Hagen. .

In ungewöhnlich scharfer Form hat das Oberlandesgericht Hamm die süffisante Bemerkung eines Richters am Hagener Landgericht gegeißelt: Er habe sich eine „gänzlich sachwidrige, verbale Entgleisung“ geleistet, mangelndes „Fingerspitzengefühl“ bewiesen und sich zu „grober Unsachlichkeit hinreißen lassen“, heißt es in einem OLG-Beschluss, der öffentlich ins Internet eingestellt wurde.

Das war passiert: In einem Verfahren um die Zahlung von Pachtzins hatte ein Rechtsanwalt Anfang März gegenüber der 6. Zivilkammer angezeigt, dass er den Beklagten vertrete und eine Klageerwiderung innerhalb der gesetzlichen Frist angekündigt. Tatsächlich wurden die Schriftsätze aber erst zwei Tage vor der mündlichen Verhandlung gefertigt.

Süffisante Bemerkung

Als in der öffentlichen Sitzung am 10. Mai der Einzelrichter seinen Unmut über den erst kurz zuvor eingegangenen Schriftsatz „mit erhobener und lauterer Stimme“ vortrug und die Verspätung rügte, wurde er dabei süffisant: „Es ist schön, dass sich der Beklagtenvertreter noch am 8. Mai, einem Sonntag und immerhin der Jahrestag des Kriegsendes, die Mühe gemacht hat einen Schriftsatz zu fertigen und diesen zum Gericht zu bringen.“

Diese Äußerung nahm der Anwalt zum Anlass, den Richter wegen Befangenheit abzulehnen. Er beantragte, das Ablehnungsgesuch ins Protokoll zu diktieren, was der Richter aber zunächst verweigerte. Er forderte den Beklagtenvertreter stattdessen auf, den Antrag schriftlich auszuformulieren und verstieß damit gegen die Zivilprozessordnung. „Irrtümlich“, wie der Richter später klarstellte.

Befangenheitsbeschwerde

Das Landgericht hatte den Befangenheitsantrag des Anwalts als „unbegründet“ zurückgewiesen, in der sofortigen Beschwerde beim Oberlandesgericht Hamm wendete sich das Blatt: Die Besorgnis der Befangenheit des Hagener Richters sei begründet. Vor dem Hintergrund seiner verbalen Entgleisung wiege der Verfahrensfehler besonders schwer. (Az. I-32 W 19/11)

Der Senat schlägt in der Begründung mit großer Keule zu: „Die Herstellung eines Zusammenhangs zwischen der Fertigstellung eines Schriftsatzes und dem Ende des Zweiten Weltkrieges, der unsäglich viel Leid hervorgerufen und Millionen Menschen das Leben gekostet hat, kann nicht mehr als ungeschickte oder unglückliche Formulierung verstanden, sondern muss in aller Deutlichkeit als gänzlich sachwidrige, verbale Entgleisung bezeichnet werden.“ Weiter: „Von einem Richter muss in der Einordnung historischer Ereignisse mehr Fingerspitzengefühl erwartet werden.“

Im Internet stoßen die Belehrungen des OLG-Senats bei Kommentatoren auf sehr viel Unverständnis: Die harsche Kritik an dem Hagener Richter sei „überzogen“ und liege „neben der Sache“.