Hengstey.

Das angedachte Cargobeamer-Terminal am Ufer des Hengsteysees soll nach dem Willen der bisher durch ein privates Investoren-Konsortium finanzierten Cargobeamer AG tatsächlich kommen. Es könnte dem Logistik-Standort Hagen damit einen wirksamen wirtschaftlichen Impuls in Richtung Verkehrstechnologie des 21. Jahrhunderts verleihen. Das bestätigte jetzt Michael Baier, Vorstand der Cargobeamer AG, im Gespräch mit dieser Zeitung: „Wir freuen uns, das Interesse in Hagen gefunden zu haben. Nach unseren Recherchen ist der Standort der günstigste im Bereich Norddeutschland.“ Das Investitionsvolumen liegt deutlich im zweistelligen Millionen-Bereich.

Hagen liegt genau im Kreuzungspunkt der langfristig angedachten europäischen Ost/West- sowie Nord/Süd-Achse der Schienen-Logistiker. „Wir haben ganz neutral 74 Standorte untersucht, und Hagen befindet sich in unserem Auswahlverfahren im Spitzenfeld“, blickt Baier jetzt mit Spannung auf den Runden Tisch aller relevanten Gruppen am 23. Mai in Hagen. Dabei soll es vor allem darum gehen, den notwendigen Rückenwind aus Politik und Wirtschaft für die Einleitung eines Planfeststellungsverfahrens auszuloten.

Dehm: „Wir müssen Gas geben“

Vor diesem Hintergrund mahnt Oberbürgermeister Jörg Dehm, der sich in zahlreichen Vorgesprächen bereits für die revolutionäre Verkehrsidee faszinieren ließ, die politische Diskussion rund um das zukunftsweisende Verkehrssystem, das erstmals bisher nicht dem unbegleiteten kombinierten Schienenverkehr zuführbare Lkw-Sattelauflieger kostengünstig auf die Schiene bringt, künftig offensiver zu führen: „Wir müssen da jetzt Gas geben.“

Das Projekt mit dem etwas sperrigen Namen „Efficient Semi-Trailer Transport on Rail Baltica“ (ESTRaB), das von der EU gefördert wird, soll in einer Prototypphase zunächst einmal auf einer Achse zwischen Riga und Rotterdam seine technologische und ökonomische Leistungsfähigkeit nachweisen. Neben dem Cargobeamer-Heimatstandort Leipzig könnte Hagen angesichts seiner optimalen Verkehrsanbindung jetzt die zentrale Drehscheiben-Funktion in Richtung Ruhrgebiet übernehmen. „Wir würden zunächst einmal mit fünf Modulen anfangen“, setzt Baier auf schrittweisen Ausbau. In der Enddimensionierung ist an ein großes Cargoterminal (Cargobeamer-Gate) mit 36 Lademodulen pro Gleis gedacht.

Neues Verladesystem europaweite Schlüsseltechnik

Mit Hilfe des neuen Verladesystems soll europaweit eine Schlüsseltechnik etabliert werden, die den drohenden Lkw-Verkehrskollaps auf den Fernstraßen zwischen Skandinavien und dem Mittelmeerraum abwenden soll. Schon heute rollen 70 Prozent des deutschen Güteraufkommens über die Straße. Und das Bundesverkehrsministerium prognostiziert bis zum Jahr 2025 eine Zunahme um weitere 75 Prozent. Eine Konstellation, die geradezu nach intelligenten Lösungen, die zudem noch ökologischer und kostengünstiger sind, schreit.

Die Cargobeamer-Idee besticht vor allem damit, dass auch gewöhnliche Sattelauflieger (98 Prozent) ganz ohne Chassisverstärkung und teure Umrüstung mit Hilfe von so genannten Waggonaufsätzen (Stahlwannen) auf die neuartigen Waggons verladen werden können. Die Zugmaschine übernimmt somit eher eine Taxi-Funktion, indem sie den Sattelauflieger zum Cargobeamer-Gate nur anliefert und bei Bedarf wieder abholt. Der Fahrer muss weder mit auf den Zug warten, noch beim Verladevorgang assistieren, sondern steht sofort wieder für neue Aufträge zur Verfügung. Denn im Boden eingelassene Greifarme ziehen die Verladewannen mit den Sattelaufliegern seitlich auf den Güterwaggon. So lässt sich in einer Viertelstunde ein kompletter Güterzug mit dem Cargobeamer-Verfahren be- und entladen oder auf eine andere Schienenspurweite (z.B. zwischen Ost- oder Westeuropa) umschlagen.

Gewöhnliche Sattelauflieger sollen ohne Chassisverstärkung mit Stahlwannen verladen werden können.
Gewöhnliche Sattelauflieger sollen ohne Chassisverstärkung mit Stahlwannen verladen werden können. © WP

Revolution im Güterverkehr

Cargobeamer-Vorstand Baier verspricht eine „Revolution im Güterverkehr“. Dank der neuen Technologie könnten alle Sattelauflieger am kombinierten Verkehr von Schiene und Straße ohne technische Umrüstung teilnehmen. Ein Angebot, das im Endausbau zwei Drittel der Lkw-Verkehre von der Straße holen kann. „Das System ist 30 bis 40 Prozent günstiger als der Straßentransport“, spielen steigende Benzinpreise und die Straßenmaut-Debatte der innovativen Technologie zusätzlich in die Karten. „Das sind Margen, die sonst in der Branche nicht zu erzielen sind“, weiß Baier.
Oberbürgermeister Jörg Dehm zeigt sich vom Charme des Verkehrssystems, das bereits über sämtliche eisenbahnrechtlichen Zulassungen verfügt und von zahlreichen Mitgliedern der Logistik-Branche erfolgreich getestet wurde, überzeugt. Daher hat der Hagener Verwaltungschef bei der Wirtschaftsförderung der Metropole Ruhr sowie beim Regionalverband bereits Lobbyarbeit für den Standort am Hengsteysee geleistet und versucht, sich die entscheidende Rückendeckung zu sichern.

„Cargobeamer ist gut für den Standort Hagen“

Ebenso habe Regierungspräsident Gerd Bollermann seine Unterstützung für das Projekt, das in den gesamten südwestfälischen Raum strahlt, bereits signalisiert. „Der Cargobeamer ist gut für den Standort Hagen“, möchte Dehm bei dem Runden Tisch konstruktiv Lösungswege diskutieren und sich den notwendigen Rückenwind holen, um den Wirtschafts- und Speditionsstandort Hagen mit Hilfe des Systems für die Zukunft zu positionieren.

Und was wird aus dem Freizeitgebiet Hengsteysee? Cargobeamer-Vorstand Baier gibt sich gelassen. Er sieht das Gelände des ehemaligen Güterbahnhofs und späteren Nassholzlagers als Referenzfläche, um sowohl den hohen Umweltnutzen des Systems als auch die Kombinierbarkeit mit einem Erholungsraum mit hohem Freizeitwert zu belegen: „Wir wollen zeigen, dass das Beladen der Züge wie bei uns in Leipzig nur vom Zwitschern der Vögel gestört wird.“