Hagen. In ihrem weihnachtlichen Mahnruf rufen Superintendent Becker, Dechant Osthus und DGB-Chef Marquardt zu mehr Verteilungsgerechtigkeit in Hagen auf. Osthus erklärte, es sei für ihn „emotional unerträglich“, an den langen Schlangen vor den Sozialstationen vorbei zu gehen.

Auch in diesem Jahr haben die beiden großen Kirchen und der Deutsche Gewerkschaftsbund in Hagen einen gemeinsamen Mahnruf verfasst, in dem sie auf die „sozialen Folgen und Auswirkungen“ der Wirtschafts- und Finanzkrise hinweisen und dazu auffordern, „im Interesse der Menschen nach Alternativen zu suchen“.

Armut und Ausgrenzung dürften in Hagen und in Deutschland keinen Platz haben, betonten Dieter Osthus, Dechant der katholischen Kirche, Bernd Becker, Superintendent der evangelischen Kirche, und DGB-Chef Jochen Marquardt: „Wir befürchten drohende Altersarmut, und wir wünschen uns die Sicherung kultureller Vielfalt und sichere Lebensperspektiven für die Jugend unserer Stadt.“

Mehr oder weniger unverblümt sprachen sich die Kirchenmänner und der Gewerkschafter für die Einführung einer Vermögenssteuer aus. Diejenigen, die „über großen Reichtum verfügen“, seien einzubinden in eine gerechtere Gesellschaft und müssten Mitverantwortung zeigen. Es sei für ihn „emotional unerträglich“, die langen Schlangen vor Suppenküche, Warenkorb oder Kleiderkammer zu sehen, sagte Dechant Osthus: „Die Armut in unserer Stadt ist sichtbar, riechbar, fühlbar. Wir müssen diejenigen, die mehr besitzen, zur Verantwortung ziehen.“ Nur dann sei eine ausgeglichene, gerechtere Gesellschaft möglich.

In Hagen seien die in Deutschland herrschenden Probleme und Herausforderungen wie in einem Brennglas fokussiert, fügte Marquardt hinzu: „Die armen Menschen sehen wir gar nicht mehr. Sie leben ausgegrenzt in ihren Stadtteilen.“

Nicht nur besinnlich

Beim Weihnachtsfest könne es nicht nur besinnlich zugehen, befand Bernd Becker. Die Geschichte vom Kind in der Krippe werde leider allzu oft verkitscht, dabei solle sie doch zeigen, dass Jesus nicht mal einen Ort hatte, an dem er wohnen konnte. Es klinge vielleicht abgegriffen, aber: „Die Schere zwischen Arm und Reich geht auseinander.“ Die Zahl der Menschen in Hagen, die sich kein Essen mehr leisten könnten, steige. Besonders alarmierend sei, dass inzwischen immer mehr Kinder allein in die Suppenküche kämen, um dort eine Mahlzeit zu ergattern.

Mit Sorge sehen die drei Repräsentanten auch, dass es immer weniger gelinge, eine an den Menschen und an der Natur ausgelegte Werteordnung zu sichern. In dieser Zeit müsse es darum gehen, eine Umkehr zu Verteilungsgerechtigkeit, zu guter und sicherer Arbeit, zu stabilen Sozialsystemen und zur zuverlässigen Daseinsvorsorge zu schaffen, die ihren Beitrag zu nachhaltigem und die Schöpfung erhaltendem Wirtschaften leiste. Die Ausprägung einer ungebändigten Markt- und Finanzmarktlogik auf alle Lebensbereiche dränge geradezu danach, das da hinter liegende System zu hinterfragen: „Denn darin sehen wir eine Ursache für die gegenwärtige Schieflage der gesellschaftlichen Entwicklung.“

Superintendent Becker erklärte, er sei sehr froh über die gute Zusammenarbeit der beiden Kirchen und der Gewerkschaften in Hagen: „Das ist in anderen Städten Nordrhein-Westfalens nicht selbstverständlich.“ Auch Marquardt freute sich darüber, „dass hier zwei Kirchenvertreter und ein Atheist so niveauvoll und freundschaftlich zusammenarbeiten“. Doch das sei mitunter nicht einfach, ergänzte Osthus. Als er einmal in einer Predigt für eine gerechtere Vermögensverteilung plädiert habe, habe ihn ein Gläubiger in der Sakristei aufgesucht und gefragt: „Sind Sie jetzt Kommunist geworden?“