Hagen. Fotos decken auf: Das Hagener AfD-Ratsmitglied Andreas Geitz war beim „Sturm auf den Reichstag“ mittendrin. Das hatte er zunächst abgestritten.

Er ist Ratsmitglied, Bezirksvertreter und Mitglied in zwei Aufsichtsräten. Noch 2021 trat Andreas Geitz für die AfD in Hagen als Bundestagskandidat an. 9861 Menschen machten ihr Kreuz für ihn. In den Bundestag zog er nicht ein. Ein Jahr zuvor, das stellt sich durch Recherchen der Wochenzeitung „Die Zeit“ und der WESTFALENPOST nun heraus, hatte Geitz bereits vor dem Bundestag gestanden. Und zwar im Rahmen einer völlig aus dem Ufer gelaufenen Protestaktion der Querdenker-Szene, die als „Sturm auf den Reichstag“ in die jüngere deutsche Geschichte eingegangen ist.

Hunderte Demonstranten stürmten am 29. August 2020 auf die Stufen vor dem Reichstagsgebäude. Die Polizei schaffte es, sie davon abzuhalten, in das Gebäude einzudringen.
Hunderte Demonstranten stürmten am 29. August 2020 auf die Stufen vor dem Reichstagsgebäude. Die Polizei schaffte es, sie davon abzuhalten, in das Gebäude einzudringen. © dpa | Achille Abboud

Gegenüber unserer Zeitung hatte Andreas Geitz Anfang September abgestritten, beim Sturm auf den Reichstag dabei gewesen zu sein. Geitz wörtlich: „Ich war 2020 in Berlin. Ich war auch in der Nähe. Aber dass Leute versucht haben, in den Reichstag einzudringen, davon habe ich erst im Nachhinein erfahren.“ Nun stellt sich heraus: Er hat die Unwahrheit gesprochen. Warum? Andreas Geitz: „Ich bin gefragt worden, ob ich bei einem „Sturm“ auf den Reichstag dabei gewesen sei. Für mich aber war das kein Sturm“, interpretiert der AfD-Mann das Wort „Sturm“ auf seine eigene Weise. Tatsächlich hatten Hunderte die Treppe vor dem Reichstagsgebäude gestürmt, obwohl diese klar für sie gesperrt gewesen war. Wo sonst Besuchergruppen herlaufen, herrschte an diesem Tag höchste Sicherheitsstufe.

Fast 300 Anzeigen

Das sehen Sicherheitsbehörden und Politik gänzlich anders. Unter anderem gab es fast 300 Anzeigen gegen Beteiligte. Darunter oft wegen Landfriedensbruchs. Mit Gewalt wurden Absperrungen niedergerungen. Die Teilnehmer des Aufruhrs – darunter neben normalen Bürgern Rechtsextreme, Verschwörungsideologen und Menschen aus der Reichsbürger-Szene – stürmten die Treppe zum Reichstagsgebäude hinauf. Unter ihnen das Hagener AfD-Ratsmitglied Andreas Geitz. Die Polizei musste die Reichstagsstürmer mit Schlagstöcken und Pfefferspray davon abhalten, in das Gebäude einzudringen. Geitz selbst erklärt auf Anfrage, dass gegen ihn keine Anzeige vorliege.

+++ Lesen Sie auch: Motorräder in der Priorei – Der Wahnsinn hat wieder ein Ende +++

Rund 38.000 Menschen waren an jenem 29. August 2020 nach Berlin gekommen, um gegen die Corona-Maßnahmen zu protestieren. Die „Zeit“ schreibt dazu: „Inmitten dieser Melange haben Teilnehmer aus dem Reichsbürger-Milieu offenbar gezielt ein Gerücht gestreut: Donald Trump sei da und warte nur auf ein Zeichen. Die Geschichte ließ eine aufgebrachte Menge vor das Parlament ziehen – und einige von ihnen am frühen Abend die gesperrten Treppen stürmen.“ In einem Format mit dem Titel „Warum haben Sie mitgemacht?“ befragte die Zeit auch den Hagener AfD-Mann Andreas Geitz, den die Redaktion auf Fotos identifiziert hatte. Er antwortete nicht

Fotos decken Teilnahme auf

Fotos unterschiedlicher Agenturen decken auf: Andreas Geitz war dabei. Bekleidet mit einem USA-Shirt, einem Headset auf dem Kopf, einer Fahnenstange auf der Schulter mit USA- und Deutschland-Flagge und mit erhobenem Smartphone. Damit konfrontiert lenkt Geitz ein: „Ich war dabei. Aber das war kein Sturm, das war ein Schlendern. Das war ja schon fast ein Happening. Ich war höchstens 30 Sekunden auf dieser Treppe inklusive hoch und runtergehen.“

+++ Lesen Sie auch: Liebeskummer – Breckerfelder fährt los und fliegt durch die Luft +++

Er habe von seinem Demonstrationsrecht Gebrauch gemacht, sei eigens für die Demonstration nach Berlin gereist. Die Amerika-Untensilien habe er getragen, weil er Amerika liebe und viele Kontakte dorthin habe. Als die Menge losstürmte, sei es ihm darum gegangen, den Vorgang per Video zu dokumentieren, sagt er. Nur deswegen sei der die Treppe hoch. „Dass das strafrechtliche Konsequenzen haben könnte, habe ich nicht gesehen. Ich habe auch nichts von dem Polizeieinsatz mitbekommen.“ Nach der Aktion habe er sich in sein Auto gesetzt und sei wieder nach Hagen gefahren.

Der Sturm auf den Bundestag am 29. August 2020. Dieses Foto zeigt die Menschenmenge, bevor der Ansturm auf das Gebäude beginnt.
Der Sturm auf den Bundestag am 29. August 2020. Dieses Foto zeigt die Menschenmenge, bevor der Ansturm auf das Gebäude beginnt. © chille Abboud | imago stock

Geitz: „An den Haaren herbeigezogen“

Ob die Teilnahme an einer derart demokratiegefährdenden und strafbaren Aktion mit seinen politischen Ämtern in Hagen noch vereinbar sei, diese Frage stellt sich für Andreas Geitz nicht. „Ich würde meine Ämter nicht niederlegen deswegen. Mir daraus jetzt einen Strick drehen zu wollen, ist an den Haaren herbeigezogen. Ich würde es heute aber nicht mehr so machen. Vielleicht hat man sich da zu sehr mitreißen lassen.“

Das Demonstrationsrecht sei ein Grundrecht, betont René Mumm, Sprecher des AfD-Kreisverbandes in Hagen. Mumm wörtlich: „Die Teilnahme des Herrn Geitz, an der ihrerseits genannten „Aktion“, war dem Kreisverband Hagen nicht bekannt. Das in den diversen Medien vorliegende Foto zeigt lediglich eine nicht aggressive Menschenmenge auf der Treppe des Reichstages, teilweise fotografierend, Fahnen werden geschwenkt und die fotografierte Personengruppe schaut auf das Vorfeld. Eine Person in unmittelbarer Nähe trinkt genüsslich ein Glas Bier und hält in der anderen eine Bratwurst. Für uns ist nicht erkennbar, dass Herr Geitz an der sogenannten „Erstürmung des Reichstages“ aktiv beteiligt war, bzw. das eine Straftat vorgelegen hat.“

Die Teilnahme an dieser Demonstration stelle die private Einzelmeinung des „Herrn Geitz“ dar. Er habe gemäß seiner Aussage dem Vorstand gegenüber gegen die widersprüchlichen Corona-Maßnahmen und den „daraus resultierenden freiheitlichen Einschränkungen der Bundesregierung“ protestiert. René Mumm: „Die Einstellung der AfD zu dieser Politik ist bekannt. Zurzeit sieht der AfD-Kreisverband Hagen keinerlei Handlungsbedarf gegen unser Mitglied.“ Stellungnahmen aus der Hagener Politik folgen ausführlich.

Die Grünen und die SPD sprechen Andreas Geitz aber bereits ab, noch auf dem Boden der freiheitlichen Grundordnung zu stehen. „Der sogenannte „Sturm auf den Reichstag“ war ein abscheulicher Angriff auf unsere Demokratie und auf die Grundwerte unserer Gesellschaft. In Anbetracht des vorliegenden Bildmaterials halten wir die Aussage von Herrn Geitz, daran nicht teilgenommen zu haben, für wenig glaubwürdig. Er belegt damit erneut und in neuer Qualität, dass die Demokratie vor diesen Menschen geschützt werden muss.“ Die SPD fordert Geitz’ Rücktritt: „Wir fordern Herrn Geitz auf, sein auf der Basis der freiheitlich-demokratischen Grundordnung erworbenes Ratsmandat unverzüglich niederzulegen.“