Hagen. Das Bild hat sich bei Rainer Stöcker (60) eingebrannt. Polizeibeamte lösen „unter massiver Gewaltanwendung“, wie Stöcker sich erinnert, am 11. September 1974 einen Stand an der Hindenburgstraße auf. Dorthin war die SDAJ, die sozialistische deutsche Arbeiter-Jugend, mit einem Tapeziertisch, Megafonen und Plakaten gekommen, um die Hindenburgstraße öffentlich zu kritisieren. „Paul von Hindenburg war eine zweifelhafte Person“, sagt Stöcker, damals 23. Hindenburg wäre gestern 165 Jahre alt geworden. In Stöcker kommen die Erinnerungen wieder hoch – und der stille Wille, den Namen Hindenburgs aus dem Stadtbild zu schieben.

Vor 37 Jahren erinnerte die SDAJ an den Putsch in Chile gegen die Salvador-Allende-Regierung. Sie überklebten das Straßenschild mit „Salvador-Allende-Straße“. „Allende war ein Opfer des Faschismus, Hindenburg der Wegbereiter des Faschismus“, zieht Stöcker die Parallen von damals nach.

Damals rief es die Polizei auf den Plan. Unschöne Szenen und „stundenlanges Festhalten“ junger Menschen auf der Prentzelwache folgten. Am Ende wurde das Verfahren eingestellt. Aber auch die Diskussion um die Umbenennung. Nur der DGB-Kreis Hagen hatte sich eingeschaltet und provokant gefragt, ob der Name Hindenburg besonders geschützt werden sollte.

"Der Name Hindenburg ist fehl am Platze"

Das ist zwar lange her, aber nach wie vor meint Rainer Stöcker: „Der Name Hindenburg ist fehl am Platze.“ Damit vertritt er nicht etwa eine Einzelmeinung, sondern die des Hagener Geschichtsvereins, dessen Mitglied er ist. „Die Zeiten der Ehre für Paul von Hindenburg sollten zu Ende gehen“, findet auch Jochen Marquardt, heutiger Vertreter des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) Hagen. „Jedem geschichtsbewussten Menschen, der an das Grauen des Faschismus denkt, eine unfassbare und nicht haltbare Ehrenbezeugung.“ Hagen sollte darüber nachdenken, sowohl den Straßennamen aus dem Stadtbild zu nehmen als auch und in besonders dringender Weise die Ehrenbürgerschaft zu streichen.

Anlässe gibt’s reichlich: „Laut Hagener Archiv würde sich die Ehrenbürgerschaft von Paul von Hindenburg im März 2013 zum 80. Mal jähren“, erinnert Marquardt. „Das können die politischen Parteien im Rat verhindern. Bürgerschaftliches Engagement und möglicherweise eine zügige Entscheidung im Rat der Stadt könnten diesen unwürdigen Zustand für unsere Stadt beenden.“

Zwei Seelen schlagen in der Brust

Zwei Seelen schlagen in Jürgen Klipperts Brust. Klippert ist Grüner und Mitglied der Bezirksvertretung Mitte. Als Parteivertreter hat er für sich klar: „Natürlich muss der Name aus dem Stadtbild weg. Hindenburg war unstrittig der Steigbügelhalter Hitlers.“ Als Gremienmitglied indes sagt er: „Wir haben beschlossen, aufgrund der dadurch entstehenden Kosten keine Straßenumbenennungen mehr zu machen.“ Alle Anwohner der betroffenen Straße müssen angeschrieben und Schilder ausgetauscht werden.

Dennoch hat Klippert eine Idee, welchen Namen die Straßen im Bahnhofsviertel besser tragen sollte: Lieselotte-Funcke-Straße.

Wie Hindenburg wird Funcke auf der Liste der Ehrenbürger geführt. Wie bei Hindenburg ist ihre Ehrenbürgerschaft allerdings jüngst durch den Tod erloschen. Hindenburg und Funcke auf einer Stufe?

Hindenburg ist auch heute noch Ehrenbürger der Stadt

Juristisch gesehen mag die Auszeichnung für verdienstvolle Persönlichkeiten mit dem Tod enden, allerdings schiebt auch Wissenschaftler Ralf Blank vom Historischen Centrum Hagen ein: „Das Ehrenbürgerrecht für Hindenburg wurde in der frühen Nachkriegszeit weder missbilligt noch in einer besonderen Form thematisiert. Hindenburg ist folglich auch heute noch nominell Ehrenbürger der Stadt und damit Teil des offiziellen ,ehrenden Gedenkens’ in Hagen.“

Aus einem öffentlichen Bereich ist der Name Hindenburg immerhin getilgt. Es gab eine Volksschule an der Siemensstraße in Wehringhausen, die bis in die 60er-Jahre Hindenburgschule hieß. Rainer Stöcker hat 1965 dort seinen Abschluss gemacht.