen Gut und Böse ziehen?

Schlegelmilch: Das wird immer eine Gratwanderung bleiben. Einerseits kann es nicht der richtige Weg sein, widerspruchsvolle Persönlichkeiten gänzlich aus der Öffentlichkeit zu entfernen. Andererseits ist es erforderlich, die Grenzen des Erträglichen zu beachten und schuldhafte Verstrickungen in staatsterroristische Handlungen zu ächten.