Hagen. Er war bei dem Sturm auf den Reichstag 2020 zugegen. In Hagen hatte das Empörung ausgelöst. Die gewünschten Konsequenzen wurden nie gezogen.

Während ein Teil des politischen Deutschlands darüber debattiert, ob die Alternative für Deutschland (AfD) verboten werden sollte und das Recherche-Netzwerk Correctiv jüngst aufdeckte, dass es ein Geheimtreffen von AfD-Politikern und Rechtsextremisten gab, wo über die Vertreibung von Menschen mit Migrationshintergrund gesprochen wurde, blüht die umstrittene Partei in Umfragewerten geradezu auf. In Hagen war im vergangenen Jahr öffentlich geworden, dass AfD-Ratsherr Andreas Geitz bei jenem Ereignis zugegen war, das 2020 als „Sturm auf den Reichstag“ in die Geschichte einging. Geschlossen (außer der AfD) forderte der Hagener Rat anschließend den Rücktritt von Andreas Geitz. Doch bis zum heutigen Tag ist der 58-Jährige dieser Aufforderung nicht nachgekommen.

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Gegenüber der Stadtredaktion Hagen hatte der AfDler im vergangenen Sommer zunächst eingeräumt, dass er an dem fraglichen August-Samstag 2020 zwar die Hauptstadt besucht habe, dort jedoch lediglich in der Nähe des Reichstags unterwegs gewesen sei und von dem Polizeieinsatz erst im Nachhinein erfahren habe. Als dann jedoch in den Medien Fotos und Videos auftauchten, auf denen Geitz in einem USA-T-Shirt mit Stars-and-Stripes-Banner und Handy an der Hand sich auf der Bundestagstreppe in der Gruppe der Erstürmer bewegt, räumte er plötzlich ein, durchaus für die Aktion extra nach Berlin gereist zu sein. Während einer Demonstration unter Beteiligung von Verschwörern, Reichsbürgern und Rechtsextremen hatten am 29. August 2020 etwa 400 Personen versucht, das Reichstagsgebäude in Berlin zu stürmen.

Schreiben vom Rechtsanwalt

Geitz selbst reklamierte in der Ratssitzung Ende September in einer persönlichen Erklärung für sich, lediglich als Dokumentarfilmer einen siebenminütigen Videobeitrag auf der Reichstagstreppe produziert zu haben. Jeder könne sich dieses Bildmaterial anschauen, das ihn von jeglichen Vorwürfen entlaste. Daher komme er der Rücktrittsforderung auch nicht nach. Das tut er bis heute nicht. Auf erneute Anfrage der Stadtredaktion schickt Andreas Geitz die Stellungnahme einer Rechtsanwaltskanzlei, die ihn vertritt.

Oberbürgermeister Erik O. Schulz (links) im Gespräch mit AfD-Mann Geitz.
Oberbürgermeister Erik O. Schulz (links) im Gespräch mit AfD-Mann Geitz. © WP | Michael Kleinrensing

Aus juristischer Sicht teilt die Kanzlei nach Sichtung „überlassener Unterlagen, insbesondere Zeitungsveröffentlichungen“ und „in Zeitungen veröffentlichten Fotos“, der Videoaufzeichnungen von Andreas Geitz und der Resolution des Rates mit, dass keinerlei Falschinformation der Öffentlichkeit, des Rates oder sonstiger Dritter erfolgt sei. Auch seien keine strafbaren Handlungen ersichtlich. Das Betreten der Reichstagsstufen stelle keinen Verstoß dar. Die damals aus dem Ruder gelaufene Demonstration bezeichnet die Kanzlei als „friedlich“ und „ohne Störung des ordnungsgemäßen Ablaufs der Sitzungen“. Als die Versammlung eskaliert sei, sei Geitz nicht mehr vor Ort gewesen. Ein Foto, das der Redaktion vorliegt, zeigt ihn neben jenen Erstürmern. Weder die AfD-Fraktion noch der Kreisverband reagieren diesbezüglich auf eine Anfrage der Redaktion. Tatsächlich mussten andere Hinaufstürmende damals mit Pfefferspray zurückgedrängt werden. Kanzler Scholz erklärte damals: „Nazisymbole, Reichsbürger- & Kaiserreichsflaggen haben vor dem Deutschen Bundestag rein gar nichts verloren.“

Entfernt aus dem Städtepartnerschaftsverein

„Die Bitte des Rates ist effektfrei geblieben, weil Herr Geitz und die AfD-Fraktion es an der notwendigen Einsichtsfähigkeit vermissen lassen. Das ist erschütternd, müssen wir aber so zur Kenntnis nehmen“, erklärt die CDU-Fraktion im Hagener Rat. „Herr Geitz hätte mit Blick auf die eindeutige Resonanz im Rat glaubhaft Reue zeigen oder freiwillig zurücktreten können.“ Bei der SPD heißt es: „Der SPD-Fraktion war wohl bewusst, dass weder der Rat noch die Verwaltung zu diesem Zeitpunkt eine rechtliche Handhabe hatten, um Herrn Geitz seine Mandate abzuerkennen. Dennoch musste der Stadtrat nach der Berichterstattung gegenüber der Öffentlichkeit deutlich machen, welche Person oder auch Personen – Herr Eiche hat sich mit seiner Erklärung im Rat eingereiht - mit welcher Gesinnung im Stadtrat Sitz und Stimme haben. Letztlich ist es mit der Ratsresolution zumindest gelungen, Herrn Geitz aus dem Vorstand des Städtepartnerschaftsvereins „HoLiBru“ zu entfernen.“

Die AfD-Fraktion im Rat von der Empore fotografiert. Der Stuhl von Andreas Geitz ist leer. Das ist aber nur eine Momentaufnahme. Er ist weiterhin Mitglied des Rates.
Die AfD-Fraktion im Rat von der Empore fotografiert. Der Stuhl von Andreas Geitz ist leer. Das ist aber nur eine Momentaufnahme. Er ist weiterhin Mitglied des Rates. © WP | Michael Kleinrensing

„Die Darstellung, nach der Herr Geitz sich lediglich zu Dokumentationszwecken in das Geschehen vor dem Reichstag gemischt hat, halten wir für nicht glaubwürdig. Insgesamt zeigt der Vorgang, dass die AfD eben nicht eine ganz normale Partei wie jede andere auch ist, als die sie sich gerne ausgibt“, sagt Frank Schmidt für die Bürger für Hohenlimburg. „Der Rat wird die Anwesenheit von Herrn Geitz wohl leider mindestens bis zur nächsten Kommunalwahl ertragen müssen“, erklärt die FDP-Fraktion. Und weiter: „Es ist Aufgabe aller demokratischen Parteien, die AfD inhaltlich zu stellen und die Hagenerinnen und Hagener davon zu überzeugen, dass diese Partei keine Lösung anbietet, die die Stadt weiterbringt. Die Inhalte der AfD-Anfragen im Stadtrat und die Reise eines Hagener AfD-Mitglieds nach Russland zeigen, dass der AfD-Kreisverband die Radikalisierung der Gesamtpartei im Gleichschritt mitgeht.“

Viele Verfahren eingestellt

Nach Recherchen der Berliner Zeitung hatte es zuletzt Ermittlungen in 85 Strafverfahren wegen des Reichstagssturms gegeben. In den meisten Fällen (71, um genau zu sein) seien die Beschuldigten namentlich bekannt gewesen. Allerdings, so zitierte die Zeitung die lokalen Behörden, hätten die Beweise für eine Bestrafung nicht ausgereicht. Insgesamt seien nach Angaben einer Sprecherin bereits nach zwei Jahren 51 Verfahren eingestellt worden. In neun Fällen habe die Staatsanwaltschaft eine Verurteilung per Strafbefehl beantragt. Mindestens ein Beschuldigter hatte das abgelehnt und es kam zur Hauptverhandlung. Wegen Landfriedensbruchs wurde der Mann zu 60 Tagessätzen zu je 30 Euro verurteilt.