Hagen. . Vom Markt bis zum Bahnhof Breckerfeld brauchte die Straßenbahnlinie 11 exakt 1 Stunde und 20 Minuten. Manfred Streppelmann weiß es noch wie heute. Für ihn waren es die schönsten Stunden seiner Arbeitszeit.

„Bis Haspe ging es durchs Verkehrsgewühl, dann ab Schützenhof in die Natur, davon träume ich heute noch“, erinnert sich Streppelmann, der von Oktober 1955 bis Mai 1976 als Elektriker bei der Hagener Straßenbahn arbeitete.

Alte Triebwagen ohne Fahrerheizung

1958 wurde ein Traum wahr: Mit 21 bekam Streppelmann eine Ausbildung zum Fahrer und sprang bei Personalmangel mit schmucker Uniform im Führerhaus ein, am liebsten auf der Linie 11. „Jede Jahreszeit hatte ihren Reiz. Im Winter konnte es sehr ungemütlich werden.“ Die alten Triebwagen hatten keine Fahrerheizung. Da waren Filzstiefel und Mäntel bis auf die Schuhe angesagt, wenn die Wagen durchs eisigblaue Hasperbachertal ratterten.

Hagener Straßenbahn

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Manfred Streppelmann hat die flüchtigen Augenblicke festgehalten, auf Zelluloid gebannt. Als im Sommer 1963 die Nachricht durchsickerte, dass die Linie 11 eingestellt werden solle – obwohl sie zwei Jahre zuvor noch mit neuen Gleisen und Fahrleitungen ausgestattet worden war –, handelte Streppelmann kurzentschlossen. Er nahm sich eine Woche Zeit, lieh sich in einem Fotogeschäft eine Super-8-Kamera und baute sie in eine Holzkiste. Das Mikrofon brachte er außen an. Zwölf Rollen ließ er mitlaufen, stellte sich mit der Linse während einer Dienstfahrt hinter einen Fahrerkollegen, fuhr mit dem Pkw die Strecken ab und suchte sich die idyllischsten Plätze. Unter seinem Kameraauge zog die Linie 11 durchs grüne Hasperbachertal.

Strecken aller elf Linien abgeflimt

Nach und nach filmte Streppelmann die Strecken aller elf Linien ab. Ihm wurde klar, dass die Straßenbahn in Hagen nicht mehr gewollt war. 1965 hatte man auf schaffnerlosen Betrieb umgestellt. Er fuhr im Führerstand mit, filmte auch von außen und nahm so nebenbei Hagener Stadtgeschichte auf. Das Stahlwerk in Eckesey, an dem die Linie 5 aus Vorhalle vorbeiratterte, die Schlaghosen der Passanten, die markantesten Automarken der 60er und 70-er Jahre, die neben den Gleisen herkurven. In der City fahren die Zuschauer vorbei an ehemaligen Kaufhäusern in der Innenstadt.

Am 3. November 1963 wurde die Linie 11 eingestellt. „Damit war eine der schönsten Straßenbahnstrecken Deut-schlands zum Stillstand gebracht“, schüttelt Streppelmann immer noch den Kopf. Die mobile Amputation ging weiter. Manfred Streppelmann selbst unternahm Ende der 60-er seine letzte Fahrt mit Gästen.

Betriebsstilllegung am 30. Mai 1976

Der Einmannbetrieb auf Gleisen war nicht sein Ding, kassieren und lenken gleichzeitig. Aber Wagen reparieren und Probefahren oder für Sondereinsätze zum Schneeräumen in den Fahrstand klettern, das machte er weiterhin sehr gern. 1974 waren alle Beiwagen abgestellt und verschrottet. Die Betriebsstilllegung erfolgte am 30. Mai 1976. Streppelmann hat alles festgehalten. „Ich wollte mich nicht mit der Abschaffung der Straßenbahn abfinden.“

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Es sind die Bilder seines Lebens geworden: dokumentarisch und durchchoreographiert. Es ist ein zeitgeschichtliches Zeugnis. An die Straßenbahn erinnert sonst nichts in Hagen. In die Filme hatte er seine Passion gelegt. Seine Super-8-Schätze legte er in den Schrank. 2004 zogen Streppelmann und seine Frau zu ihrem Sohn nach Dorsten. „Hagen war nicht mehr so schön, seit die Straßenbahnlinien eingestellt worden sind“, sagt Streppelmann.

Filme auf Youtube

Die archivierte, ganz persönliche Straßenbahn zog mit um. Vor einigen Monaten hat Manfred Streppelmann seine Schatzkiste geöffnet.

Der 75-Jährige wollte die Bilder teilen, und stellte zehn- bis fünfzehnminütige Filme auf die Videoplattform „Youtube“ ins Internet. „Ich wollte die Filme zugänglich machen.“

Eigens dafür hat er sich mit Computern beschäftigt – neue Technologien waren nicht sein Fall. Aber: Letztlich ging es um Straßenbahnen. Also kaufte er sich einen Laptop und digitalisierte seine Schmalfilme. Fürs Internet schnitt er kürzere Sequenzen zusammen, brachte Szenen in die richtige Abfolge und unterlegte sie mit Musik, ohne den Originalton, den die Achsen auf den Gleisen verursachen, zu nehmen.

Ehrenamtlich engagiert

Straßenbahnen haben ihn nie mehr losgelassen. Schon 1975 kaufte er für den Schrottwert von 513 D-Mark seinen ersten Triebwagen aus Hagen. Während er zuvor als Elektriker in der Hauptwerkstatt und im Außendienst, in den Depots und im Fahrdienst gearbeitet hatte, wartete er nun bis zu seiner Pensionierung die Busflotte der Hagener Straßenbahn. 20 Jahre Straßenbahnen, die er schon als Schüler in den ‘50er Jahren an der Schwenke beobachtet hatte, versus 19 Jahre Busse. Geprägt hat Streppelmann seine Liebe zu den Mehrachsern auf Gleisen.

Ab und an fährt Manfred Streppelmann noch den Triebwagen der Linie 11. Im Straßenbahn-Museum Wuppertal-Kohlfurth, wo er sich seit vielen, vielen Jahren ehrenamtlich engagiert. Das von dem Verein Bergisches Museumsbahnen getragene Werkstattmuseum, in dem vier weitere straßenbahnverrückte Hagener mitarbeiten, verfügt über ein paar Meter Gleise. Hier haben sie bereits einige Wagen – auch aus Hagen – aufgearbeitet, das Holz der Sitze wieder zum Glänzen gebracht, die Elektrik in Gang gesetzt.

Hell erklingt ein Signal, leise zitternd setzt sich der Triebwagen in Bewegung. Manfred Streppelmann lenkt die Linie 11 aus der großen Wagenhalle. In Wuppertal-Kohlfurth hat er sich ein Stück seines Traumes bewahrt. Bald beginnt wieder die Saison, dann kommen auch Fahrgäste. . .