Hagen. Das Institut für Deutsche Wirtschaft stellt der Stadt ein Zeugnis aus, das eigentlich keine Zukunftschancen sieht.

Schlechter geht es kaum noch. Nach dem Hagen vor zwei Jahren bereits durch das renommierte Wirtschaftsinstitut Prognos „hohe Risiken“ mit Blick auf seine Zukunft attestiert bekam und unter den 400 kreisfreien Städten und Kreisen in Deutschland auf Rang 360 eingestuft wurde, zeigt sich im frischen Regionalranking des Instituts für Deutsche Wirtschaft, dass die Stadt sich im freien Fall befindet. Denn dort befindet sich Hagen nun auf Rang 394 von 400 - die Gefahr, komplett abgehängt zu werden, ist demnach hoch.

In Regionalranking analysiert das bedeutende Institut die wirtschaftliche Entwicklung der 400 Landkreise und kreisfreien Städte in Deutschland. Auf der Basis zahlreicher Indikatoren geht es sowohl um das allgemeine Wirtschaftsniveau als auch die dynamische Entwicklung in den Regionen - also der Vergleich der vergangenen Jahre. Das Regionalranking bewertet die Regionen nach ihrem Niveau, das den derzeitigen Erfolgswert wiedergibt. Die 14 Indikatoren sind wiederum in Oberbereiche zusammengefasst: Wirtschaftsstruktur, Arbeitsmarkt und Lebensqualität.

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Wenige beschäftigte Frauen

Vor allem in den Bereichen Wirtschaftssturktur (Rang 361), und hier vor allem die Gewerbesteuerhebesätze (Rang 398), Arbeitsmarkt (Rang 376), Lebensqualität (Rang 392) und der privaten Überschuldung (Rang 394) hinkt Hagen nicht nur hinterher, sondern gehört deutschlandweit zu den am meisten krankenden Städten. Besonders schwerwiegend kommen laut der Studie hinzu: die niedrige Beschäftigungsrate von Frauen in der Stadt (Rang 374), die Zahl der Straftaten (Rang 376) und das Wanderungssaldo der 30- bis 50-Jährigen (Rang 350).

Das dauerhafte Problem: die Zuwanderung

Vor allem die letztgenannten Punkte Straftaten und Zuwanderung sind nicht zuletzt seit der Vorstellung der polizeilichen Statistik in Hagen im Zusammenhang zu sehen. „Die Herausforderungen werden immer größer“, sagte Polizeipräsidentin Ursula Tomahogh mit Blick auf die nicht endende und ungeregelte Zuwanderung in Hagen. 44 Prozent aller Straftaten in Hagen, wo rund 197.000 Menschen leben, werden von Nicht-Deutschen begangen, also von Menschen mit ausländischem Pass. Zur Einordnung: Die Zahl der Nicht-Deutschen in Hagen lag zuletzt bei 47.172.

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Wir ruhen uns – insbesondere mit Blick auf die Probleme – nicht aus, sind kreativ und machen große und wichtige Schritte bei vielen zukunftsträchtigen Themen wie der Stadtentwicklung, Mobilitätswende oder Digitalisierung.
Hagens Oberbürgermeister Erik O. Schulz

In kaum einer deutschen Großstadt werden überdies so wenige Baugenehmigungen erteilt wie in Hagen (Rang 350). Das umfasst öffentliches wie privates Bauen. Es herrscht nahezu Stillstand in diesem Bereich. Auf eine Anfrage zu einer Übersicht öffentlicher Bauprojekte Ende vergangenen Jahres legte die Stadt eine knappe Übersicht vor. Darauf zu sehen: Kunstrasenplätze und zu sanierende Straßen.

Gutes Ergebnis bei naturnahen Flächen

Gut schneidet Hagen indes in wenigen Bereichen ab. Naturnähe Flächen (Rang 47) zum Beispiel. Bei der Ärztedichte und den wissensintensiven Dienstleistungen schafft man es immerhin noch in die erste Hälfte der Tabelle.

Die Stadt Hagen hat zu wenig Visionen und Ziele. Verwaltungsspitze und Politik sind in der Verantwortung, Entscheidungen zu treffen – zum Wohle der Stadt und ihrer Bürger. Hier ist ein erheblicher Transformationsprozess erforderlich. Denn man muss mehr in Lösungen, anstatt in Problemen denken.
Stellungnahme des Hagener Unternehmerrates

Nun ist es so, dass die Studie - mal wieder - herausarbeitet, dass das Nord-Süd-Gefälle in Deutschland gewaltig ist. Die Städte und Kreise Bayerns, Baden-Württembergs, Hessens und in Rheinland-Pfalz regieren das Ranking regelrecht und zeigen die Werte, die zuvor für Hagen beschrieben wurden, quasi im völlig gegenteiligen Licht. Die Großstädte im Westen - darunter auch Dortmund, Bochum, Wuppertal, Hamm, Duisburg, Gelsenkirchen oder Herne - belegen allesamt die letzten 30 Plätze. Hagen schafft es insgesamt noch, Neumünster, Bremerhaven, Oberhausen, Duisburg und Gelsenkirchen hinter sich zu lassen - das war‘s.

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OB: „Keine gleichen Lebensverhältnisse mehr“

„Das Ergebnis dieser Studie macht vor allem eines deutlich, dass es in Deutschland keine gleichen Lebensverhältnisse mehr gibt“, reagiert Oberbürgermeister Erik O. Schulz auf Anfrage der Redaktion. Und weiter: „Dass die Schere zwischen den Kommunen immer weiter auseinandergeht. Was sie nicht deutlich macht, wie sehr wir uns in den vergangenen Jahren aus eigener Kraft angestrengt haben, unsere Stadt weiterhin lebens- und liebenswert zu gestalten. Wir ruhen uns – insbesondere mit Blick auf die Probleme – nicht aus, sind kreativ und machen große und wichtige Schritte bei vielen zukunftsträchtigen Themen wie der Stadtentwicklung, Mobilitätswende oder Digitalisierung. Zur Wahrheit gehört aber auch, dass wir es ohne Unterstützung von Land und Bund nicht schaffen werden, uns in einigen Jahren bei den Regionen einzureihen, die in diesem Vergleich an der Spitze stehen. Ich werde nicht müde zu betonen, dass wir insbesondere eine Altschulden-Lösung brauchen.

Unternehmerrat sieht sich bestätigt

Viel drastischere Töne beim Hagener Unternehmerrat, einem Zusammenschluss aus rund 100 Gewerbetreibenden in der Stadt: „Das Ergebnis offenbart Schwachstellen, auf die der Unternehmerrat seit Anbeginn seines Bestehens immer wieder hingewiesen hat: Die Stadt Hagen hat zu wenig Visionen und Ziele. Verwaltungsspitze und Politik sind in der Verantwortung, Entscheidungen zu treffen – zum Wohle der Stadt und ihrer Bürger. Hier ist ein erheblicher Transformationsprozess erforderlich. Denn man muss mehr in Lösungen, anstatt in Problemen denken.“

Dass wir bei der Wirtschaftsstruktur insgesamt nur auf Rang 361 im Niveauranking landen, ist dem hohen Gewerbesteuerhebesatz geschuldet, bei dem wir auf einem schlechten Rang 398 stehen. Dies unterstreicht die Forderung nach einer Altschuldenlösung.
Christopher Schmitt, Chef der Hagener Wirtschaftsförderung

Die Bürger und Unternehmer seien schon lange motiviert und täten alles, um Schlimmeres für Hagen zu vermeiden. Das Aussetzen von Entscheidungen sei in Hagen schon seit Längerem „in Mode“. „Es hilft auch ein Schuldenschnitt für Hagen nicht weiter, wenn keine Visionen und Ziele für eine wirtschaftlich erfolgreiche Stadt vorhanden sind. Da darf man sich nicht wundern, wenn Hagener Unternehmen abwandern.“ Dieses Szenario habe der Unternehmerrat schon 2016 prognostiziert. Das Gremium habe seit seiner Gründung auf Veränderungsprozesse hingewiesen und Verbesserungsvorschläge unterbreitet. „Für die Umsetzung ist die Verwaltungsspitze verantwortlich. Diese Bereitschaft vermissen wir und andere Institutionen seit Langem“, so der Unternehmerrat.

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Wirtschaftsförderung sieht Lichtblicke

„Mit der Gesamtplatzierung von Hagen kann man nicht zufrieden sein“, erklärt der oberste Wirtschaftsförderer Christopher Schmitt. Allerdings lohne sich ein differenzierender Blick. „Bei drei von vier Indikatoren, die die Wirtschaftsstruktur bewerten, ist Hagen im Niveauranking mit Platzierungen im oberen bzw. im unteren Mittelfeld weit von der roten Laterne entfernt. Bei den wissensintensiven Dienstleistungen belegt Hagen sogar einen erfreulichen 152. Rang. Der Gewerbesaldo aus Gewerbean- und -abmeldungen je 1000 Einwohner liegt bei 239 und die für die Wirtschaftskraft wichtige gemeindliche Steuerkraft auf Rang 269.“

Und weiter: „Dass wir bei der Wirtschaftsstruktur insgesamt nur auf Rang 361 im Niveauranking landen, ist dem hohen Gewerbesteuerhebesatz geschuldet, bei dem wir auf einem schlechten Rang 398 stehen. Dies unterstreicht die Forderung nach einer Altschuldenlösung. Mit sehr hohem Gewicht fällt neben Wirtschaftsstruktur und Arbeitsmarkt die Lebensqualität beim Gesamtranking in die Waagschale. Hier wirkt etwa die private Überschuldung wie Blei.“