Hagen. Europas schönster Bahnhof kann Vorbild für Hagen sein. Und auch sonst ist man im belgischen Lüttich in Sachen Städtebau weiter.
Etwas weniger als 200.000 Einwohner, die Lage am Fluss, ein neues Konzept für den öffentlichen Personennahverkehr - es gibt viele Dinge, die Hagen mit der belgischen Stadt Lüttich verbinden. Und weil auch der Schuldenberg der beiden Städte eine ganz ähnliche Höhe erreichen hat (keine Stadt in Belgien hat so hohe Verbindlichkeiten wie Lüttich), kann dieser ungewöhnliche Blick über den Tellerrand in diesem Fall lohnen.
Starten wir mit der Finanzlage: Da hat sich Hagen gerade dazu entschlossen, die Warnungen des noch amtierenden Kämmerers Christoph Gerbersmann in den Wind zu schießen und ein Zahlenwerk auf den Weg gebracht, das den Schuldenberg in kurzer Zeit wieder über die magische Milliarden-Grenze wachsen lässt. Ähnlich sieht es in Lüttich aus. 1,17 Milliarden Euro betrugen die Verbindlichkeiten im Jahr 2016. Genauere Zahlen teilte die Stadt auf Anfrage nicht mit.
Wie ein Streifzug durch Altenhagen
Ein Gang durch die Quartiere der Stadt an der Maas erinnert an einen Streifzug durch Altenhagen oder Wehringhausen: viele Mehrfamilienhäuser, bröckelnde Fassaden mit Erneuerungsbedarf, verdreckte Gehwege. Der Zustand der Straßen und der Fassaden öffentlicher Gebäude legt auch heute nahe, dass es um die Finanzkraft der Metropole nicht weit her ist. Belgische Zeitungen berichten über ein Sparpaket mit 60 Maßnahmen. Und trotzdem tut sich was...
Denn da ist noch die Sache mit dem Hauptbahnhof. Mit dem in Hagen und dem in Lüttich, in jener Stadt, in der übrigens auch eine brachiale Betonbauphase Ende der 60er-/Anfang der 70er-Jahre bis heute sichtbare Spuren hinterlassen hat. Wer nahe der Volme in den Zug einsteigt, kann einen ICE bei nur einem Umstieg nach knapp drei Stunden in der Nähe der Maas wieder verlassen. Allerdings gleicht dieser Städtetrip einer Zeitreise in eine andere (Nah-)Verkehrswelt.
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Denn die zentrale Station in der wallonischen Stadt allein, die der spanische Architekt und Künstler Santiago Calatrava entworfen hat, ist schon eine Reise wert. Lüttich hat den wohl schönsten Bahnhof in ganz Europa. Ein Neubau aus dem Jahre 2009 mit einer lichtdurchfluteten Halle, deren bunte Glasfenster ihr prächtiges Farbenspiel auf den Bahnsteigen entfalten.
Fahrgästen gelangen über Brücken auf Bahnsteige
Und während in Hagen die Sanierung des Bahnhofs in diesem Jahr starten soll und die Stadt jüngst beschlossen hat, Fahrgäste und Besucher des künftigen Westside-Areals durch einen grottenartigen Tunnel zu schicken, der seinen Anfang an der durch Dönerbuden und Wettbüros geprägten Straße „Am Hauptbahnhof“ nimmt, werden in Lüttich die Menschen über geleckt-saubere Brücken und Stege über die Gleise hinweg von einem zum anderen Ende des Bahnhofs geleitet.
Erschlossen wird die Station übrigens auch für Autofahrer - über eine neue Brücke hinweg, die in einem Wendekreis endet, an dem Nutzer der Bahn mal kurz aussteigen können. Ein ebenso simples wie effektives Konzept.
Teilbegrünter Bereich vor dem Bahnhof
Vor dem Bahnhof befindet sich statt einer Betonplatte ein teil-begrünter Bereich mit Wasserspielen. Dahinter erstreckt sich bis zu einer neuen Fußgängerbrücke über die Maas hinweg das, was in Hagen zumindest als Skizze in Powerpoint-Präsentationen von Hagen Wirtschaftsentwicklung unter dem Namen „Hagen Valley“ am Ufer der Volme schon Gestalt angenommen hat: ein moderner Gebäudekomplex, der Arbeiten in seiner modernsten Form und Wohnen miteinander verbindet. Wann sich in Hagen allerdings jemals für das auf Immobilienmessen angepriesene Projekt die nötigen Investoren finden, die dem Brachgelände Leben einhauchen, das ist völlig offen.
Das gilt nicht für das nächste Projekt, das in der verschuldeten belgischen ehemaligen Stahl-Industrie-Metropole gerade konkrete Formen annimmt: Denn die Politik in Hagen hat vor eineinhalb Monaten beschlossen, dass in Hagen auch weiterhin eine Straßenbahn keine Alternative werden soll. Vom Bahnhof in Lüttich aus schlängelt sich hingegen einem Lindwurm gleich eine Großbaustelle durch die Stadt. Sie ahnen es schon: In Belgien setzt man auf eine neue Tram, die die Station mit dem Stadtzentrum verbinden soll und hat diesem Verkehrsmittel gleich reichlich Raum reserviert. Übrigens: Auch dort hatte man vor rund 50 Jahren verlegte Schienen aus den Straßen herausgerissen.
Lohnender Blick über den Tellerrand
Er lohnt, dieser Blick über den Tellerrand. Obwohl jene nun aufschreien werden, die gleich reihenweise Argumente dafür liefern, warum dieser Städtevergleich an den Wirklichkeiten vorbeigehe. Er kann aber auch Mut machen: Zeigt er doch aber, dass es in einem vereinten Europa Möglichkeiten gibt, auch Städte, deren Charme sich erst auf den zweiten Blick erschließt, zu entwickeln.