Halden. Hartmut Voß hat seinen Betrieb in Halden mit schwerbehinderten Mitarbeitern aufgebaut.

Michael Weber ist nicht behindert, weder körperlich noch geistig. Trotzdem musste der 47-jährige Arbeiter, als er seinen Job antrat, integriert werden. Denn seine Kollegen sind sehr wohl behindert, der eine geistig, der andere körperlich, der dritte ist gehörlos, der vierte schwer zuckerkrank. „Ich komme mit der Situation klar“, sagt Weber und wischt sich die Stirn ab. „Ich lerne sogar dazu.“

Normalerweise meint Integration die Einbindung behinderter Menschen in den Schulunterricht oder die Berufswelt. Bei der Firma Voß in Halden ist es umgekehrt. Unternehmensgründer Hartmut Voß (50) hat den Betrieb, der Holzkisten und Industrieverpackungen herstellt, vor drei Jahren nahezu ausschließlich mit der Hilfe schwerbehinderter Mitarbeiter aufgebaut. Die schiere Erfolgsgeschichte der kleinen Fabrik ist ein Paradebeispiel für unternehmerische Initiative und den Mut, einen eigenen, ungewöhnlichen Weg zu beschreiten.

Hartmut Voß ist aber auch ein ungewöhnlicher Mann. Einerseits ist er ein strenger Chef, der Umsatz und Gewinn machen will: „Meine Leute sind verlässlich und motiviert. Die gucken nicht dauernd auf die Uhr.“ Andererseits ist er geduldig, menschenfreundlich und besitzt die Gabe, aus jedem seiner Angestellten das Beste herauszuholen. „Wenn ich erst herausgefunden habe, wo die Stärken eines Mitarbeiters liegen, stellt sich die Leistung von allein ein.“

Aus Praktikanten wurden Vollzeitkräfte

Mehr als ein Jahrzehnt lang war Voß leitender Angestellter eines großen Verpackungsbetriebs im Ruhrgebiet. Als er sich in Halden selbstständig machte, fragte er in der nahegelegenen Caritas-Werkstatt für Behinderte an, ob man Bretter für ihn zurechtschneiden könne. Die Behinderten aus der Werkstatt-Schreinerei erfüllten seine Aufträge so perfekt, dass er einige von ihnen als Praktikanten und schließlich als Vollzeitkräfte in seinen schnell wachsenden Betrieb übernahm - samt Tarifgehalt und den gleichen Sozialleistungen, die auch jedem nichtbehinderten Arbeiter zustehen. „Vorher hatte ich keine Schnittstellen zu behinderten Menschen, jetzt weiß ich, dass sie Leidenschaft, Biss und Motivation besitzen“, sagt Voß.

Unbedingter Wille, sich zu beweisen

Denn Behinderte, das bestätigt Susanna Ebbing (52) vom Arbeitgeberservice der Arbeitsagentur Hagen, zeichnen sich häufig durch den unbedingten Willen aus, sich in ihrem Betrieb zu beweisen: „Sie wissen, dass sie kämpfen müssen, um etwas zu erreichen.“ Patrick Wunner (24) haben die Anforderungen eines geregelten Arbeitsplatzes geradezu beflügelt. Wenn er einen Job wolle, müsse er Auto fahren können, machte Voß zur Bedingung. Darauf legte der als schwer lernbehindert geltende Mann, der weder lesen noch schreiben kann, mit Hilfe eines speziellen Computerprogramms den Führerschein und obendrein den Führerschein für Gabelstapler ab: „Das war ganz viel Theorie“, sagt er stolz. „Aber ich hab’s geschafft.“ Und er bekam den Job.

Im Wochenrhythmus

Am Anfang sei er fast rund um die Uhr damit beschäftigt gewesen, die Behinderten zu lenken und anzuleiten, berichtet Voß. Bis er darauf verfiel, ihnen Verantwortung zu übertragen. Weil sie nicht lesen können, vermittelt er ihnen seine Anweisungen für die anzufertigenden Verpackungen auf Farbtafeln. Und jeder bekommt im Wochenrhythmus den Schlüssel zum Fabriktor ausgehändigt, ist damit in der Rolle des kleinen Königs, auf den die anderen warten müssen. „Eine Winzigkeit nur“, so Voß. „Aber ungemein wichtig, weil es das Selbstbewusstsein steigert und das Team zusammenschweißt. Heute genügt ein kleiner Wink, und meine Leute wissen, was ich will.“

Inzwischen beschäftigt Voß vier behinderte und zwei „normale“ Mitarbeiter. Die Behinderten sind die Dienstälteren, sie waren zuerst da. Integriert werden müssen die anderen.

Informationen für die Einstellung Behinderter bei Susanna Ebbing, Arbeitsagentur, 202192, und Olav Kranz, Integrationsfachdienst der Caritas, 918455.